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Dermatologie

Zwischen Tabu und ärztlicher Pflicht

Off-Label-Use in der Dermatologie

Elke Klug

14.11.2024

Auch in der dermatologischen Praxis gibt es bei der Therapie verschiedener Erkrankungen Situationen, in denen ein Arzneimittel/Medizinprodukt zwar indiziert, aber nicht in-label verordnungsfähig ist. Der Off-Label-Use ist mitunter eine Lösung – jedoch sind dann einige medizinische und rechtliche Aspekte zu beachten.

Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sind Arzneimittel grundsätzlich nur für bestimmte Anwendungsgebiete bzw. Indikationen zugelassen und sollten nur in diesen Indikationen angewendet werden. Die „Zulassungs-überschreitende Anwendung” eines Fertigarzneimittels (Off-Label-Use) kann nach Empfehlungen der „Expertengruppe Off-Label“ des BfArM gemäß Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse dann in Erwägung gezogen werden, wenn keine oder nicht ausreichende Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen. Leider ist dies meist mit einem ziemlich hohen büro­kratischen Aufwand verbunden, dennoch aber in manchen Fällen notwendig.

Generell und auch in der Dermatologie spielt das Thema Off-Label-Use vor allem bei onkologischen, aber auch bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen und insbesondere im Bereich der Pädiatrie eine Rolle. Allein im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin, so zitierte Dr. med. Ralph von Kiedrowski (Selters/Westerwald) eine statistische Erhebung, seien mehr als 13 % der regelmäßig getätigten Verordnungen off-label. Um sich vor drohenden Regressen oder rechtlichen Konsequenzen zu schützen, sei es ratsam, einerseits geltende Verbots-Vorschriften und andererseits Optionen zu kennen, die einen Off-Label-Use unter bestimmten Bedingungen legitimieren.

„Darf ich“ oder „Muss ich“?

Im Grunde sei eine Zulassungs-überschreitende Anwendung eine eindeutige Beschreibung des Sachverhalts der unzulässigen Anwendung. So besteht ein Off-Label-Use beispielsweise bei der Verordnung außerhalb einer bestimmten zugelassenen Indikation, einer Personengruppe (z. B. bzgl. Geschlecht, Alter), der Dosierung (Veränderung bei Applikationsintervall/-route) oder der Dauer einer Therapie (z. B. zeitliche Begrenzung vs. Intervall- oder Dauertherapie). So galt z. B. vor 20 Jahren, zu Anfang der Biologika-Ära, bei der Verordnung von Etanercept die Regel, dass es nur für 6 Monate verordnet werden durfte, dann war das Medikament abzusetzen. Wurde kontinuierlich weiterbehandelt, war das off-label. Und auch heute noch müsse man genau überlegen, wann, für wen und warum man etwas als Off-Label-Use verordnen will (oder muss), so der Experte. Denn in den Leitlinien der Fachgesellschaft gebe es durchaus beschriebene Off-Label-Anwendungen, beispielsweise für bestimmte Präparate zur Behandlung der atopischen Dermatitis (z. B. Methotrexat) und der Psoriasis (z. B. topische Calcineurin-Inhibitoren), insbesondere bei der Therapie von Kindern [1,2,3].

Daraus ergeben sich in der Praxis verschiedene Problemfelder. Letztlich stellt sich für die Ärzteschaft immer die Frage „Darf ich?“ (obwohl es eigentlich nicht erlaubt ist) oder „Muss ich sogar verordnen?“ (weil der Patient oder die Patientin Schaden nehmen könnte, wenn ich es nicht tue). Denn das SGB V sagt in § 2, dass der Arzt bzw. die Ärztin verpflichtet ist, nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft zu behandeln. Er bzw. sie muss also eine Entscheidung treffen. „Es ist also nicht unbedingt immer richtig zu sagen, dass etwas off-label ist, also verordne ich es nicht. Das könnte dazu führen, dass diese Entscheidung mit einer Schadensersatz-Verurteilung beschieden wird,“ stellte von Kiedrowski klar.

Ärztliche Therapiefreiheit: verstehen – abwägen – entscheiden

Von Kiedrowski empfahl, sich auf der Seite des G-BA „Off-Label-Use – Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten“ [4] zu informieren. Dort ist eindeutig formuliert: „Grundsätzlich ist Ärztinnen und Ärzten eine zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln erlaubt.“ Hilfreich sei zudem der § 35 c SGB V oder auch Richtlinien wie die des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), nachzulesen auf der Webseite „gesundheitsinformation.de – verstehen – abwägen – entscheiden“. Darin heißt es: „Ärztliche Fachgesellschaften empfehlen jedoch, Medikamente nur dann ‚off-label’ zu verordnen, wenn wissenschaftliche Studien Nachweise für den Nutzen des Medikaments in dem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet liefern. […] Falls während der Off-Label-Behandlung schwere Nebenwirkungen auftreten, können Ärztinnen und Ärzte unter Umständen haftbar gemacht werden.“

Das heißt, einfach aus der ärztlichen Therapiefreiheit heraus etwas zu „probieren“, sei mit einem hohen Risiko verbunden, warnt der erfahrene Dermatologe. Er rät zu schauen, was es an Leitlinien gibt, und ob darin für bestimmte Präparate ein „Off-Label-Use“ definiert und beschrieben ist. Oder sich auf den Studienseiten zum jeweiligen Präparat zu informieren, sodass damit zumindest eine Grundabsicherung gewährleistet ist. Das gelte für den niedergelassenen ebenso wie für den stationären Bereich. Der Unterschied bestehe jedoch darin, dass es bei einem Schadensfall in der Klinik i. d. R. deren Verwaltung ist, die ggf. haftet und Regressionen hinnehmen muss (Streichung stationärer Zeiten oder von Zusatzentgelten). In der Praxis ist es aber der Inhaber/Verordner bzw. die Inhaberin/Verordnerin selbst, die als Verursacher bzw. Verursacherin haftet.

