Wenn Sie bemerken, dass ein Patient unvernünftig handeln könnte, ist Vorsicht geboten. Sie sollten dann sorgfältig aufklären, insbesondere darüber, was Patienten bei Nichtbeachtung der medizinischen Empfehlungen droht. Und alles sorgfältig dokumentieren – sonst drohen Probleme.
Wer kennt ihn nicht, den uneinsichtigen Patienten, der erst den ärztlichen Rat missachtet und sich später beschwert, die Therapie habe nicht geholfen. Noch ärgerlicher ist, wenn ein Arzt für die Verschlechterung des Krankheitszustandes verantwortlich gemacht wird, obwohl er zuvor zu bestimmten Maßnahmen geraten hat, der Patient sich daran allerdings nicht halten wollte. Die beim Patienten entstandenen Schäden sind in solchen Fällen nicht selten vom Arzt auszugleichen.
Letztlich kann jeder Patient aufgrund eigener Entscheidung ein Krankenhaus verlassen, bevor die stationäre Versorgung von ärztlicher Seite abgeschlossen ist (Ausnahmen können, wie COVID-19 zeigte, bei Infektionskrankheiten, also einer möglichen Fremdgefährdung, oder bei nicht einwilligungsfähigen Patienten bestehen). Diese Patientenautonomie ist eine wichtige Säule unseres Gesundheitssystems und Folge des im Grundgesetz verankerten Selbstbestimmungsrechts.
Wenngleich der Ärzteschaft durchaus erhebliche Fürsorgepflichten zugunsten ihrer Patienten zukommen, darf es den Arzt, der seine Patienten gegen deren Willen zu bestimmten Behandlungsmaßnahmen zwingt, nicht geben (in bestimmten Ausnahmefällen sind zwar ärztliche Zwangsmaßnahmen denkbar, diese setzen jedoch u. a. eine gerichtliche Genehmigung voraus). Somit bleibt es dem Patienten unbenommen, das Krankenhaus zu verlassen, bevor der behandelnde Arzt dies für medizinisch sinnvoll hält. Der Volksmund spricht dabei häufig von der „Entlassung gegen ärztlichen Rat“. Der Arzt hat die Entscheidung des Patienten hinzunehmen, muss sie aber nicht gutheißen.
Was passiert nun, wenn beispielsweise der Patient kurz nach Verlassen der Klinik gegen ärztlichen Rat kollabiert und schwere Schäden davonträgt? Kann dies dem Klinikarzt angelastet werden?
Nun könnte man anführen, dass sei nun einmal das Risiko des selbstbestimmten Patienten. So einfach ist es haftungsrechtlich jedoch (leider) nicht: Um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, muss der Patient wissen, welche Risiken er damit eingeht. Diese kann ihm letztlich nur sein Arzt erläutern. Sollte eine sorgsame Erläuterung der Risiken von Non-Compliance versäumt worden sein, hat der Patient im Haftungsprozess sehr gute Karten.
Zur Veranschaulichung sei folgender Fall geschildert, den das Oberlandesgericht Köln mit Urteil vom 6. Juni 2012 (Az.: I-5 U 28/10) entschieden hat: Ein Patient, der an Herzmuskelschwäche und schweren Herzrhythmusstörungen leidet, wird in einem Krankenhaus behandelt. Im Zuge des stationären Aufenthalts stellen die Ärzte seine Medikation um. Der Patient verlässt, obwohl ihm der behandelnde Arzt davon abrät, das Krankenhaus. Der Arzt trägt später im Haftungsprozess vor, er habe den Patienten dringend ermahnt, sich bei Zunahme der Rhythmusstörungen sofort wieder vorzustellen, was sich so auch aus der Behandlungsdokumentation ersehen lässt. Nach Verlassen der Klinik erleidet der Patient schwere Herzrhythmusstörungen, die einen schweren Hirnschaden mit Tetraparese bei Wachkoma herbeiführten.
Im Haftungsprozess obsiegt der Patient, ihm wird Schadensersatz im oberen sechsstelligen Bereich zugesprochen. Zur Begründung führt das Oberlandesgericht Köln aus, der Patient wäre darüber aufzuklären gewesen, „dass die gesundheitliche Entwicklung zurzeit nicht abgeschätzt werden könne, dass es erneut zu erheblichen Rhythmusstörungen mit Konsequenzen bis hin zum Tode kommen könne, dass die Wirkweise der neu verordneten Medikation ungewiss und dass es unsicher sei, ob die Rhythmusstörungen dadurch weniger oder sogar mehr würden“. Dies, stellte das Gericht fest, sei nicht erfolgt. Der Arzt konnte auch nicht, was in Haftungsprozessen häufig noch ein argumentativer Ausweg für die Behandlerseite ist, plausibel darlegen, dass der Patient das Krankenhaus auch im Fall eines Hinweises auf das gesteigerte Risiko verlassen hätte.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln belegt eindrücklich, wie wichtig eine ausführliche Aufklärung ist. Vor der Behandlung muss der Arzt den Patienten rechtzeitig über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufklären. Nach § 630e Abs. 1 S. 2 BGB zählen dazu unter anderem „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“.
Während bzw. nach der Behandlung muss der Arzt den Patienten dann therapeutisch aufklären, u. a. damit der Behandlungserfolg gesichert werden kann (z. B., dass sechs Wochen nach der Therapie kein Sport getrieben werden darf). § 630c Abs. 2 S. 1 BGB spricht insofern von der Verpflichtung des Behandelnden, „dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen“.
