In unserer Gesellschaft nimmt die Multimorbidität aufgrund der steigenden Lebenserwartung im ärztlichen Handeln eine immer wichtigere Rolle ein. Multimorbidität, definiert als die Koexistenz von mindestens zwei oder mehr chronischen Erkrankungen bei einem Patienten, ist für den Rheumatologen bereits jetzt die Regel und wird in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.
Die Prävalenz der Multimorbidität liegt heute in der Normalbevölkerung bei ca. 25 %. Bei Patienten mit einer chronisch-entzündlichen, rheumatologischen Systemerkrankung ist diese deutlich höher. Bis zu 80 % der Patienten mit rheumatoider Arthritis leiden an einer oder mehreren Komorbiditäten. Einen Überblick über die Prävalenz nicht-rheumatologischer Erkrankungen bei rheumatologischen Patienten gibt die untenstehende Tabelle.
Aufgrund der chronischen Inflammation seitens der unbehandelten Grunderkrankung haben Patienten ohne antiinflammatorische Therapie eine erhöhte kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität. Patienten mit rheumatoider Arthritis haben ein vergleichbares Myokardinfarktrisiko wie Patienten mit Diabetes mellitus.
Die rheumatologischen Fachgesellschaften verfolgen in ihren Behandlungsempfehlungen bewusst das Treat-to-Target-Konzept mit dem Ziel der Remission. Es ist belegt, dass eine Reduktion der Krankheitsaktivität und der Inflammation eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos bis hin zur Normalisierung bedeutet. Unabhängig hiervon haben DMARDs (disease-modifying antirheumatic drug) einen positiven Einfluss auf die arterielle Hypertonie, die Blutfette und den Diabetes mellitus. Dies ist unter anderem mit Gemeinsamkeiten in der Pathogenese rheumatologischer Erkrankungen, insbesondere der rheumatoiden Arthritis und des Diabetes mellitus zu erklären. Die proinflammatorischen Zytokine Interleukin-1 und -6 sowie TNF-alpha, aber auch die Assoziation mit dem HLA-System DR4 beim Diabetes mellitus Typ 1 spielen hierbei eine wesentliche Rolle.Die Normalisierung dieser Zytokinantwort stellt einen der positiven Angriffspunkte der DMARD-Therapie dar. Negative Effekte auf die kardiovaskulären Risikofaktoren haben im Gegensatz zu den DMARDs in Abhängigkeit von der Dauer des Einsatzes und deren Dosierung insbesondere NSARs (nicht-steroidale Antirheumatika) und systemische Glucocorticoide.
Bei Patienten ohne Diabetes mellitus besteht unter systemischer Glucocorticoid-Therapie ein 1,4- bis 2,3-faches Risiko, im Verlauf eine diabetische Stoffwechsellage zu entwickeln. Somit ist bei circa 10–40 % der Patienten mit einer langfristigen systemischen Glucocorticoid-Therapie ein Diabetes mellitus zu erwarten. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) empfiehlt daher bei Patienten mit rheumatoider Arthritis, die systemische Glucocorticoid-Therapie auf maximal sechs Monate und ein tägliches Prednison-Äquivalent von initial maximal 30 mg zu beschränken. Bei Patienten mit axialer Spondyloarthritis wird eine regelmäßige kritische Überprüfung der Dauer und Dosierung der NSAR-Therapie empfohlen.
Um der Bedeutung kardiovaskulärer Erkrankungen und kardiovaskulärer Risikofaktoren Rechnung zu tragen, hat die European League Against Rheumatism (EULAR) eine entsprechende Empfehlung zur Risikoeinschätzung und Behandlung herausgegeben.
Das Risiko an bestimmten Malignomen zu erkranken, ist für Patienten mit einer chronisch-entzündlichen, rheumatologischen Grunderkrankung erhöht. Dies gilt im Wesentlichen für unbehandelte, aktive Erkrankungen in Abhängigkeit von der Krankheitsaktivität. Entsprechend aktueller Studienlage ist eine adäquate, Remission-induzierende DMARD-Therapie – hier sind vor allem die Biologika zu nennen – nicht mit einem gesteigerten Malignomrisiko (Erstmanifestation oder Rezidiv) assoziiert. Ausnahmen sind mutmaßlich semimaligne Tumoren der Haut (Basaliom, Spinaliom; keine statistische Signifikanz).
