Neben einer Lebensstiländerung und medikamentösen Therapie spielen Psychopharmakotherapie sowie Psychotherapie beim Reizdarmsyndrom eine wesentliche Rolle. Für diese gibt es mittlerweile eine sehr gute Evidenz, sodass sie nicht nur in Tertiärzentren zum Einsatz kommen sollten.
Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine häufige funktionelle Störung des Verdauungssystems, die in Deutschland 15–22 % der Bevölkerung betrifft. Vor allem langwierige und schwere Verlaufsformen des RDS sind begleitet von psychischen bzw. psychosomatischen Komorbiditäten. Die häufigsten sind Angsterkrankungen (20–50 %), Depressionen (20–70 %) und andere (extraintestinale) funktionelle Störungen. Zwischen 15 und 48 % der Patienten mit RDS leiden zusätzlich an einer Somatisierungsstörung. Weiterhin gibt es Evidenz, dass eine schon vorhandene psychische/psychosomatische Erkrankung, wie eine Angststörung, das Risiko an einem RDS zu erkranken, erhöhen. So leiden Patienten mit klinisch relevanter Depression zu 25–59 %, Patienten mit einer Angststörung zu 26–37 % an einem RDS.
Das RDS führt vor allem in Verbindung mit psychischen Komorbiditäten zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität. Neben Lebensstiländerungen, diätetischen Verfahren und symptomatischer Medikation spielen in der Behandlung des RDS die medikamentöse Therapie mit Psychopharmaka sowie die Psychotherapie eine wesentliche Rolle.
Trizyklische Antidepressiva (TZA) werden häufig in der Therapie des RDS eingesetzt und auch in der deutschen Leitlinie empfohlen; hierbei ist insbesondere Amitriptylin zu nennen. Diese Medikamentengruppe wirkt als Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, hat jedoch auch modulierende Eigenschaften auf weitere Rezeptoren wie z. B. für Serotonin, Noradrenalin und Acetylcholin. TZA verbessern die globalen Symptome deutlich stärker als Kontrollkonditionen (z. B. Placebo, 11–37 %), wie in einer Metaanalyse gezeigt, in welche zwölf randomisierte, kontrollierte Studien an insgesamt 799 Patienten einflossen (s. Tab. 1). Weiterhin zeigte eine klinische Studie die Verbesserung der Diarrhoe-Beschwerden (Gefühl des Stuhlverlusts und der Inkontinenz) bei Patienten mit RDS-Diarrhoe im Vergleich zur Kontrollgruppe (n = 54). Da TZA zu einer Verlangsamung der Kolontransitzeit und einer Abnahme der Diarrhoefrequenz führen, sind diese vor allem für den RDS-Diarrhoe-Subtyp geeignet. Im Vergleich zu depressiven Störungen werden zur Therapie des RDS niedrigere Dosen der trizyklischen Antidepressiva (z. B. Amitriptylin bis 50 mg) empfohlen. Diese Dosis reicht aus, um die Schmerzwahrnehmung und das Unwohlsein zu lindern. Eine Beeinflussung der Schmerzen kann sowohl durch TZA als auch durch selektive Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) gelingen. Besteht jedoch eine Begleiterkrankung wie eine Depression oder eine Angsterkrankung, werden höhere Dosen gegeben (z. B. Amitriptylin bis 150 mg); oft wird dann jedoch als erste Wahl auf einen SSRI ausgewichen. Dies liegt auch am Nebenwirkungsprofil der trizyklischen Antidepressiva. Hier wurden in einer Metaanalyse vor allem Schleimhauttrockenheit (27 %), Schwindel (23 %), Verstopfung (22 %) und Schwitzen (14 %) beobachtet.
SSRI wie Fluoxetin, Paroxetin und Citalopram stützen sich auf eine breite Studienlage für die Verwendung beim RDS, dies spiegelt sich auch in der Empfehlung der deutschen Leitlinie wider. So konnte in einer aktuellen Metaanalyse gezeigt werden, dass SSRI die Symptome Schmerzen, schwere Blähungen und die Lebensqualität im Vergleich zur Placebo-Gruppe verbessern konnten. Weitere Studien zeigten, dass SSRI einen positiven Effekt auf das allgemeine Wohlbefinden und psychische Symptome haben. Eine weitere Metaanalyse ergab jedoch, dass SSRI keinen Effekt auf globale Symptome haben. Dementsprechend sollten SSRI beim RDS vor allem bei zusätzlicher psychischer Komorbidität gegeben werden.
Es konnte gezeigt werden, dass Fluoxetin abdominelles Unwohlsein und Blähungen reduziert sowie eine Abnahme der Stuhlkonsistenz bewirkt, weshalb es gern bei RDS-Obstipation eingesetzt wird. In einer aktuellen kleinen Studie zum Escitalopram (n = 9) konnte eine signifikante Reduktion der abdominellen Schmerzen im Vergleich zur Placebo-Gruppe beobachtet werden, sodass in den kommenden Jahren auch eine auf Metaanalysen basierende Empfehlung für diesen SSRI zu erwarten ist.
