Cannabis-Extrakte können schwerkranken Schmerzpatienten Linderung verschaffen. Außerdem können sie dazu beitragen, eine Polymedikation zu reduzieren – und das bei einem günstigen Wirkungs- und Nebenwirkungsverhältnis.
Seit der Verabschiedung des Gesetzes „Cannabis als Medizin“ 2017 haben Patienten, die an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden und die andere Therapieoptionen angewendet haben, grundsätzlich Zugang zur Therapie mit cannabisbasierten Arzneimitteln. „Gerade in der Palliativversorgung setzen wir Cannabinoide sehr breit ein“, erklärte Prof. Dr. med. Sven Gottschling (Homburg). „Unsere Patienten leiden unter einer Vielzahl an belastenden Symptomen. Es ist vorteilhaft, wenn mit einem einzelnen Wirkstoff oder mit einem Extrakt als Vielstoffgemisch verschiedene Zielsymptome angesteuert werden können. Oft steht dahinter der Versuch, mit einem neuen Medikament weitere Polypharmazie zu vermeiden.“
Gottschling gab allerdings zu Bedenken, dass die Evidenzlage teilweise noch dünn wäre. „In vielen Bereichen haben wir nicht viele randomisierte klinische Studien.“ Im Bereich Schmerz sei das aber anders, hier wäre die Studienlage seiner Ansicht nach gut. Außerdem verwies er auf die opioidsparenden Effekte. „Wenn Sie eine Cannabinoid-Therapie als Add-on-Therapie für den Patienten etablieren, können Sie vielfach die Opioiddosis zurücknehmen. Oft reduzieren Sie zudem die Nebenwirkungen.“
Früher und öfter an Cannabinoide denken
Als Fallbeispiel nannte Gottschling den 3-jährigen Luuk. Der Junge hat einen chromosomalen Defekt, einen schweren Herzfehler und litt unter therapiefraktären Krampfanfällen mit zentraler Apnoe. Infolge der antiepileptischen Therapie waren massive Nebenwirkungen aufgetreten, insbesondere Nierenausgusssteine. Der Junge wurde 2015 auf Dronabinol eingestellt, 4,5 mg in drei Einzeldosen, was 0,375 mg/kg/Tag bei 12 kg Körpergewicht entsprach. „Es kam zu einer deutlichen Besserung in allen möglichen Bereichen“, führte Gottschling aus. „Luuk schlief nachts besser, war tagsüber fitter, aß wieder vom Löffel. Zudem sind die Anfälle von drei- bis fünfmal am Tag auf zwei- bis dreimal die Woche runtergegangen.“ 2020 beantragte Gottschling bei der Krankenkasse Cannabis-Extrakte. Es erfolgte die Umstellung auf zwei Extrakte: einem THC-dominanten Extrakt in vergleichbarer Dosis wie Dronabinol und zusätzlich einem CBD-dominanten Extrakt mit 10 mg/kg/Tag. „Die Anfallsfrequenz ging dramatisch runter, von anfangs mehreren Anfällen pro Tag, auf ein bis zwei Anfälle pro Monat in den letzten zwei Jahren. Und diese sind auch nur im Zusammenhang mit Infektionen aufgetreten.“
„Wir sollten alle öfter und früher an Cannabinoide denken“, lautete Gottschlings Fazit aus seinem Berufsalltag in der Palliativmedizin. Denn mit einem Cannabinoid wäre es möglich, ein Medikament für eine Reihe von belastenden Symptomen zu geben – anstatt fünf Medikamente und mehr. Zudem zeige sich unter anderem ein schneller Wirkeintritt und es wäre eine rasche und unproblematische Dosistitration auch im ambulanten Setting möglich.
Symposium „Vom Baby bis zum Greis – alters- und sektorenübergreifende Behandlung mit Cannabinoiden“ anlässlich des DGP Kongresses (Veranstalter: Avextra Pharma GmbH), September 2022