Neben den kardiovaskulären Komorbiditäten stellen Infektionen die schwerwiegendste Komplikation (hier vor allem Pneumonien) von Patienten mit entzündlich-rheumatologischer Systemerkrankung dar. Die wichtigsten Einflussfaktoren sind die Grunderkrankung selbst, deren Krankheitsaktivität, Komorbiditäten (COPD, Diabetes mellitus, chronische Niereninsuffizienz), die Intensität der immunmodulatorischen Therapie sowie das Fehlen prophylaktischer Maßnahmen (nicht aktualisierter Impfstatus; fehlendes Screening vor allem auf Hepatitis und Tuberkulose).
Das Infektionsrisiko bei Kollagenosen und Vaskulitiden ist per se höher als bei der rheumatoiden Arthritis oder Spondyloarthritiden, bei einer Cyclophosphamid- oder langfristigen systemischen Glucocorticoid-Therapie höher als bei einer konventionellen DMARD-Therapie, beispielsweise mit Methotrexat. Schon niedrige systemische Glucocorticoid-Dosen erhöhen insbesondere bei langfristiger Gabe das Infektionsrisiko vor allem bei älteren Patienten deutlich. So ist das Risiko für schwere Infektionen bei einem Patienten mit rheumatoider Arthritis (Alter ≥ 65 Jahre) mit täglich 5 mg Prednison-Äquivalent über einen Zeitraum von drei Jahren um 100 % höher als bei einem Vergleichspatienten ohne systemische Glucocorticoid-Therapie.
Ein nützliches Tool, das individuelle Risiko für einen Patienten zu berechnen, unter einem Biologikum oder einer anderen DMARD-Therapie innerhalb der nächsten zwölf Monate eine schwere Infektion zu bekommen, ist der RABBIT-Risikoscore.
Patienten mit einer chronisch-entzündlichen, rheumatologischen Grunderkrankung haben eine erhöhte Prävalenz für Osteopenie, Osteoporose und damit einhergehend pathologischen Frakturen. Dies ist einerseits der inflammatorischen Erkrankung selbst, andererseits aber auch der zum Teil nicht vermeidbaren systemischen Glucocorticoid-Therapie geschuldet. Das Erkrankungsrisiko erhöht sich mit Krankheitsdauer, Krankheitsaktivität, damit einhergehender Immobilität und steigender Glucocorticoid-Gesamtdosis. Um diesem erhöhten Risiko Rechnung zu tragen, wird beispielsweise in den aktuellen Leitlinien des Dachverbandes Osteologie e. V. zur Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern die Art der Erkrankung (RA, axiale Spondyloarthritis und systemischer Lupus erythematodes) wie auch die der Therapie (systemische Glucocorticoid-Therapie inklusive Dauer und Dosierung) als unabhängiger Risikofaktor berücksichtigt.
Die Depression stellt trotz der bekannt hohen Prävalenz in der Rheumatologie noch eine unterschätzte Komorbidität dar. Einige Studien weisen auf ein Zusammenspiel von Zytokinen sowie Entstehung und Schweregrad einer Depression hin. Patienten mit rheumatoider Arthritis und der Komorbidität Depression berichten über vermehrt auftretende Fatigue, verstärkte Schmerzempfindung und eine insgesamt schlechtere Lebensqualität – ähnlich dem Niveau von Karzinompatienten. Depressionen verschlechtern das Therapieansprechen und somit die angestrebte Remission. Dies führt umgekehrt wiederum zu einer Verschlechterung der Depression im Sinne eines Circulus vitiosus. Insgesamt steigt somit die Mortalität entsprechend an.
FAZIT
Allen Komorbiditäten ist gemein, dass diese gesucht, erkannt und schließlich auch gezielt behandelt werden müssen. Dies hat nicht nur einen positiven Effekt auf die rheumatische Erkrankung an sich. Es steigert die Lebensqualität der Patienten und senkt deren Mortalitätsrisiko zum Teil bis auf das Niveau der Normalbevölkerung.
Der Autor
Dr. med. Florian Popp
Facharzt für Innere Medizin und Rheumatologie
82152 Planegg
florian.popp@rheumatologie-welcker.de
Der Autor
Dr. med. Martin Welcker
Facharzt für Innere Medizin, Rheumatologie, Osteologie DVO, Chirotherapie
82152 Planegg
Literatur bei den Autoren