Bezüglich der Nebenwirkungen von SSRI steht vor allem ein prokinetischer Effekt im Vordergrund, welcher insbesondere beim RDS vom Diarrhoe-Typ störend sein könnte, beim obstipationsprädominanten RDS jedoch durchaus gewünscht ist. Weiterhin sind Übelkeit, Schlafprobleme und Agitation zu nennen.
Psychoedukation spielt eine wesentliche Rolle in der Behandlung des RDS. Für den weiteren Verlauf der Erkrankung sowie für den Therapieerfolg ist es essenziell, dass der Patient ausreichend über seine Erkrankung aufgeklärt wird. Die Patienten haben oftmals eine lange Leidensgeschichte mit diversen Arztbesuchen hinter sich. Auch werden häufig schlechte Erfahrungen mit Ärzten berichtet, da sich Patienten nicht ernst genommen fühlen. Damit die Patienten ein klareres Verständnis der Pathogenese sowie auch der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten bekommen, bedarf es eines empathischen Einfühlungsvermögens des Arztes. Häufig ist die Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung initial mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden; dieser zahlt sich im weiteren Verlauf jedoch aus, da Patienten mit einer stabilen Arzt-Patienten-Beziehung im Verlauf seltener Arztkontakte benötigen.
Im Rahmen der Psychoedukation sollte ein stimmiges Krankheitskonzept vermittelt werden. Hierbei sollte das RDS nicht als rein psychische Erkrankung beschrieben werden, sondern am besten über das biopsychosoziale Krankheitsmodell, in welchem biologische (z. B. Genetik, Epigenetik), aber auch psychische (z. B. frühere Erfahrungen) und soziale (z. B. aktuelle Belastungen) Faktoren eine Rolle spielen. Die Psychoedukation stellt hierbei die Weichen für eine erfolgreiche weitere Therapie (s. Tab.2).
Die Selbsthilfe bietet den Patienten eine gute Möglichkeit, sich mit ihrer Erkrankung im Sinne der Krankheitsverarbeitung auseinanderzusetzen, bereits hierdurch kann eine Symptomverbesserung erreicht werden. So beschrieb eine Studie an 71 Patienten, dass ein Selbsthilfe-Handbuch eine Steigerung der Lebensqualität bewirken kann (FDDQL-Score stieg von 49,3 auf 64,3). Ebenso nahmen Depressionen, Angststörungen und Somatisierungsstörungen im Laufe der Studienzeit ab. Eine andere Studie zeigte weiterhin, dass ein Selbsthilfe-Handbuch die Anzahl der Arztbesuche sowie die Symptomschwere reduzieren kann.
Eine der Psychotherapieformen mit der breitesten Studienlage beim RDS ist die kognitive Verhaltenstherapie. Sie zielt darauf ab, einerseits die Faktoren, die zur Entstehung beigetragen haben, aufzuarbeiten, andererseits, die Faktoren, welche die Krankheit aufrechterhalten, zu evaluieren. Neben den Symptomen stehen bei den Patienten häufig auch gesundheitsbezogene Ängste im Vordergrund. Gerade Symptome im Gastrointestinaltrakt wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder auch Durchfall bzw. Verstopfung können großes Unwohlsein verstärken. Das Unwohlsein verursacht einerseits die Angst vor einer schlimmen Erkrankung, andererseits auch die Sorge vor dem Auftreten der Symptome in ungünstigen, exponierten Momenten. Des Weiteren konzentrieren sich Patienten oftmals akribisch auf ihre Symptome und nehmen auch kleine Veränderungen sofort war. Dies kann zu einer Verschlimmerung der Symptome führen, sodass die Patienten ihre Beschwerden als besonders gravierend wahrnehmen. Es kann weiterhin zum Katastrophisieren kommen, die Patienten gehen vermehrt zum Arzt und der Teufelskreis schließt sich. Da die Beschwerden und Symptome im Verlauf immer mehr in den Mittelpunkt rücken, erleben die Patienten oftmals auch einen sozialen Rückzug bzw. eine Ausgrenzung. Die kognitive Verhaltenstherapie soll helfen, dieses Muster sichtbar zu machen und entsprechende Hilfsmaßnahmen zu erarbeiten. Die Patienten können ihre üblichen Verhaltensweisen beobachten und im Verlauf entsprechend Veränderungen ausprobieren. Hierdurch kann es zu einer Symptomkontrolle und Angstreduktion kommen.
