Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sind mehr als mobile Apps, die auf dem Smartphone oder Tablet laufen. Es handelt sich um app- und/oder browserbasierte Anwendungen, die als Medizinprodukte speziell dafür entwickelt wurden, bei der Erkennung, Überwachung und Behandlung von Erkrankungen zu unterstützen. Für Ärzte und medizinisches Fachpersonal birgt das enorme Potenziale, aber auch Herausforderungen. Sarah Boppert, die als Ärztin bei HelloBetter im Team für Content und Research beschäftigt ist, erklärt im Interview, welche Anforderungen DiGA erfüllen müssen, wie sie in der Praxis sinnvoll eingesetzt werden können und welche Besonderheiten bei ihrer Verschreibung zu beachten sind.
Welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie für DiGA?
Das Einsatzspektrum von DiGA ist mittlerweile sehr vielfältig. Es erstreckt sich von der Überwachung und Behandlung körperlicher Erkrankungen aus einer Vielzahl medizinischer Disziplinen bis hin zur psychologischen Unterstützung bei psychischen Erkrankungen. DiGA können dabei sowohl als alleinstehende Therapie, als auch begleitend zu einer bestehenden Behandlung eingesetzt werden.
Was für Anforderungen müssen DiGA erfüllen?
Bevor DiGA zugelassen und ins DiGA-Verzeichnis aufgenommen werden können, müssen sie eine ganze Reihe von Anforderungen erfüllen. Dazu gehören strikte Anforderungen aus den Bereichen Sicherheit, Datenschutz, Interoperabilität, Robustheit und Verbraucherschutz. Diese hohen Standards sind erforderlich, um die Integrität der Patientendaten, die Wirksamkeit der Behandlung und die allgemeine Sicherheit und Anwendungsfreundlichkeit der Anwendung sicherzustellen. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen stellt neben dem Nachweis eines medizinischen Nutzens eine Grundvoraussetzung für die Zulassung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte BfArM dar.
Sind DiGA wirtschaftlich für eine Arztpraxis? Und wenn ja, warum?
Die Wirtschaftlichkeit von DiGA zeigt sich vor allem auf indirektem Weg. Gerade Betroffene psychischer Erkrankungen werden häufig mehrfach pro Quartal vorstellig und belasten die Praxisabläufe mit zahlreichen Kontakten, da sie eine frustrane Therapieplatzsuche erleben und die Symptomatik demnach häufig eher schlechter statt besser wird. Durch die Verordnung einer DiGA als Therapieoption können Sie diesen Betroffenen eine schnellere Behandlung anbieten, was auch Ihre Praxisabläufe deutlich entlasten wird.
Also dienen DiGA nicht nur als Überbrückungsmaßnahme beispielsweise für Patienten, die auf einen Reha- oder Psychotherapieplatz warten?
Nein, absolut nicht. Sie stellen sogar eine vollwertige, eigenständige Therapieoption dar. DiGA können bestehende Therapieansätze ergänzen und maximieren deren Wirksamkeit. Darüber hinaus ermöglichen DiGA eine systematische und hochwertige Nachsorge nach stationären Aufenthalten, was den Therapieerfolg nachhaltig sichern kann.
Wie sehen die Verordnungsmodalitäten aus?
Jede DiGA verfügt über eine individuelle Pharmazentralnummer (PZN), die zusammen mit dem Namen der DiGA und dem ICD-Code der Indikation auf dem Rezept zu vermerken ist. Im jeweiligen Praxisverwaltungssystem sind alle DiGA auffindbar. Nach Erhalt des Rezepts reicht der Patient dieses bei seiner gesetzlichen Krankenkasse ein und erhält daraufhin einen Zugangscode, um sich auf dem Online-Portal der Digitalen Gesundheitsanwendung anzumelden. Dieser Schritt ist obligatorisch und stellt sicher, dass die Krankenkasse die Kostenübernahme koordiniert. Ärzte sollten zudem eine Aufklärung des Patienten über die Funktionsweise und den erwarteten Nutzen der jeweiligen DiGA sicherstellen. Diese proaktive Kommunikation minimiert Fehlanwendungen und optimiert das Therapieergebnis.
Wie lässt sich sicherstellen, dass Ärzte die passende DiGA auswählen?
Die Auswahl der passenden DiGA erfordert fundierte Beratung durch das medizinische Fachpersonal. Sie sollten die DiGA erst nach einer gründlichen Anamnese und gemeinsamer Absprache mit dem Patienten einsetzen. Zu beachten ist, dass sowohl die technischen als auch die therapeutischen Eigenschaften der DiGA mit den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten des Patienten in Einklang stehen müssen. Dies bedeutet auch, dass bei der Auswahl einer DiGA mit den Patienten klären sollten, ob eine ausreichende digitale Affinität und ein ausreichendes Konzentrations- und Reflektionsvermögen besteht, um die DiGA eigenständig zu nutzen.
Wo findet das medizinische Fachpersonal Informationen, die Ihnen die Auswahl und Implementierung von DiGA erleichtern?
Im öffentlich einsehbaren DiGA-Verzeichnis sind alle zugelassenen DiGA und die wichtigsten Informationen dazu aufgeführt. Außerdem möchte ich an dieser Stelle gerne den Anbieter HelloBetter empfehlen, der ein Pionier im Bereich der Digitalen Gesundheitsanwendungen für psychische Erkrankungen ist. HelloBetter entstand aus einem Forschungsprojekt heraus und zeichnet sich durch eine fundierte wissenschaftliche Basis aus.
Neben den vielen positiven Aspekten: Gibt es auch Punkte, die Sie als kritisch beurteilen würden?
DiGA haben ein großes Potenzial, insbesondere bei der Behandlung psychischer Erkrankungen. Allerdings eignen sie sich nicht universell für alle Patienten oder Krankheitsbilder, weshalb eine auf Erfahrungswerten der Verschreiber basierende individuelle Entscheidungsfindung erfolgen sollte, um Betroffenen die bestmögliche und passendste Behandlung zu ermöglichen. Besonders im Bereich psychischer Erkrankungen liegen häufig Komorbiditäten vor, die von einer DiGA durch nur geringe Individualisierbarkeit zum Teil nicht ausreichend abgedeckt werden können. Insgesamt bieten DiGA jedoch einen großen Nutzen, gerade für Betroffene, die einen niedrigschwelligen, zeit- und ortsunabhängigen Zugang zu psychotherapeutischer Unterstützung suchen.