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Gynäkologie

Prävention und Anti-Aging-Medizin

Wo sind die Grenzen unserer Lebenserwartung?

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk

17.4.2025

Die Frage, ob die menschliche Lebensspanne eine natürliche Obergrenze besitzt, ist Gegenstand intensiver Forschung. Die Antwort hat nicht nur medizinische Implikationen, sondern auch gesellschaftliche. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin fasst den aktuellen Wissensstand zusammen.

Die Lebenserwartung bei Geburt lag vor dem 19. Jahrhundert weltweit zwischen 20 und 50 Jahren, bevor sie durch Fortschritte in der Infektiologie, der Ernährungswissenschaft und der medizinischen Versorgung rapide anstieg. Im 20. Jahrhundert wurde eine durchschnittliche Zunahme der Lebenserwartung um 3 Jahre pro Dekade beobachtet. Gibt es eine Obergrenze?

Wenn man über Lebenserwartung spricht, muss man eine Frau nennen, die hier eine Marke gesetzt hat: Jeanne Calment. Sie starb am 4. August 1997 mit 122 Jahren und 164 Tagen (44 724 Tagen), der bis heute längsten validierten Lebensspanne. Und seitdem ist niemand älter geworden – sie ist also immer noch das „Postergirl“ der Longevity-Medizin.

Und das ist deshalb bemerkenswert, weil die durchschnittliche Lebenserwartung ja immer weiter steigt. Aber die maximale Lebenserwartung ist in den vergangenen 28 Jahren nicht weiter angestiegen. Das scheint so ein wenig die biologische Obergrenze zu sein, die wir erreichen können. Auch wenn das wahrscheinlich nur wenige erreichen werden.

Healthspan vs. Lifespan

Beim Altern geht es nicht nur darum, dem Leben Jahre hinzuzufügen – es geht darum, sicherzustellen, dass diese Jahre mit Vitalität, Unabhängigkeit und Freiheit von chronischen Krankheiten gefüllt sind. Die Lebenserwartung (Lifespan) misst die Gesamtzahl der Jahre, die wir leben, sagt aber nichts über die Lebensqualität. Die Gesundheitsspanne (Healthspan) bezieht sich dagegen auf die Zeitspanne im Leben, die man frei von chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder erheblichem körperlichen ­Verfall bleibt (Abb.). Eine Studie auf Basis von WHO-Daten von 2000 bis 2019 ergab eine Zunahme der Lebenserwartung von 79,2 auf 80,7 Jahre bei Frauen und von 74,1 auf 76,3 Jahre bei Männern [1]. Die Studie deckte jedoch auch einen besorgniserregenden Trend auf: Die Kluft zwischen Lebenserwartung und Gesundheitsspanne vergrößerte sich um 13 % und erreichte einen Durchschnitt von 9,6 Jahren. Das bedeutet: Während die Lebenserwartung weiter steigt, werden viele dieser zusätzlichen Jahre oft bei schlechter Gesundheit verbracht.

Ein zentrales Problem bei der Verlängerung der ­Lebenserwartung ist die notwendige Reduktion der Sterblichkeitsraten in allen Altersgruppen. Eine Verlängerung der Lebenserwartung um nur ein weiteres Jahr erfordert mittlerweile eine Reduktion der Gesamtmortalität um 20,3 % bei Frauen und 9,5 % bei Männern [2]. Die Sterbewahrscheinlichkeit im hohen Alter kann trotz medizinischer Fortschritte nur noch begrenzt reduziert werden.

Im Zuge der präventiven Medizin sind 120 Jahre wohl die Obergrenze. Eine bedeutende Erhöhung der maximalen Lebensspanne wäre nur durch eine drastische Verlangsamung der biologischen Alterungsprozesse möglich. Dazu müssten wir regenerative Techniken weiterentwickeln, z. B. Stammzelltechnologie oder epigenetische Reprogrammierung. David Sinclair geht davon aus, dass in 30 Jahren die maximale Lebenserwartung bereits deutlich steigen wird [3]. Ich habe aber meine Zweifel, ob das so schnell funktionieren wird.

Während die Lebenserwartung weiter steigt, werden die zusätzlichen Jahre oft bei schlechter Gesundheit verbracht.

Gesünder alt werden

Die wachsende Kluft zwischen Lebenserwartung und Gesundheitsspanne zeigt: Unsere Fokussierung ­sollte nicht oder zumindest nicht nur auf der Verlängerung des Lebens liegen, sondern auch auf der Verbesserung der Lebensqualität dieser Jahre. Es ist von ­entscheidender Bedeutung sicherzustellen, dass ein längeres Leben auch ein gesünderes Leben ist.

