Nur wenn die Behandlungsdokumentation fälschungssicher geführt wird, kommt ihr im Fall eines Rechtsstreits positive Indizwirkung zu. Dies hat der BGH mit einem Urteil höchstrichterlich geklärt. Die Verwendung einer entsprechenden Software ist somit kein bloßes „nice to have“, sondern im Zweifelsfall streitentscheidend.
Verwendet ein Arzt zur Dokumentation der Behandlung seiner Patienten eine nicht veränderungsgeschützte und damit nicht fälschungssichere Dokumentations-Software, kann dies erhebliche haftungsrechtliche Konsequenzen haben. Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte sich in seinem Urteil vom 27.04.2021 (Az. VI ZR 84/19) mit den Anforderungen an eine elektronische Patientendokumentation und deren haftungsrechtlichen Beweiswert im Arzthaftungsprozess auseinander.
Der Fall
Ein Patient war im November 2013 mit plötzlich auftretenden schwarzen Flecken im Sichtfeld des linken Auges bei seiner Augenärztin vorstellig geworden. Nach ihrer Untersuchung erklärte die Ärztin dem Patienten, dass es sich bei seinen Beschwerden um eine altersbedingte Erscheinung aufgrund einer Glaskörpertrübung handle und er sich keine Sorgen machen müsse. Im Februar 2014 wurde bei einem Optikertermin ein Netzhautriss festgestellt, woraufhin sich der Patient erneut bei der Augenärztin vorstellte.
Die Augenärztin diagnostizierte eine Netzhautablösung und riet dem Patienten, sich notfallmäßig in ein Krankenhaus zu begeben. Im Anschluss an die daraufhin erforderliche Operation traten Komplikationen auf, der Patient erblindete auf einem Auge.
Im Rahmen des Arzthaftungsprozesses warf der Patient seiner Augenärztin vor, bei der Untersuchung im November 2013 den Netzhautriss übersehen zu haben. Er behauptete, die Ärztin hätte es versäumt, vor der Untersuchung eine Pupillenerweiterung zu veranlassen. Deshalb sei eine ordnungsgemäße Untersuchung des Augenhintergrunds nicht möglich gewesen. Er verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld bei einem Streitwert in Höhe von insgesamt 250.000 Euro. Die beklagte Augenärztin berief sich zu ihrer Verteidigung auf ihre Behandlungsdokumentation, aus der sich ergab, dass die Untersuchung nach Pupillenerweiterung („Pup. in medikam. Mydriasis“) stattgefunden hat. Obwohl die Behandlungsdokumentation der Augenärztin mit einer Dokumentations-Software erstellt worden war, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar machte, wiesen sowohl das Landgericht als auch das Berufungsgericht die Klage des Patienten zunächst mit Verweis auf den Eintrag in der Behandlungsdokumentation ab.
BGH-Entscheidung: Keine Indizwirkung bei nicht fälschungssicherer Software
Diese Entscheidung hob der BGH mit seinem Urteil vom 27.04.2021 auf. Einer elektronischen Behandlungsdokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht und damit nicht fälschungssicher ist, komme – so der BGH – keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden auch tatsächlich durchgeführt wurde. Dies gelte auch dann, wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlegt, dass die Dokumentation nachträglich geändert worden ist.
Die Augenärztin konnte im vorliegenden Fall somit nicht nachweisen, dass die (laut Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zwingend gebotene) Untersuchung nach Pupillenerweiterung erfolgt war. Der BGH bejahte deshalb das Vorliegen eines Befunderhebungsfehlers. Über den Haftungsumfang muss das Berufungsgericht unter Berücksichtigung der Entscheidung des BGH nun erneut entscheiden.
Beweiserheblichkeit der Behandlungsdokumentation
Die ordnungsgemäße und rechtssichere Dokumentation der Behandlung ist nicht selten das maßgebliche Entscheidungskriterium für den positiven – oder auch negativen – Ausgang eines Arzthaftungsprozesses. Denn die Behandlungsdokumentation ist das wichtigste prozessuale Beweismittel des Arztes. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass einer ordnungsgemäß geführten Dokumentation grundsätzlich Indizwirkung zugunsten der Behandlerseite zukomme. Der Patient bleibt daher für seine der Behandlungsdokumentation widersprechenden Behauptungen regelmäßig beweisfällig (> Medizinrecht).
Gesetzliche Anforderungen an die Behandlungsdokumentation
Gemäß § 630f BGB ist der Behandelnde verpflichtet, eine Patientenakte in Papierform oder elektronisch zu führen. Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Nachträgliche Änderungen in der Behandlungsdokumentation sind also nicht grundsätzlich verboten, müssen aber kenntlich gemacht werden. Werden Änderungen im dokumentierten Text durch Berichtigungen, Ergänzungen, Streichungen o. Ä. vorgenommen, müssen sowohl der ursprüngliche Inhalt der Dokumentation wie auch das Änderungsdatum erkennbar bleiben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behandlungsdokumentation handschriftlich oder elektronisch geführt wird. Das Gesetz verlangt mithin die Verwendung einer fälschungssicheren Software, welche bei Änderungen die ursprünglichen Einträge erhält und die vorgenommenen Änderungen automatisch sichtbar macht (> eHealth). Die Verwendung einer EDV-Dokumentation ohne Sicherung gegen Veränderungen ist dagegen nicht mehr zulässig. Es sollte zudem unbedingt geprüft werden, ob ein vorhandenes Änderungsprotokoll zunächst aktiviert werden muss.
Nachdem lange unklar war, welche Folgen ein Verstoß gegen diese Vorschrift hat, sind mit dem oben dargestellten Urteil des BGH die rechtlichen Konsequenzen einer nicht fälschungssicheren Behandlungsdokumentation nunmehr höchstrichterlich geklärt.
FAZIT:
Wird vom Arzt eine elektronische Patientendokumentation geführt, sollte unbedingt eine Dokumentations-Software verwendet werden, die nachträgliche Änderungen kenntlich macht. Zur Gewährleistung dieses Kriteriums empfiehlt die Bundesärztekammer, sich beim Erwerb einer Software vom Hersteller schriftlich bestätigen zu lassen, dass die Software die Anforderungen des § 630f BGB erfüllt (vgl. „Hinweise und Empfehlungen zur ärztlichen Schweigepflicht, Datenschutz und Datenverarbeitung in der Arztpraxis“, Deutsches Ärzteblatt vom 09.03.2018). Nur wenn die Fälschungssicherheit gewährleistet ist, kommt der Behandlungsdokumentation im Zuge eines Arzthaftungsprozesses eine positive Indizwirkung zu.
Die Autorin
Kathrin Schmidt-Troje, LL.M.
Rechtsanwältin
Kanzlei Ulsenheimer • Friederich
80333 München
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