In der revidierten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin zum Tumorschmerz stehen laut Dr. med. Johannes Horlemann (Kevelaer) 3 Punkte im Mittelpunkt: neue Therapiestandards, die 24-Stunden-Retardformulierung sowie die Patientenautonomie.
Generell leiden 60 % der Patienten im Endstadium einer onkologischen Erkrankung unter schwersten Schmerzen. Die Diagnostik erfolgt nach den Mindeststandards des „Brief Pain Inventory“ der WHO, welcher auch die Kriterien Schlaf, Aktivität, Psyche und Soziales erfasst.
Tumorpatienten bevorzugen eine orale Pharmakotherapie, wobei nicht zwingend alle 3 Stufen des WHO-Schmerzschemas durchlaufen werden müssen. Leitliniengerecht erfolgt die medikamentöse Tumorschmerztherapie als Dauerbehandlung mit festen Einnahmezeiten, sodass eine 24-stündige Abdeckung durch Retardfreisetzung sichergestellt ist.
Am Beispiel einer Patientin mit metastasiertem Mammakarzinom und exazerbiertem Schmerz erläuterte Dr. med. Norbert Schürmann (Moers) die Basismedikation (retardiert). Bisherige Therapie: u. a. Hydromorphon 4 mg retard 1-0-0 und Hydromorphon 1,3 mg bis zu 6 x täglich. Oxycodon/Naloxon wurde abgesetzt und vorsichtig mit 1 Ampulle (2 mg) Hydromorphon (auf 10 ml NaCl 0,9 %) mit 1 ml i. v. pro Minute titriert, bis die Patientin einen VAS von 3–5 angab. Dann Umstellung auf ein dosisäquivalentes Retardopioid (18 mg) plus Bedarfsmedikation von etwa 3 mg (unretardiert). Auf der Palliativstation blieb der VAS bei 2–3 unter der Gabe von 24-Stunden-Hydromorphon oral 48 mg 0-0-1, keine Bedarfsmedikation nötig, kein „End-of-Dose“-Phänomen.
24-Stunden-Abdeckung mit Hydromorphon
Über einen Patienten mit metastasiertem Prostatakarzinom in der Palliativsituation berichtete Dr. med. Silvia Maurer (Bad Bergzabern). Er litt unter stärksten Dauerschmerzen (NRS 7–8/10), Anämie, Schlafstörungen, Übelkeit und Kachexie. Bisherige Therapie u. a. mit Fentanyl TTS 12,5 μg/Std. und Fentanyl Buccal 400 μg bei Bedarf. Das Transdermalpflaster wurde abgesetzt und eine Opioidrotation mit Hydromorphon akut durchgeführt (2,6 mg alle 6 Stunden), dann Hydromorphon 48 mg alle 24 Stunden.
Vorzugssubstanz in der Tumorschmerztherapie ist gemäß Leitlinien das verträgliche und bei neuropathischen, nozizeptiven und viszeralen Schmerzen wirkende Hydromorphon. Es hat die geringste Eiweißbindung unter den gängigen Opioiden und kann als Einmalgabe in 24-Stunden-Galenik abends zur besseren Nachtruhe verabreicht werden.
Bei älteren Patienten wichtig: Hydromorphon wird nicht über das P450-System verstoffwechselt, interveniert also nicht bei einer Multimedikation. Generell empfiehlt sich, bei einer Wirkstoffgruppe zu bleiben, da die gleiche Affinität zum μ-Rezeptor besteht, beispielsweise Hydromorphon retardiert plus Bedarfsmedikation unretardiert.
In jedem Alter zu beachten: Zuerst die 24-Stunden-Abdeckung sichern, dann eventuell zusätzlich Morphin geben. Gute Erfahrungen wurden mit Cannabinoiden (THC, CBD) als Co-Analgetika gemacht. Sie wirken synergistisch und verbessern das Outcome in Bezug auf Kachexie, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Angst.
Webinar „Tumorschmerz-Leitlinie: was ist neu?” (Veranstalter: Aristo Pharma GmbH), Juli 2023