Wenn 120 Jahre die maximale Lebenserwartung sind, die jetzt durchschnittliche Lebenserwartung aber bei 80 Jahren liegt, ist ja noch Luft nach oben. Was ­aktuell deutlich ansteigt, ist die Zahl der 100-Jährigen – 100 ist eine durchaus realistische Lebenserwartung. Die Überlebenswahrscheinlichkeit bis zum 100. Lebensjahr in den Ländern mit dem höchsten Durchschnittsalter liegt für Frauen bei etwa 5,1 % und für Männer bei 1,8 %. In Hongkong, dem Land mit der höchsten Überlebensrate, erreichen 12,8 % der Frauen und 4,4 % der Männer das 100. Lebensjahr [2]. Um das zu erreichen, muss man offensichtlich auch Glück haben: gute Gene und am besten eine Frau sein.

Aktuell haben wir die Situation, dass statistisch fast das komplette letzte Jahrzehnt eines Menschen ­geprägt ist durch Krankheiten, Behinderungen und ­Einschränkung der Lebensqualität. Und um das zu verbessern, brauchen wir weder Stammzellen noch epigenetische Reprogrammierung. Hier geht es viel um Lebensstil. Ernährung und Bewegung werden natürlich immer diskutiert und sind ohne Frage ­entscheidend für gesundes Altern.

Bei der Ernährung gibt es den quantitativen und den qualitativen Effekt. Kalorienrestriktion gilt bereits seit Mitte des 20. Jahrhunderts als gesichert lebensverlängernde Maßnahme. Auf molekularer Ebene spielen dabei Sirtuine eine Rolle, die zahlreiche ­Reparaturfunktionen ausüben. Dazu gehört die ­Beseitigung von Schäden des Genoms und Epigenoms sowie der Abtransport molekularen Mülls aus den Zellen (Autophagie).

Neben der Sirtuinaktivierung bewirkt die Kalorienrestriktion noch weitere Modulationen der Signalwege der Energieversorgung, die sich offensichtlich ebenfalls lebensverlängernd auswirken. Dazu ­gehören die Absenkung von Wachstumsfaktoren wie dem „insulin like growth factor 1“ (IGF1), die Stimulierung der AMP-aktivierten Proteinkinase (AMPK) und die Blockade des „mechanistic target of rapamycin“(mTOR)-Signalweges. Letztendlich sind all diese unterschiedlichen Mechanismen ­Reaktionen des Zellmetabolismus auf das Signal „Hungerstress“ [4].

Qualitative Ernährungsstrategien für ein gesundes Altern umfassen:

  • Ausgewogene Makronährstoffzufuhr: Eine aus­reichende Proteinzufuhr (1,0–1,2 g/kg KG/Tag) ­sowie komplexe Kohlenhydrate mit niedrigem ­glykämischen Index unterstützen metabolische Gesundheit.
  • Essenzielle Mikronährstoffe: Vitamin D, B-Vitamine, Magnesium und Antioxidantien spielen eine entscheidende Rolle für kognitive und muskuläre ­Gesundheit.
  • Hydratation und Darmgesundheit: Eine hohe ­Flüssigkeitszufuhr sowie fermentierte Lebensmittel und Ballaststoffe unterstützen die Darmbarriere und verhindern chronische Entzündungen.

Durch eine Kombination aus gesunder Ernährung, Bewegung und gezielter Mikronährstoffzufuhr ­können altersbedingte Erkrankungen verzögert oder verhindert werden [5].

In den vergangenen Jahren ist zusätzlich das Thema Schlaf wichtiger geworden [6]. Lange Zeit war es en vogue, dass erfolgreiche Menschen wenig schlafen. Das hat sich geändert. Früher hieß es: „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin.“ Heute wissen wir, wer wenig schläft, ist früher tot. Schlaf ist wichtig, Entspannungstechniken sind es auch. Wir müssen auch schauen, dass wir unsere Akkus effektiv wieder aufladen.

Und eine ganz entscheidende Sache ist das Mindset: Wie gehe an das Thema Altern heran? Es gibt immer noch viele Menschen, die sich auf ihren 65. oder 66. Geburtstag freuen, weil sie dann in Rente gehen können und sagen: So, jetzt fängt das Leben an. Aber wenn das heißt, ich tue nichts mehr und verbringe meine Zeit im Liegestuhl auf Mallorca, dann kann man zusehen, wie die Synapsen abbauen. Es ist wichtig, aktiv zu bleiben – ob das im eigenen Beruf ist oder ob man sich eine andere Aufgabe sucht, ist dann eher zweitrangig.

Tatsächlich sind alle gesicherten Optionen für „gesundes Altern“ mit dem Lebensstil assoziiert. Das kann wirklich jeder machen, ohne dass es dazu einer bestimmten Diagnostik bedarf oder dass man viel Geld in die Hand nehmen muss. Was nachweislich im Bereich Longevity gut wirkt, das kostet alles kein Geld. Fasten spart Geld, nicht rauchen spart Geld und Sportschuhe anziehen und loslaufen kostet auch kein Geld. Dieses Image, Longevity sei ein Oberschichtenprojekt, stimmt einfach nicht.

Wie fix ist die Altersgrenze auf lange Sicht?

