Aus der Praxis, für die Praxis – Rechtsanwältin Andrea Schannath, Justiziarin des Virchowbundes, beantwortet ausgewählte Fragen.
Aufklärung eine halbe Stunde vor Operation zulässig?
Herr Dr. Z. aus Hannover wendet sich mit dieser Frage an uns:
„Eine Patientin von mir litt unter mehreren Augenbeschwerden, unter anderem starker Kurzsichtigkeit, erhöhtem Augeninnendruck und Trübung einer Linse. Ich habe ihr deshalb bei einem Auge eine Linse mit mehreren Sehstärken eingesetzt, sie aber erst 30 Minuten vor der Operation aufgeklärt. Kurze Zeit nach der OP kam es zu einer wesentlichen Verschlechterung der Sehfähigkeit auf nur noch 25 %. Die Patientin gibt mir hierfür die Schuld; mir sei ein Fehler bei der Behandlung unterlaufen. Außerdem habe ich sie nicht ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt, weshalb sie sich nicht für eine andere, weniger riskante Behandlung entschieden habe. Sie verklagt mich jetzt auf ein angemessenes Schmerzensgeld. Kann sie Erfolg haben?“
Frau Schannath: „Die Einwilligung eines Patienten in einen ärztlichen Eingriff ist nur dann wirksam, wenn der Arzt zuvor verständlich und ausführlich über die Risiken der OP aufgeklärt hat. Die Aufklärung muss auch so frühzeitig sein, dass dem Patienten für die Entscheidung genügend Bedenkzeit verbleibt. Ein Aufklärungsgespräch erst am Tag der Operation oder sogar erst während der OP-Vorbereitung ist wegen des bestehenden Zeitdrucks grundsätzlich verspätet. Daher ist die durchgeführte Operation rechtswidrig. Das hat das Landgericht Frankenthal am 30.05.2022 (Az.: 4 O 147/21) in einem vergleichbaren Fall entschieden. Zwar konnte durch einen Sachverständigen hier nicht festgestellt werden, dass die Operation fehlerhaft abgelaufen war. Allerdings sei der Eingriff bereits wegen fehlender wirksamer Einwilligung rechtswidrig gewesen. Der Arzt habe nicht beweisen können, dass die Patientin vor der OP rechtzeitig und ausreichend aufgeklärt worden war. Nach dem eigenen Vortrag des Arztes habe das Aufklärungsgespräch erst am OP-Tag, etwa eine halbe Stunde vor dem Eingriff im Zuge einer vorbereitenden Untersuchung stattgefunden. Das sei nicht ausreichend, um einem Patienten eine freie Entscheidung für oder gegen eine Operation ohne Zeitdruck zu ermöglichen.“
Kann man bei unterdurchschnittlicher Leistung kündigen?
Frau Dr. P. aus Berlin hat folgendes Problem:
„Wir sind eine große Laborpraxis und haben in einer Betriebsvereinbarung eine Basisleistung festgelegt, die mit dem Grundlohn vergütet wird. Eine Mitarbeiterin erreicht in keinem Monat die Basisleistung von 100 %. Das können wir nachweisen. Wir haben sie schon zweimal abgemahnt und möchten jetzt kündigen. Ist das möglich?“
Frau Schannath: „Wenn ein Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum nachweisbar weniger leistet als andere, kann das im Einzelfall eine Kündigung rechtfertigen. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln am 03.05.2022 (Az.: 4 Sa 548/21) in einem vergleichbaren Fall entschieden. Der Arbeitgeber konnte hier darlegen, dass ein Mann die Durchschnittsleistung vergleichbarer Arbeitnehmer über einen längeren Zeitraum um deutlich mehr als ein Drittel unterschritten hatte. Die Kündigung war somit gerechtfertigt. Es sei Sache des Mannes, das Zahlenwerk und seine Aussagefähigkeit im Einzelnen zu bestreiten oder darzulegen, warum er mit seiner deutlich unterdurchschnittlichen Leistung dennoch seine persönliche Leistungsfähigkeit ausschöpft. Die pauschale Angabe des Mannes, er sei systematisch benachteiligt worden, überzeugte das Gericht nicht. Die Kündigung war rechtmäßig.“
Weitergabe der IP-Adresse an Google zulässig?
Frau Dr. P. aus Berlin stellt uns diese Frage:
„Bei Aufruf meiner Praxisinternetseite wird die dynamische IP-Adresse des Nutzers automatisch an Google weitergeleitet. Ein Patient hat davon erfahren und fordert von mir, das zu unterlassen und möchte auch noch Schadenersatz von mir. Ist das rechtens?“
Frau Schannath: „Wird die dynamische IP-Adresse eines Webseitennutzers automatisch an Google weitergeleitet, so liegt darin ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht. Dies begründet nicht nur einen Unterlassungsanspruch, sondern auch einen Schadenersatzanspruch in Höhe von 100 Euro. Dies hat das Landgericht München I am 20.01.2022 (Az.: 3 = 17493/20) entschieden.
Die Weitergabe der IP-Adressen sei nach Auffassung der Richter nicht gerechtfertigt. Denn Google Fonts könne auch genutzt werden, ohne dass beim Aufruf der Webseite eine Verbindung zum Google-Server hergestellt wird und eine Übertragung der IP-Adresse der Webseitennutzer an Google stattfindet.
Dem Webseitennutzer stehe zudem gemäß DSGVO ein Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von 100 Euro zu. Das Gericht gab zu bedenken, dass Google ein Unternehmen sei, das Daten über seine Nutzer sammelt. Der mit der Weitergabe der IP-Adresse vom Nutzer empfundene Kontrollverlust sei damit erheblich. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Server von Google in den USA stehen, in denen kein angemessener Datenschutz gewährleistet wird und die Schadenersatzhaftung präventiv wirken soll.“
Die Expertin
Andrea Schannath
Rechtsanwältin und Justiziarin des VirchowBunds
Chausseestr. 119 b
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Tel.: +49 (0)30 - 288 774 125
Der Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands berät seine Mitglieder in Niederlassung und Anstellung in allen Rechtsbereichen, insbesondere im Berufs-, Arbeits-, Miet- und Gesellschaftsrecht.
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