Arzneimittelhaftung durch Hersteller

Im Bereich Arzneimittelhaftung der pharmazeutischen Industrie (pU) ist zu beachten, dass bei einer Off-Label-Therapie in der Dermatologie die Produkthaftung des Herstellers entfällt. Bei in Leitlinien „beschriebenem Off-Label-Use“ allerdings müsste das pharmazeutische Unternehmen diese Leitlinie anfechten, weil es ansonsten nach wissenschaftlicher Evidenz doch die Produkthaftung für einen ­Off-Label-Einsatz tragen muss (§§ 84 ff. AMG ­Gefährdungshaftung des pharmazeutischen Unternehmers bei Arzneimittelschäden). Wichtiger sei jedoch, so gab von Kiedrowski dem Auditorium mit auf den Weg, in die eigene Berufs- und Arzt-Haftpflichtversicherung zu schauen, was darin zu Off-Label-Use stehe. Im Zweifelsfall könnte es zu einem Problem mit der Gefährdungshaftung kommen.

GKV- / (PKV-) Verordnungsfähigkeit

Hierzu verwies von Kiedrowski auf die Regelungen in Anlage VI, Abschnitt K der Arzneimittel-Richtlinie [5], in der die Verordnungsfähigkeit von Off-Label-Use, inkl. Negativliste (!), durch Beschlüsse von Expertengruppen des G-BA geregelt sei. In der Dermatologie betreffe das vorrangig Dinatriumcromoglycat (DNCG) bei systemischer Mastozytose, Doxorubicin bei Merkelzellkarzinom, intravenöse Immunglobuline (IVIG) bei Dermatomyositis sowie Doxycyclin bei bullösem Pemphigoid.

Zudem gebe es eine gewisse rechtliche Klarstellung durch das „Nikolaus-Urteil” vom 06.12.2006, durch das definiert wurde, wann ein Off-Label-Use von einer Kasse zu genehmigen ist. Nämlich 1. dann, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche, oder die Lebensqualität stark einschränkende Erkrankung vorliegt. Diese muss 2. auch nachhaltig und dauerhaft beeinträchtigen, und es darf 3. keine anderen zugelassenen Therapien geben − das ist der entscheidende Punkt für die Kassen, die hier zum Teil sehr restriktiv entscheiden. Schließlich muss 4. aufgrund der Datenlage ein begründeter Anhalt bestehen, dass diese Therapie einen Nutzen hat.

Im niedergelassenen Bereich, fügte von Kiedrowski hinzu, kämen außerdem noch spezielle Versorgungsverträge zum Tragen (Besondere Versorgung § 140 a SGB V). Dort hat der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) Verträge mit verschiedenen Kassen, z. B. den DermaOne-Vertrag (Vertrag zur besonderen Versorgung der Psoriasis nach § 140 a SGB V, erweitert um die Indikation Neurodermitis seit dem 01.01.2022. Anspruch darauf haben derzeit rund 32,9 Mio. Versicherte) [6].

Patientenaufklärung

Insbesondere bei Off-Label-Use sei die Aufklärung des Patienten bzw. der Patientin essenziell. Sowohl für die Beantragung eines Off-Label-Einsatzes als auch für das Aufklärungsgespräch gibt es bei den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen Seiten, auf denen eine ganze Reihe entsprechender Hilfsmittel/Formblätter abrufbar sind. Es koste trotzdem viel Zeit, man müsse ausführlich und neutral begründen, wissenschaftliche Publikationen hinterlegen und dann auch entsprechend dokumentieren, erklärte von ­Kiedrowski und wies auf die wesentlichen Aufklärungsinhalte bei Off-Label-Use hin:

  • bekannte Risiken und Nebenwirkungen
  • potenzielle unbekannte Nebenwirkungen und schwerstmögliche Verläufe
  • fehlende Zulassung des Medikaments
  • evtl. fehlende Herstellerhaftung
  • evtl. fehlende Kostenübernahme durch die Kranken­kasse
  • Vorteile der Off-Label-Use-Therapie gegenüber zuge­lassenen Medikamenten bzw. Nichtbehandlung

Der Experte

Dr. med. Ralph M. von Kiedrowski
Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Dermatologen Selters (Westerwald)
Dermatologische Spezial- und Schwerpunktpraxis
56242 Selters/Westerwald

info@praxis-kiedrowski.de

  1. https://register.awmf.org/assets/guidelines/013-027l_S3_Atopische-Dermatitis-AD-Neurodermitis-atopisches-Ekzem_2024-01.pdf
  2. https://www.guidelines.edf.one/uploads/attachments/cl9nz0zci00m9l7jn5ayr281q-0-atopic-eczema-gl-full-version-oct-2022.pdf
  3. Von Kiedrowski et al., Dermatologe 2019; 9(Suppl.): 1–24
  4. https://www.gba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/
  5. https://www.g-ba.de/downloads/83-691-916/AM-RL-VI-Off-label-2024-08-10.pdf
  6. https://www.bvdd.de/mitmachen/selektivvertraege/

FOBI-Vortrag „Off Label Use in der Dermatologie“ von Dr. med. Ralph von Kiedrowski, Juli 2024

Bildnachweis: privat

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