Im Mittelpunkt von Krisen stehen immer die Menschen. Deshalb geht es in Krisen nicht nur um Führungsprozesse und Arbeitsmethoden, sondern auch um Vision, Ziele und Werte. Deshalb lautet für Arztpraxen das Gebot der Stunde: „Business Continuity Management“ – den Fortbestand des Unternehmens sichern.
Die Praxisleitung trägt gerade in der Krise eine enorme Verantwortung – nicht nur für die Patientinnen, sondern auch für die Mitarbeiter. Alle haben Ängste, weil Veränderungen Unsicherheit hervorrufen. Je nach Persönlichkeit zeigt sich die Besorgnis oft auch als Angst und / oder Wut, dazukommt die Furcht, zum Beispiel vor Ansteckung oder Arbeitsplatzverlust. Ein Klassiker ist der Ausspruch des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt „… in der Krise beweist sich der Charakter“.
Das ihm zugeschriebene Zitat trifft die momentane Situation gut, auch wenn sich die Situation zum Redaktionsschluss dieses Beitrags in Deutschland wieder leicht entspannt hat. „Krisenkompetenz“ ist überall gefragt dieser Tage und daran wird sich so schnell auch nichts ändern.
Für die Leitung einer Frauenarztpraxis- oder MVZ-Organisation sind drei Dinge wichtig:
• die gynäkologische Fachkompetenz (das Wissen und Können auf breiter Basis),
• die Sozialkompetenz (der angemessene Umgang mit den Mitarbeitern und den Patientinnen) und
• die Persönlichkeitskompetenz der Praxisleitung (der eigene Umgang mit der Krise).
Ein gut aufgebautes und eingeübtes funktionierendes Qualitätsmanagement in der Arztpraxis hat das gesamte Team regelmäßig für Gefahren und Risiken sensibilisiert, sodass im Notfall richtig und routiniert gehandelt werden kann. Die wenigsten konnten sich aber auf eine derart herausfordernde Situation wie eine Pandemie wirklich einstellen, sich geschweige denn darauf vorbereiten. Was kann die Leitung einer Praxis tun?
Man kann zu den von den Regierungen verhängten Maßnahmen stehen wie man will, für eine Führungskraft zeigen sie vor allem eines: Gerade in schwierigen Situationen sehnen sich viele nach jemandem, der ihnen klar sagt, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. So ist es auch mit Patientinnen und Mitarbeitern. Entschlossenes Handeln ist angesagt, nämlich durch den Chef bzw. die Chefin. Die Leitung trägt die Verantwortung für eine (möglichst) sichere und – soweit noch möglich – qualitativ hochwertige Patientinnenversorgung. Das alles umfasst die Definition von „Managen“:
• Lenken
• Leiten
• Steuern
Wie der Kapitän ein großes Schiff manövriert, das in einen gewaltigen Sturm gerät, so wünschen sich Praxisteam und Patientinnen ein beherztes und nicht zögerliches Vorgehen, aber auch die Fähigkeit des raschen Reagierens und „Nachjustierens“, wenn es notwendig wird. Krisenmanagement braucht vor allem
• positives Denken und Zuversicht,
• Bewahren von Ruhe (nach innen und außen),
• Empathie (emotionale, soziale und mentale Fähigkeiten),
• Mut und Entschlossenheit zu Entscheidungen,
• Kommunikationsfähigkeit sowie
• Vertrauen auf eigene Stärken (Fachwissen und Praxiserfahrung).
Es gilt also, entschlossenes Handeln zu zeigen und mit dem Team gemeinsam eine Bestandsaufnahme zu machen (was ist da an personellen und materiellen Ressourcen), und daraus eine adaptierte, spezifische Organisationsstruktur zu entwickeln.
Ein Beispiel: In der Praxis ein 2-Schichten-System einführen – damit sind nicht alle gleichzeitig vor Ort. Das hat den Vorteil, dass sich bei einer Infektion nicht das komplette Team ansteckt.