Was wirkt, kostet wenig bis gar nichts, ist eine ganz gute Botschaft, die man gar nicht genug heraus­heben kann. Der Hype im Silicon Valley und anderswo ist groß, Wege zu finden, mit denen man an dieser 120er-Grenze vielleicht doch mal ein wenig rütteln kann. Sinclair ist fixiert auf das Thema Epigenetik und die unterschiedlichen Alterungsfaktoren, das „epigenetische Rauschen“.

Das ist auch die Grundlage für die epigenetischen Altersuhren, die in der Diagnostik schon eine große Rolle spielen. Im Mausmodell gibt es bereits die ersten epigenetischen Reprogrammierungen: blinde Mäuse, die dann epigenetisch so reprogrammiert wurden, dass sie wieder sehen konnten. Eine geradezu biblische Geschichte: Blinde werden wieder sehend. Wenn solche Ansätze irgendwann einmal in die Klinik übertragbar sind, ist das einer der ­entscheidenden Schritte von der präventiven zur ­regenerativen Medizin.

Auch Stammzelltechnologien werden sich weiter ­etablieren. Die Technologie gibt es schon seit Langem, sie ist so ein Hoffnungsträger der Anti-Aging-Medizin. Mittlerweile weiß man, dass man ausdifferenzierte Körperzellen wieder reprogrammieren kann. Dabei geht man gar nicht zurück bis zu den omnipotenten Stammzellen, sondern reprogrammiert Körperzellen zu pluripotenten Stammzellen für bestimmte Aufgaben.

Diese Technologien stecken noch in den Kinder­schuhen, sind aber auch längst nicht mehr reine Fantasie. Es dauert immer sehr lange, bis Entwicklungen im Labor in der Klinik ankommen.

Was tatsächlich wirkt, kostet wenig bis gar nichts.

Und sind die Technologien dann endlich klinisch ­etabliert, ist es immer noch ein zusätzlicher schwieriger Schritt in den Longevity-Bereich. Weil man zu den Fragen der Longevity-Medizin keine vernünftigen Studien aufsetzen kann. Alter ist ja immer noch nicht im ICD-Schlüssel als Krankheit aufgenommen. Und wenn die FDA sagt, Alter sei keine Krankheit, dann kriegt man da auch keine Studien genehmigt. Man muss Endpunkte gegen bestimmte Alters­erkrankungen definieren und das reduziert den ­Erkenntnisgewinn.

Bei allem Hype um die Longevity-Medizin – die ich voll unterstütze – werden wir in den nächsten ­Jahren wahrscheinlich auch viele Enttäuschungen sehen. Wo ein Hype ist, sind die Erwartungen hoch und Frustrationen aus der Nichterfüllung dieser Erwartungen wahrscheinlich. Aktuell arbeiten rund 350 Biotech-Firmen daran, Therapeutika gegen das Alter zu entwickeln. Und keine dieser Firmen hat bisher ein Produkt auf den Markt gebracht.

Was wir haben, sind Supplemente, die gibt es schon immer. Auch Medikamente wie Metformin, Rapamycin oder GLP-1-Analoga werden manchmal in ­diesem Zusammenhang genannt. Aber auch das sind keine spezifischen Anti-Aging-­Medikamente, sondern Repurposed Drugs, also bekannte Medikamente, die jetzt eine neue ­Indikation finden. Auf die Senolytika, die uns seit Jahren angekündigt werden, warten wir ­dagegen noch immer.

In geringem Maße ist es aktuell wie im Wilden ­Westen. Da werden manchmal Stammzelltherapien angeboten, die eigentlich gar keine Stammzellen enthalten. Und in so ganz obskuren Gebieten wie Panama entstehen angeblich spezialisierte Kliniken. Das klingt irgendwie wenig vertrauenswürdig, wenn ich für eine Therapie in ein weit entferntes Land fliegen muss, das nicht unbedingt zu den arrivierten Ländern der Medizin gehört.

Statt schnelle Erfolge zu erwarten, muss man ­Longevity wirklich langfristig sehen. Selbst Stammzellen, die vielversprechender sind als viele andere Technologien, sollte man nicht zu schnell promoten. Wenn eine solche Therapie irgendwann die ersten Krebsfälle verursacht, kann das die Entwicklung um Jahre zurückwerfen, wenn nicht um Jahrzehnte. Wir müssen der Longevity-Medizin Zeit geben und ­dürfen nicht zu viel in zu kurzer Zeit erwarten. Sonst sind die Enttäuschungen vorprogrammiert.

Der Autor

Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk
Metropol Medical Center Nürnberg
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM)

kleine-gunk@mmc-nuernberg.de

  1. Garmany A, Terzic A, JAMA Netw Open 2024; 7: e2450241
  2. Olshansky SJ et al., Nature Aging 2024; 4: 1635–42
  3. Johnson AA et al., Aging Cell 2022; 21: e13664
  4. Kleine-Gunk B, Gynäkol + Geburtsh 2022; 27: 32–5
  5. Kennedy BK et al., Cell 2014; 159: 709–13
  6. Carroll JE, Prather AA, Curr Opin Endocr Metab Res 2021; 18: 159–64

Bildnachweis: privat

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