Pflegekräfte haben eine große Bedeutung in der Betreuung von Krebspatienten: außer administrativen und pflegetechnischen Maßnahmen fällt Ihnen auch die Aufgabe der Zuwendung zu. Sie sind meist erster Ansprechpartner für Erkrankte. Doch wie redet man mit Menschen, die gerade von ihrer Krebsdiagnose erfahren haben, wie mit Todkranken?
Die Aufgaben der Pfleger in der Onkologie sind sehr vielfältig. Nicht umsonst ist „Onkologische Pflegekraft“ eine aufwendige Zusatzausbildung. Da sind zunächst die administrativen Aufgaben, die von der Dokumentation der oft toxischen Medikation über Terminorganisation bis hin zu Bescheinigungen für die Krankenkassen (z.B. Taxischein) reichen. Dazu kommen die eigentlichen pflegerischen Aufgaben, wie Infusionen überwachen, Verbände wechseln u. ä. Und dann sind da noch die Patienten selbst: Sich ihnen zuzuwenden, ist nicht nur Teil des Jobs, sondern war für viele Pfleger auch Grund, sich für den sozialen Beruf zu entscheiden.
Und besonders Krebspatienten brauchen diese Zuwendung angesichts der traumatischen Diagnose, die auch mit dem eigenen Tod konfrontiert: Oft sind die Pfleger die einzigen, die ihnen zuhören – das trifft besonders für alleinstehende ältere Patienten zu. Da kann die Frage „Brauchen Sie einen Taxi-schein?“ das Erzählen der ganzen Biografie auslösen. Auch eher verschlossene Menschen öffnen sich gern den Pflegern, vor allem wenn dies immer wieder die gleichen Personen sind. Denn oft ist das Pflegepersonal im hektischen Krankenhaus- oder Ambulanzbetrieb die einzige Konstante. Den Schwestern kann man die Dinge sagen, die man beim Arzt nicht erzählt hat – weil man es in Anbetracht der lebensbedrohlichen Erkrankung vergessen hat, es für unwichtig oder peinlich (z. B. Inkontinenz) hielt. Außerdem fühlen sich viele Patienten den „Halbgöttern in Weiß“ unterlegen, begegnen aber den Pflegekräften eher auf Augenhöhe. Bei diesen En-passant-Gesprächen werden oft wichtige Informationen übermittelt, die für die spätere Versorgung bedeutsam werden können – beispielsweise zur sozialen Situation (alleinstehend, Partner kürzlich verstorben, keine Kinder) oder Alterserscheinungen wie Schwerhörigkeit.
So wichtig diese Gespräche auch sein mögen, sie stören die pflegerische Routine. Doch wie können Pflegekräfte sowohl den technischen Pflegeansprüchen als auch dem Willen zur Zuwendung im hektischen Pflegealltag gerecht werden? Und: wie redet man mit Krebspatienten, die eine schlechte Prognose haben? Dazu kommt noch der zeitliche Stress im Pflegealltag. Wie soll man einfühlsam zuhören, wenn die Infusion in Zimmer 3 schnell gewechselt werden muss, aber der Enkel der Neuaufnahme gerade erzählen will, wie wichtig ihm seine Oma ist und worauf sie allergisch reagiert? Auch für diesen Bereich – wissenschaftlich patientenzentrierte Kommunikation genannt – gibt es Empfehlungen, die in Leitlinien niedergelegt sind. So heißt es in der Leitlinie „Psychoonkologie“: „Kommunikation mit Krebspatienten und ihren Angehörigen soll durch alle in der Onkologie tätigen Berufsgruppen patientenzentriert erfolgen. Sie soll sich an deren individuellen Anliegen, Bedürfnissen und Präferenzen hinsichtlich Information, Aufklärung und Beteiligung an Entscheidungen orientieren. Diese sollen wiederholt im Krankheitsverlauf, insbesondere in kritischen Krankheitsphasen (Diagnose, Rezidiv/Progredienz), erfragt werden.“[1]
Die Leitlinie – die zwar von allen in der Onkologie Tätigen spricht, aber doch eher auf die Ärzte abzielt – gibt auch Grundprinzipien an, wie das vonstatten gehen soll:
• Gewährleistung einer atmosphärisch angemessenen und ungestörten Umgebung ohne Unterbrechungen,
• Aufbau einer tragfähigen Beziehung zum Patienten,
• Gesprächsführung auf der Basis des aktiven Zuhörens,
• direktes und einfühlsames Ansprechen schwieriger Themen,
• Vermittlung von bedeutsamen Informationen in einer patientennahen Sprache unter Vermeidung von medizinischem Fachvokabular, ggf. Erklärung von Fachbegriffen; sie soll aufrichtig sein und gleichzeitig Raum für realistische Hoffnung lassen,
• Verwendung von Strategien, um das Verständnis zu verbessern (Wiederholung, Zusammenfassung wichtiger Informationen, Nutzung von Grafiken u. ä.),
• Ermutigung, Fragen zu stellen wie auch Gefühle auszudrücken,
• Einbeziehung von Angehörigen oder Bezugspersonen in Abhängigkeit vom Wunsch des Patienten,
• Anbieten weiterführender Hilfen.
