Ärgern ist eine häufige Reaktion auf unliebsame Situationen in der Praxis. Das Schlimme daran: Ärger kostet wertvolle Energie. Wer sich häufig ärgert, spürt die körperliche und mentale Reaktion als permanenten Energiefresser und damit Verlust von Lebensfreude und Kraft. Dieser Beitrag gibt Tipps zur Prävention.
Wer kennt das nicht in seinem Praxisalltag? Frustriert sein über eine unsinnige Vorgabe, Verdruss und Empörung über eine behördliche Nachricht, Unmut über eine Patientin oder eine Ärgerempfindung über Mitarbeiter: diese spontanen, inneren, emotionalen Gemütszustände sind alle Varianten derselben Emotion. Reaktiv wird eine Situation oder Person – meistens spontan – negativ bewertet und drückt die Unzufriedenheit mit einem unerwünschten Ereignis aus. Die entsprechenden Situationen treten meist unerwartet auf, werden als extrem unangenehm erlebt und sind vor allem dadurch charakterisiert, dass sie Aktivitäten behindern oder blockieren und als äußerst unfair, ungerecht und unangenehm erlebt werden. Auch wenn die Ärgerspirale rasch wieder abnimmt, ist die Empfindung körperlich durchaus heftig, und vor allem: sichtbar.
Auf den Anthropologen Julius Victor Carus (1823–1903) geht die Physiognomie-Beschreibung des Ärgers zurück, die uns heute schmunzeln lässt, obwohl sie an Aktualität nichts verloren hat.
Mimik: „Stirnrunzeln mit etwas herabgezogenen Mundwinkeln, eine gewisse Neigung zum Vorstrecken der Lippen, der Mund wird gewöhnlich mit Festigkeit geschlossen, die Zähne werden fest aufeinander geschlossen oder sie knirschen, (aber auch) Lippen zurückgezogen, wodurch die grinsenden und aufeinandergebissenen Zähne gezeigt werden, Stirnrunzeln an den Augenbrauen, Nasenflügel etwas erhoben.“
Stimme: „Schreien, die Stimme erstickt in der Kehle, oder sie wird laut, harsch und unharmonisch.“
Körperbewegungen, Haltung und Gestik: „Häufig zittert der ganze Körper, … schreitet auf und ab, schüttelt seine geballte Faust, Kopf aufrecht, Brust ordentlich gehoben, Füße fest auf den Boden gestellt, einen oder beide Ellbogen eingestemmt oder mit den Armen starr an den Seiten herabhängend, die Fäuste gewöhnlich geballt.“
Atmung: „Die Respiration ist beschwerlich, die Brust hebt sich schwer, scharfe Atemzüge.“
Kardiovaskuläres System: „Thätigkeit des Herzens bedeutend beschleunigt, immer ist das Herz und die Circulation afficirt.“ „Das Gesicht ist geröthet oder es wird purpurn in Folge des verhinderten Rückflusses des Blutes oder kann auch todtenbleich werden.“
Muskeln: „Zittern der Muskeln, unwillkürliches Emporsträuben des Haares, häufig zittert der ganze Körper, das gereizte Gehirn gibt den Muskeln Kraft.“
Typische Ärgerfallen erkennen
Festzuhalten ist, Ärger tut uns nicht gut, vor allem nicht, wenn er wiederholt und häufig auftritt. Zudem potenziert sich Ärger oft dadurch, dass wir die ärgerliche Situation erneut durchleben, indem wir sie einem Kollegen oder der Familie am Abend zu Hause erzählen. Wir glauben, wir würden uns erleichtern, indem wir es anderen erzählen, was grundsätzlich stimmen kann. Wird aber das Jammern, Klagen und Lamentieren über den Ärger des Tages zur Dauerschleife, lösen wir jedes Mal die Produktion von Stresshormonen aus, die den Herzschlag beschleunigen und den Blutdruck in die Höhe treiben (> kardiovaskuläre Erkrankungen). Bei Dauerstress und chronischem Ärger steigt der krankmachende Cortisolspiegel.
Es gibt unzählige Situationen, die uns aufregen können. Mal kommt eine Praxismitarbeiterin eine halbe Stunde zu spät, mal hängt ein Strafzettel wegen Falschparkens am Auto, mal nervt ein Laubbläser vor dem Fenster stundenlang. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, an manchen Tagen braucht es auch nur einen Blick in die Zeitung. Dass jemand oder etwas die Macht hat, in uns Ärger auszulösen, ist ein Phänomen, dass es zu betrachten gilt. Aber wie lange ich mich ärgern „muss“, das ist eine Grundsatzfrage. Niemand kann uns ärgern, wenn wir ihm/ihr oder der Situation nicht die Macht dazu geben. „Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nutzen“ wusste schon Kurt Tucholsky.
Wie kann eine „Ärgerprophylaxe“ aussehen?
Das Wort ÄRGER beginnt mit dem Buchstaben „Ä“ wie ÄNDERN. Wer beschließt, sich nicht mehr ärgern zu wollen – und das lohnt sich nicht nur aus gesundheitlicher Sicht – braucht Strategien und etwas Übung, um künftig gelassener und gleichmütiger „Ärger auslösenden Situationen“ zu begegnen. Der meiste Ärger entsteht einfach in uns selbst. Gefühle entstehen durch Gedanken und Bewertungen. Wir selbst sind für diese Gedanken und Gefühle verantwortlich. Das Gute daran ist, dass wir es dadurch auch selbst in der Hand haben, etwas zu ändern. Aus der „Schatzkiste unserer Möglichkeiten“:
Im Yoga heißt der aufrechte Stand „Berg-Position“ (Abb.). Üben wir die gute Verwurzelung über die Füße und eine kraftvolle Körperhaltung in kritischen Situationen einzusetzen, so hilft uns das sehr, eine zuversichtliche, gelassene und ruhige Verfassung einzuüben und dem Ärger keine Chance zu geben. Das hier abgebildete Yoga-Asana Urdhva Hastasana erweckt ein Gefühl der Stärke und Stabilität; es löst Verspannungen im Nackenbereich (> Sportmedizin).
Ärgerprophylaxe ist ein Teil der schützenden Selbstfürsorge, sich vor allem vor negativen und schädigenden Einflüssen wie Verdruss und Zorn zu schützen und sensibel darauf zu reagieren. Das kontinuierliche Einüben der Gelassenheit und Gemütsruhe gehört dazu. Manche Dinge nerven uns jeden Tag aufs Neue. Wenn wir aber schon damit rechnen können, dass sie wieder passieren, ist es dann nicht dumm, sich darüber noch aufzuregen? Nutzen wir unseren eigenen Einfluss bei Aufgeregtheit, Empörung und Gefühlserschütterung. Leider können wir vieles im Leben nicht beeinflussen und nur einen guten Umgang damit finden. Aber anderes können wir beeinflussen, insbesondere, wie klug und wie angemessen wir uns mit den täglichen Ärgernissen auseinandersetzen.
Die Autorin
Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)
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