Eine aktuelle Studie (n = 64) untersuchte die Wirksamkeit einer kognitiven Verhaltenstherapie (zusätzlich zur Medikation) im Vergleich zur rein medikamentösen Therapie und konnte zeigen, dass die Patienten, welche zusätzlich eine kognitive Verhaltenstherapie erhielten, eine deutliche Verbesserung ihrer Lebensqualität im Vergleich zur Kontrollgruppe angaben.
Auch für psychodynamische Therapieverfahren (tiefenpsychologische Psychotherapie und Psychoanalyse) gibt es mittlerweile eine gute Studienlage. Ein Review bezieht sich auf vier publizierte Studien mit insgesamt 555 Patienten, in welchen der Effekt der psychodynamischen Intervention im Vergleich zur Kontrollgruppe (zweimal übliche medizinische Versorgung, einmal supportive Therapie und einmal Paroxetin plus übliche medizinische Versorgung) untersucht wurde. Dabei zeigten zwei Studien eine Überlegenheit der psychodynamischen Therapie für alle Patienten, eine zeigte sie lediglich für Frauen und eine Studie zeigte keine Unterschiede. Die psychodynamische Therapie zielt auf das Aufarbeiten von inter- und intrapersonellen Konflikten. Diese wirken sich oftmals auf Symptomentstehung und -aufrechterhaltung aus und sollten somit auch im Einzel- oder Gruppensetting eine Rolle spielen.
Auch die Hypnotherapie wird zunehmend als wichtiger Baustein in der psychotherapeutischen Behandlung des RDS angesehen. Bei der Hypnotherapie induziert der Therapeut mittels Heterosuggestion einen veränderten Bewusstseinszustand beim Patienten. Die Hypnotherapie beim RDS sollte mindestens sechs bis zwölf Sitzungen zu je ca. 60 Minuten beinhalten, hierzu gibt es jedoch bisher kein einheitliches Therapiekonzept.
Eine Metaanalyse konnte zeigen, dass die Hypnotherapie eine Reduktion der gastrointestinalen Symptome sowie eine Verbesserung von Stimmung und Wohlbefinden erzielen kann. Insgesamt flossen dabei acht randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 404 Patienten ein. Dabei zeigten fünf Studien, dass die Patienten nach der Hypnotherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe ein gesteigertes allgemeines Wohlbefinden angaben. Insgesamt sprachen zwischen 24 und 73 % der Patienten auf die Hypnotherapie an. Ebenfalls konnte eine Verbesserung von Schmerzen, Blähungen und Stuhlgewohnheiten gezeigt werden. Die Hypnotherapie, oftmals als darmgerichtete Hypnose angeboten, kann bei allen Reizdarm-Subtypen eingesetzt werden (vor allem jedoch beim RDS mit Obstipation, beim Mischtyp sowie dem undefinierten Typ).
Ebenso wie andere psychotherapeutische Interventionen können Entspannungsverfahren ein Teil der Therapie beim RDS sein. Eine Studie untersuchte an 19 RDS-Patienten eine neunwöchige Entspannungsintervention, welche Verfahren wie Atemtechniken, Yoga und Meditation beinhaltete. Hierbei zeigten sich direkt nach der Intervention sowie nach einer Verlaufskontrolle drei Wochen später eine deutliche Minderung der Schmerzen, der Symptomschwere, des Angsterlebens sowie eine gesteigerte Lebensqualität. Entspannungsverfahren sollten jedoch nicht allein, sondern immer in Kombination mit anderen Verfahren (z. B. Pharmako- oder Psychotherapie) eingesetzt werden.
FAZIT:
Die Behandlung des RDS sollte individuell gewählt werden. Während bei Patienten mit leichten Verlaufsformen Aufklärung, Lebensstiländerung, diätetische Maßnahmen und eine symptomatische Medikation ausreichend sein können, gestaltet sich die Behandlung von Patienten mit schwereren und langwierigeren Verlaufsformen deutlich schwieriger. Bei diesen Patienten sollten Psychopharmaka wie trizyklische Antidepressiva oder SSRI zum Einsatz kommen; für beide gibt es mittlerweile sehr gute Evidenz, sodass der Off-Label-Einsatz (Zulassungsstudien werden in Anbetracht des Alters der Wirkstoffe nicht mehr durchgeführt werden) nicht gescheut werden sollte. Nicht zuletzt sollten psychotherapeutische Verfahren zur Anwendung kommen; diese haben von allen in der Therapie des RDS zum Einsatz kommenden Optionen die geringste und damit günstigste „number needed to treat“.
Die Autorin
Larissa Hetterich
Studentin und Promovendin Innere Medizin VI
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universitätsklinikum
Tübingen
Der Autor
Prof. Dr. med. Andreas Stengel
Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Psychosomatik, Centrum für Innere Medizin und Dermatologie, Charité
Universitätsmedizin
Berlin
Literatur bei den Autoren