Denkanstoß „Sich und andere schützen“
Kluge und überlegte Praxisführung kennt das Wirkprinzip allen zielorientierten Handelns „Bedenke auch das Ende“. Dazu zählte und zählt in diesen Pandemie-Zeiten besonders die Selbstfürsorge zum notwendigen Erhalt der eigenen Leistungs- und Arbeitskraft sowie die Verantwortung für die Erhaltung und den Schutz der Gesundheit aller Mitarbeiter.
Das richtige Vorgehen bei einer Pandemie braucht ruhige und sichere Verhaltensanweisungen, vor allem für die Hände- und Gesichtshygiene, den Wechsel der Kleidung beim Betreten und Verlassen der Praxis und für den besonnenen Umgang mit den Patientinnen. Dafür eignet sich eine einmalige Grundeinweisung aller Beteiligten der Praxisorganisation – auch die der Reinigungskraft. Darüber hinaus sollte aber in einem regelmäßigen themenbezogenen Meeting an die Routineabläufe erinnert werden. Die Auswirkungen des aktuellen Stands der Pandemie auf die Arbeitsabläufe und die Regelung für Mindeststandards sollte in jedem Fall mündlich UND schriftlich erfolgen und von dem zuständigen QMB (Qualitätsmanagement-Beauftragte) dokumentiert werden.
Ein zentrales Element in Ausnahmesituationen ist Verlässlichkeit. Das sollten die Mitarbeiter der Praxis ebenso eindringlich spüren wie die Patientinnen. Präzise Informationen zu SARS-CoV-2 und Covid-19 gehören natürlich auf die Praxis-Homepage und als Aushang in die Praxis. Gut, wenn Sie schon ein funktionierendes Recall-System in Ihrer Praxis etabliert haben. Dann haben Sie geregelt, dass Telefonkontakte erwünscht und damit auch erlaubt sind. Bestandskundenpflege nennt man solche Aktionen in der Wirtschaft, wenn Sie und Ihre Mitarbeiter sich AKTIV und dauerhaft um die Patienten kümmern.
Wenn nicht schon geschehen, sollten Sie und Ihre Mitarbeiter rasch telefonisch Kontakt zu allen Ihren Patienten aufnehmen und sie über Ihre aktuelle, geänderte Praxisorganisation informieren.
Eine andere Möglichkeit – besonders empfehlenswert bei der derzeitigen E-Mail- und WhatsApp-Flut – ist ein Patientenbrief per Post, der zudem qualitativ aufwendiger und ansprechender gestaltet werden kann – entsprechend Ihrem Patientenklientel. Auch hier sollte der Fokus darauf gelegt werden, was nach wie vor geht und mit welchen Veränderungen die Praxis aktuell konfrontiert ist. Beispiele von Aktionen zur Stärkung der Patientinnenbindung:
• Angebot Telefonsprechstunden – auch zu ungewöhnlichen Zeiten
• geplante, terminierte Telefonkonferenzen (z. B. mit der Patientin und ihrem Partner)
• Praxis-News (mit Praxistipps zu Ernährung, Entspannung, Resilienz)
• Videosprechstunde
• geregelte Zusammenarbeit mit einer Apotheke, die Ihre Verordnungen auf Rechnung ausliefert
• Hausbesuchs-Angebote (unter entsprechenden Hygienebedingungen)
Es gibt sicher noch viele mehr – fragen Sie bei Ihren Patientinnen nach, was die sich wünschen.
Wenn Patientinnen und Mitarbeiter Orientierung in der Krise brauchen, entfalten kleine Gesten oft eine große Wirkung. Sie sind auch das besondere Element von „Sterne-Qualität“. Mehr als bisher mündlich und schriftlich „DANKE“ zu sagen, gehört auch mal ein kleiner Schokoriegel zwischendurch dazu. Oder auch eine Blume als Dankeschön an die Reinigungskraft. Machen Sie Ihren Patientinnen das Leben leichter. Das können voradressierte, frankierte Briefumschläge der Praxis sein, die Sie mitgeben, damit es leicht fällt, Sie zu kontaktieren. Legen Sie sich einen Vorrat von Postkarten mit Lebensweisheiten zu, die Sie Ihren Verordnungen beilegen.