Eine sorgsame Sicherungsaufklärung ist nicht nur für den stationären, sondern auch den ambulanten Bereich bedeutsam. Der niedergelassene Arzt hat seinen Patienten darauf hinzuweisen, was drohen kann, wenn er sich nicht an die ärztlichen Empfehlungen hält und beispielsweise seine Medikamente nicht regelmäßig nimmt oder sein Bein zu früh wieder belastet.
Dennoch mündet eine unzureichende Sicherungsaufklärung nicht zwangsläufig in der Haftung des Arztes: der Patient muss im Gerichtsprozess beweisen, dass die Sicherungsaufklärung nicht oder nicht ausreichend erfolgt ist (bei Aufklärungsfehlern hinsichtlich des Risikos eines Eingriffs ist hingegen der Arzt in der Pflicht darzulegen, dass er ordnungsgemäß aufgeklärt hat).
Allerdings besteht im Zuge der Sicherungsaufklärung – wie auch bei Behandlungsfehlern – die Gefahr einer Beweislastumkehr, wenn das Versäumen einer ordnungsgemäßen Sicherungsaufklärung ein grober Fehler war. Dies ist dann anzunehmen, wenn die konkrete Aufklärung besonders dringlicher Behandlungs- oder Diagnosemaßnahmen dient und das Nichtergreifen dieser Maßnahmen zu gravierenden Schäden führen kann. Im Falle einer Beweislastumkehr ist eine Entlastung des Arztes im Prozess nur noch äußert schwierig möglich.
Wie bereits aufgezeigt, ist es wichtig, den Patienten sorgfältig zu informieren, insbesondere wenn sich abzeichnet, dass dieser dem ärztlichen Rat nicht folgen möchte. Eine ordnungsgemäße Aufklärung allein ist haftungsprophylaktisch jedoch wenig wert. Die Aufklärung muss auch entsprechend dokumentiert werden. So kann der Arzt anhand seiner Dokumentation nachweisen, dass er bestimmte Maßnahmen durchgeführt hat. Der Pflichtinhalt einer ärztlichen Dokumentation ist in § 630f Abs. 2 S. 1 BGB niedergelegt. Dort heißt es wörtlich: „Der Behandelnde ist verpflichtet, in der Patientenakte sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und deren Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen.“
Sollte es hingegen an dokumentierten Inhalten fehlen, kann dem Arzt der Grundsatz „was nicht dokumentiert ist, gilt als nicht gemacht“ zum Verhängnis werden (vgl. § 630h Abs. 3 BGB). Zwar handelt es sich dabei lediglich um eine Vermutung, d. h., der Arzt kann die tatsächliche Durchführung der Sicherungsaufklärung im Zuge eines Haftungsprozesses auch mit anderen Beweismitteln belegen. Meist fehlt es jedoch an Zeugen für eine ordnungsgemäße Aufklärung oder die Zeugen (z. B. Pflegekräfte) können sich schlicht nicht mehr an den genauen Inhalt der Aufklärung erinnern, was nach mehreren Jahren durchaus nachvollziehbar ist. Außerdem hat der betroffene Patient das Recht, umfassend Einsicht in seine Behandlungsunterlagen zu nehmen (vgl. § 630g BGB), was dem Patienten ermöglicht, etwaige Aufklärungsversäumnisse aufzudecken. Lücken in der Dokumentation erschweren somit den Nachweis erheblich, dass ein Arzt korrekt aufgeklärt hat. Deshalb empfiehlt es sich, auf Formulare zurückzugreifen.
Im stationären Bereich sind gesonderte Aufklärungsbögen zur „Entlassung gegen ärztlichen Rat“ nichts Unübliches. Allerdings können auch in Arztpraxen Formulare vorgehalten werden, die die Sicherungsaufklärung zum Gegenstand haben und durch die Patienten beispielsweise darauf hingewiesen werden, für eine bestimmte Zeit nicht Auto fahren zu dürfen. Durch systematisierte Abläufe (> Praxismanagement) lässt sich eine ordnungsgemäße und umfassende Dokumentation in den Griff bekommen.
Läuft der Haftungsstreit bereits, ist es für die Behandlerseite bei Non-Compliance des Patienten besonders wichtig, dass der Einwand des Mitverschuldens des Patienten vorgetragen wird. So kann der Schadensersatz sich anteilig dadurch reduzieren, dass der Patient bei der Entstehung des Schadens schuldhaft mitgewirkt hat, beispielsweise weil er den ärztlichen Rat bewusst missachtet hat.
Fazit
Sollte der Arzt somit bemerken, dass sein Patient unvernünftig handeln könnte, ist Vorsicht geboten. Der Arzt sollte dann besonders sorgfältig aufklären, insbesondere darüber, was dem Patienten bei Nichtbeachtung der medizinischen Empfehlungen droht, und versuchen, den Patienten „zur Vernunft zu bringen“. All dies sollte der Arzt sehr sorgsam dokumentieren. Sofern der Arzt das beherzigt, kann ihm eine Verschlechterung des Krankheitszustandes, die auf der autonomen Entscheidung des Patienten beruht, nicht angelastet werden (> Medizinrecht).
Der Autor
Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim
Literatur beim Autor
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