Diese Empfehlungen klingen allerdings etwas sozialwissenschaftlich verkopft und sie sind im hektischen Pflegealltag nicht immer umsetzbar. So ist das Schaffen einer „atmosphärisch angemessenen und ungestörten Umgebung ohne Unterbrechungen“ für ein Arztzimmer möglich, aber nicht auf Station. Dennoch ist es auch bei einem kleinen Gespräch auf dem Gang oder beim Infusionanhängen möglich, dem Patienten einfühlsam zuzuhören. Dieser „Small Talk“ zwischen „Tür und Angel“ signalisiert Wertschätzung und schafft – in der Summe – Vertrauen. Natürlich muss von Fall zu Fall entschieden werden, ob so ein Gespräch jetzt wichtiger ist, als eine Infusion zu wechseln.
Wichtig ist es für Pflegekräfte auch, den Wunsch des Patienten zu berücksichtigen, inwieweit welche Angehörigen informiert werden dürfen. Schließlich will nicht jeder Patient, dass die ganze Familie von der Erkrankung weiß. Die Gründe können vielfältig sein: z. B. weil der Patient seine Familienmitglieder schonen will oder weil er keine Schwäche zeigen will, die einer ausnutzen könnte. So mancher Patient hält den ach so fürsorglichen Schwiegersohn für einen Erbschleicher. Selbst mit bester Absicht weitergeleitete Informationen an die Angehörigen könnten hier zu großen familiären Dramen führen.
Um allen möglichen Situationen in stationären und ambulanten Einrichtungen gerecht zu werden, müssen Richtlinien naturgemäß sehr allgemein gehalten werden. Etwas konkreter sind die Tipps für den Umgang mit Krebspatienten in der Leitlinie zur Palliativmedizin.[2] Diese stellen vor allem die Wertschätzung und Achtung vor der Person des Patienten in den Mittelpunkt sowie die Bereitschaft, den Patienten in seinem subjektiven Erleben – körperlich wie seelisch – einfühlsam wahrzunehmen. Ziel ist es, realistische Hoffnung zu unterstützen und zu stärken. Daher sollten alle an der Behandlung Beteiligten im Umgang mit dem Krebspatienten:
• ehrlich sein, ohne zu verletzen und ohne mehr (detaillierte) Informationen zu vermitteln, als vom Patienten verlangt wird,
• ihm keine irreführenden oder falschen Informa-tionen geben, nur um die Hoffnung des Patienten positiv zu beeinflussen,
• ihm versichern, dass die notwendige Unterstützung und Behandlung und die dafür notwendigen Ressourcen vorhanden sind, um Schmerz oder andere Symptome so erträglich wie möglich zu halten, dabei aber vorzeitige Beruhigung vermeiden,
• ihn dabei unterstützen, realistische Ziele und Wünsche sowie tägliche Bewältigungsmöglichkeiten zu explorieren, und ihm diese zu ermöglichen, wo es angemessen ist.
Doch all diese Hinweise haben eines gemeinsam: Sie setzen voraus, dass man den Patienten kennenlernt, das heißt in erster Linie ihm zuhört. Richtig zuhören ist nicht selbstverständlich. Hier einige Tipps:
• Small Talk schafft Atmosphäre – durch Small Talk können Sie eine positive Atmosphäre herstellen. Das verringert die Angespanntheit des Patienten und erleichtert das Behandlungsgespräch. Bei neuen Patienten schafft ein „Haben Sie gut hergefunden?“ erstes Vertrauen.
• Aktiv zuhören – das signalisiert Ihrem Patienten, dass er Ihre Aufmerksamkeit erhält und willkommen ist. Das Gespräch wirkt zugleich
als Entlastung.
