Der freundliche und zuvorkommende Umgang mit anderen Menschen ist in jeder Lebenssituation vorteilhaft. Und die Patientinnen einer Frauenarztpraxis wissen ihn besonders zu schätzen. Dort kann guter Stil zum Erfolgsfaktor werden.
Früher nannte man es gute Kinderstube, heute spricht man eher von Benimmregeln: Der Schriftsteller Adolph Freiherr von Knigge, der im Jahre 1788 seine Sammlung von „Lebensregeln“ veröffentlicht hat, sprach ganz einfach „über den Umgang mit Menschen“. Angemessenes Verhalten ist heute immer noch angebracht, insbesondere im beruflichen Bereich, notwendig aber auch im sozialen Zusammenleben und im Umgang mit anderen Kulturen. Privatpatienten legen neben der ärztlichen Fachkompetenz besonderen Wert auf Kriterien wie Zuwendung, Freundlichkeit und das einfühlsame Eingehen auf ihre Bedürfnisse. Für den Praxisinhaber oder die Praxisinhaberin ist es notwendig, dem Team verständlich zu vermitteln, welches korrekte Benehmen von ihnen erwartet wird.
Gutes Benehmen und Anstand sind individuell geschätzte Wertevorstellungen, die sich – im Idealfall – in einem entsprechenden und erwarteten Verhalten widerspiegeln. Praxisinterne Regeln im Umgang mit den Patientinnen sind eine Art Verhaltenskodex, der als roter Leitfaden für das gesamte Praxisteam gilt. Denn – trotz viel Engagement – können stressbedingt die besten Vorsätze und Voraussetzungen leiden. So kann es manchmal passieren, dass wir ein wenig zu kurz angebunden sind, etwas ungehalten auf eine wiederholte Frage reagieren, ein wenig zu laut Daten und Informationen besprechen oder ganz einfach den Blickkontakt bei der Begrüßung oder Verabschiedung vergessen. Es ist sinnvoll, von Zeit zu Zeit gemeinsam im Team die geschriebenen (QM-Ordner) und ungeschriebenen Grundsätze zu reflektieren, über Veränderungen nachzudenken. Dabei ist es durchaus sinnvoll, sich mit anderen Dienstleistern zu vergleichen, die in einer herausragenden Form Servicequalität anbieten. Ganz klar, die Praxisleitung gibt die gewünschten Aspekte des stilsicheren Auftretens in der Privatpraxis vor. Damit es nicht beliebig wird, sollten Chefs einer privaten Frauenarztpraxis einen verbindlichen Knigge-Leitfaden erstellen, der als verbindliche Dienstanweisung sowohl den Arbeitsverträgen als auch dem Praxis-QM-Ordner beigefügt wird.
Neben dem eigenen Qualitätsanspruch als private/r Ärztin/Arzt bieten sich „Best Practices“ an – also Erfolgsrezepte aus anderen Branchen und deren vorbildliche Vorgehensweisen, Methoden und Praktiken. Um Auftreten und Verhalten einschätzen zu können, könnte man sich beispielsweise der Wertung aus der Hotelbranche bedienen: Die Anzahl der verliehenen Sterne repräsentiert die Qualität des einzelnen Hotels (analog: der Praxis) und macht diese Form der Qualität für jeden transparent. Dabei spielen im Hotel neben der Zimmerausstattung, der Gastronomie und dem Service immer die spezifischen Merkmale im Umgang mit dem Kunden (analog: mit den Patientinnen) eine wesentliche Rolle. Eine herausfordernde Zielsetzung für den Privatpraxis-Knigge könnte sich z. B. an Merkmal-Details im gesamten Bereich der Kommunikation und des Servicegedankens orientieren (siehe Kasten). So können die Inhalte des praxiseigenen Leitfadens zum „Rückgrat“ einer anspruchsvollen Privatmedizin werden. Steht die Vorgabe der Praxisführung zum wesentlichen Inhalt des Praxis-Knigge, empfiehlt sich dann das weitere Vorgehen mit dem PDCA-Zyklus. Dieser Handlungszyklus geht zielsicher in vier Schritten vor:
„Plan“ steht für die Klärung der eigenen Ziele: Was wollen wir im Umgang mit unseren Patientinnen an Servicequalität und Niveau bieten? Und in welcher Weise?
„Do“ bezeichnet die Umsetzung der Planung durch klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten mit eindeutigen Handlungsanweisungen.
„Check“ ist die anschließende Erfolgskontrolle: Bewährt sich der Praxis-Knigge? Gibt es Feedback? Gibt es weiteren Handlungsbedarf?