Mut machen ist eine Kunst, für die besonders Ihre Krebspatientinnen und Schwangeren dankbar sein werden. Möglicherweise entwickeln Sie ein wöchentliches Ritual und verschicken an Ihre Patientinnen eine kurze Sprach- oder Videonachricht? Die psychologische Wirkung einer vertrauten Stimme ist nicht zu unterschätzen, wie nicht zuletzt die wöchentlichen Botschaften der Bundeskanzlerin in dieser Zeit zeigen. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Entwickeln Sie kluge und neue Ideen gemeinsam mit Ihrem Team.
Durchforsten Sie Ihre Kontakte. Wer kann Sie unterstützen, begleiten und ermuntern? Gemeinsam ist man stärker. Beziehungen pflegen, Kontakte knüpfen oder reaktivieren ist ein wesentlicher Beitrag betrieblicher Krisenstabilität. Telefonieren Sie wieder mehr. Der Effekt ist ein menschlich und inhaltlich anderer als bei SMS, E-Mail oder WhatsApp. Lassen Sie sich auch vom Steuer- und Bankberater aktualisieren und „coachen“. Denn eins ist sicher, die zwischenmenschlichen Beziehungen werden weitergehen – auch nach Corona.
Begrifflichkeiten aus dem Katastrophenumfeld
GAU: Begriff aus dem Bereich der Kernenergie. Der Begriff GAU steht für den „größten anzunehmenden Unfall“. Dabei besteht die Philosophie darin, dass selbst vom größten anzunehmenden Unfall keine Gefahr für die Bevölkerung ausgehen sollte.
Super-GAU: Spätestens seit Tschernobyl wissen wir, dass es doch Reaktorunglücke geben kann, die nicht mehr beherrschbar sind und die zu einer massiven Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umwelt führen – mit allen katastrophalen Begleiterscheinungen. „Störfälle“ dieser Dimension sind schlimmer als ein GAU, sie werden deshalb als Super-GAU bezeichnet.
Worst Case: Der Begriff des „worst case“-Konzeptes kommt aus dem Qualitätsmanagement und wird dort vor allem im Bereich der Planung und Prognose verwendet. Der „gedachte“ Worst Case dient dazu, auch auf die denkbar ungünstigste Entwicklung bei der Verwirklichung eines Plans vorbereitet zu sein. Auch in Verbindung mit Pandemien stellt man Worst-Case-Szenarien auf.
Krise: Wenn wir in diesen Tagen von „Krise“ sprechen, meinen wir eine „Zeit der Gefährdung“ und eine kritische, schwierige Situation für alle. In der Medizin steht der Begriff seit dem 16. Jahrhundert auch für einen Wendepunkt oder eine Entscheidung.
Fazit
Niemand weiß, wie die aktuelle Situation sich weiterentwickelt. Es gilt, sich auch mental auf eine lange Zeitspanne einzustellen und das Einüben von resilientem Verhalten ist ein gutes Mittel, durchzukommen. Die Angst wird immer da sein – das ist auch gut so, weil sie ein nicht zu unterschätzender Schutzfaktor ist. Aber es gilt, auch die Perspektive Optimismus aufrechtzuerhalten, sich körperlich fit zu halten, auf einen guten Tagesrhythmus zu achten und mit positiven Bildern zu arbeiten „Wie wird/kann es sein, wenn es vorbei ist?“ Solche Ermutigungen brauchen nicht nur Sie und Ihr Praxisteam, sondern gerade auch Ihre Patientinnen. Die werden sich später erinnern, wer sie in der Krise verlässlich und professionell begleitet hat. Trauen wir uns, neue Wege zu gehen.
Die Autorin
Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)