• Stellen Sie Blickkontakt her – die nonverbale Kommunikation mit dem Patienten sollte nicht unterschätzt werden. Fehlender Blickkontakt
wird im Allgemeinen als mangelnde Fürsorge gewertet. Der Blickkontakt hilft, Freundlichkeit, Offenheit und Verständnis zu transportieren.
• Mit Gefühlen umgehen – lassen Sie Gefühle zu und signalisieren Sie Verständnis. Binden Sie den Patienten ein und fragen Sie ihn, was ihm guttun würde und was er jetzt braucht.[3]
Dieses Zuhören ist nicht nur das Sammeln von Informationen. Im vermeintlichen Small Talk werden Emotionen deutlich – und es hilft vielen Menschen schon, wenn sie ihre Ängste jemandem erzählen können. Und gerade Ängste teilt man den Krankenschwestern (Frauen eher als Männern) oft lieber mit als dem Arzt. Auch individuelle Belastungen und Sorgen lassen sich beheben, wenn sie denn bekannt sind, z. B. dass das Hörgerät neu eingestellt werden muss oder die Frage, wer sich um den Hund kümmert, wenn die alte Dame ins Krankenhaus muss. Außerdem können Pflegekräfte bei längerer Bekanntschaft mit dem Patienten beurteilen, ob er die Informationen zu seiner Erkrankung, beispielsweise Therapieanweisungen, verstanden hat – und diese gegebenenfalls wiederholen. Allerdings so, dass dabei auch nicht zu viel Information weitergegeben wird, die der Patient möglicherweise nicht verkraftet.
Und diese Erkenntnisse sollten die Pfleger nicht für sich behalten. Es ist wichtig, dass die Beschwerden und Ängste einzelner Patienten allen Behandlern – Pflegekräften und Ärzten – bekannt sind. Schließlich müssen alle wissen, dass Frau Müller schlecht hört und daher nachgefragt werden muss, ob sie z.B. Anweisungen mitbekommen hat.
Eigentlich klingt dies alles ganz einfach und so mancher würde sagen, dass er das alles sowieso schon tut. Doch man lernt bekanntlich nie aus. Weiterbildungskurse in Sachen Patientenkommunikation helfen, auf besondere Situationen einzugehen – beispielsweise auf den spezifischen soziokulturellen Hintergrund. So gibt es bei türkischstämmigen Patienten, selbst wenn sie gut deutsch sprechen, oft Missverständnisse. Oder es muss auf bestimmte religiöse Essensvorschriften geachtet werden.
Mit Gefühlen umgehen – Lassen Sie Gefühle zu und signalisieren Sie Verständnis.
Auch alte Patienten, derer es in der Onkologie viele gibt, sind ein Sonderfall. Hier sollten sich Pfleger bewusst sein, dass bei bis zu 23 % der älteren Krebspatienten Angststörungen und bei 17–26 % Depressionen vorliegen.[4] Am stärksten psychisch belastet sind die über 80-Jährigen. Die Diagnose psychischer Störungen wird bei älteren Patienten dadurch erschwert, dass sich Symptome von Angst und Depression nur schwer von demenziellen Symptomen und Nebenwirkungen von Krebstherapien unterscheiden lassen.[5] Entsprechende Weiterbildungskurse für Pflegekräfte in der Onkologie werden beispielsweise über ein Schulungszentrum in Heidelberg (www.kompass-o.org) oder über den Verein zur Fort- und Weiterbildung in der Onkologie (WPO e. V., www.wpo-ev.de) im Rahmen von Vertiefungskursen angeboten. Dort lässt sich nicht nur die richtige Gesprächsführung erlernen, sondern auch Techniken, sich selbst vom Leid der Patienten zu distanzieren, um so die eigene Psyche zu schützen.
[1] S3-Leitlinie – Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten Kurzversion Version 1.1 – Januar 2014 AWMF-Registernummer: 032/051OL
[2] Erweiterte S3-Leitlinie – Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung Langversion 2.0 – August 2019 AWMF-Registernummer: 128/001-OL
[3] https://www.omnicare.de/de/unternehmen/presse-informationen/informationen/psychoonkologie-auf-die-richtige-sprache-kommt-es-an; Stand 29.10.2019
[4] Kurtz ME, Kurtz JC, Stommel M et al., Predictors of depressive symptomatology of geriatric patients with lung cancer –
a longitudinal analysis. Psychooncology 2002; 11 (1): 12–22
[5] Götze H et al.: Psychologische, soziale und körperliche Belastungen älterer Krebspatienten, TumorDiagn u Ther 2016; 37: 565-567