„Act“ meint notwendige Justierungen und Korrekturen, wenn man feststellt, dass die Verhaltensweisen nicht die gewünschten Qualitätsmerkmale besitzen. Auch das Festlegen periodisch wiederkehrender Schulungen und Refresher-Trainings gehört zum Act. Besonders hilfreich sind Videoaufzeichnungen. Sie helfen, das eigene Auftreten (Selbstbild) mit der Wirkung auf andere (Fremdbild) zu vergleichen! Wer sich selbst und seine Mimik einmal bei einem Telefonat beobachten kann, wird erstaunt sein, wie man selbst und andere den Vorgang kommentieren.
Neben den klaren Vorgaben der Führung sollten auch gemeinsam im Team Regeln und Verhaltensweisen für zentrale Arbeitsaufgaben und Prozesse erarbeitet und schriftlich festgehalten werden. Warum? Regeln, zu denen man selbst beigetragen hat, befolgt man leichter als fremdbestimmte. Wie im QM üblich, wird dann der eigene Regelkatalog als Teil des Praxis-Handbuches regelmäßig korrigiert, angepasst und aktualisiert. Sich an Regeln zu halten, ist manchmal lästig. Sich nicht an (sinnvolle) Regeln zu halten, kann aber im Zweifelsfall zum Verlust wertvoller Klientel führen. Neben der hohen Fachkompetenz des Frauenarztes schätzen die Privatpatientinnen insbesondere
• unbedingte Höflichkeit,
• angemessenes Verhalten,
• ein gepflegtes Erscheinungsbild und
• einen diskreten Umgang.
Und das vom gesamten Team! Besonders für Einsteiger und Teilzeitkräfte erleichtert ein festgelegter Handlungskatalog das alltägliche Berufsleben. Wer genau weiß, was von ihm erwartet wird, wird weniger unsicher reagieren. Was geregelt ist, muss nicht immer neu bedacht und gedacht werden. Regelmäßige „Updates“ in den Teambesprechungen unterstützen den Lernprozess, die Wiederholungen der geltenden Regeln gehen so langsam in Fleisch und Blut über. Beispiel:
Ein kleiner Vorwurf oder eine Kritik an der Anmeldung sollte die Praxismitarbeiterin nicht sofort emotionalisieren oder gar zu einer unglücklichen Bemerkung veranlassen. Eine MFA an der Rezeption, die weiß, wie professionell mit Hinweisen und Klagen von Patientinnen umzugehen ist, wird ihr Bedauern ausdrücken, der Patientin für den Hinweis danken und ihr versichern, das werde notiert und in Ordnung gebracht bzw. selbstverständlich mit der Praxisleitung geklärt.
Die ungeschriebene Grundidee im Qualitätsmanagement lautet „Dokumentieren Sie, was Sie tun (wollen) und halten Sie (alle) sich daran.“ Es gibt nicht den ultimativen Praxis-Knigge. Der gewünschte Umgangsstil und die erlebbare Etikette der Privatpraxis werden immer im Wesentlichen von der Leitung bestimmt sein. Festgelegte Praxis-Kniggeregeln befreien das Praxisteam vom Zufall und von der persönlichen Tagesform. Sie helfen mit, das gleichbleibende Niveau der Privatpraxis zu sichern. Sie sind ein unverzichtbarer Teil des Praxis-Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit. Sie entlasten und schaffen freie Kapazitäten dafür, über weitere „Service-Sahnehäubchen“ nachzudenken.
Fragen für den Praxis-Knigge
• Ist der Ersteindruck „beeindruckend“ (Auftreten, Dienstkleidung, Empfang etc.)?
• Freundlicher, zuvorkommender Umgangston?
• „Wohlfühlfaktoren“ an der Praxisrezeption?
• Klare und betont vorausschauende Kommunikation (aktiv statt passiv)?
• Offene Haltung, Sprache, Gestik, Mimik?
• Vermittlung und Ausstrahlung von Wärme und Zuversicht (Empathie)?
• Guter sprachlicher Ausdruck (Eloquenz), Nutzung von „Zauberwörtchen“ und hilfreichen ICH-Botschaften („Ich kann verstehen, dass Sie das sehr belastet hat“)?
• Die Fähigkeit, sich jederzeit entschuldigen zu können?
• Begegnungen mit Patientinnen sind auf Augenhöhe und mit höchstem Respekt?
• Name-dropping – in geeigneter Dosis – beherrschen?
• Dresscode ist dem Niveau/Stil der Praxis/des Klientel angemessen?
• Team stellt sich auch nach außen geschlossen dar?
Konflikte werden intern – niemals vor Patientinnen – geklärt?
• Immer und unbedingt wird die „Contenance“
(Haltung, Fassung) bewahrt?
• Beschwerden sind erwünschtes Feedback (Motto: Fehler sind ein Schatz, aus denen man lernen und verbessern kann)
• Ist Diskretion jederzeit gewährleistet?
Die Autorin
Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)