Was Forscher der Universität Cambridge jetzt im „Biophysical Journal“ publiziert haben, könnte nicht nur moderne Trainingswissenschaft revolutionieren, sondern auch einen signifikanten Schub bei der optimaleren Sporttherapie von Erkrankungen bringen, beispielsweise bei chronischem und/oder krebsassoziierter Fatigue.
Prof. Dr. Eugene Terentjev vom Cambridge’s Cavendish Laboratory, einer der Autoren der Arbeit, betont, dass es eigentlich überraschend sei, wie wenig sichere Daten darüber vorliegen, wie körperliches Training Muskulatur aufbaut. Auf Grundlage der Forschungsarbeiten seiner Gruppe zu Titin (Connectin), dem größten bekannten menschlichen Protein, wurde ein kinetisches Modell entwickelt. Berücksichtigt wurden ausgewählte physiologische Daten von einzelnen Trainierenden, die individuelle Optimierung von Trainingseinheiten zum Muskelaufbau erlauben.
Ohne Frage steht sportlich bedingter Muskelaufbau im Verhältnis zur Anzahl der Wiederholung von Übungen, also ihrer Frequenz von Trainingseinheiten. Unbekannt, so Terentjev, sei aber weitgehend, was genau auf Ebene der Muskulatur insgesamt, der Ebene einzelner Muskeln oder gar von einzelnen Muskelfasern passiert. Mit einem in Cambridge mit Methoden der theoretischen Biophysik entwickelten Modell wurde es nun möglich, zu spezifizieren, welches Ausmaß an Belastung bei der Muskelaktivität einen Muskel zum Wachstum anregt und wie lange das dauert. Die Vorarbeiten der Gruppe zu dem Muskelprotein Titin waren essenziell für die jetzigen Forschungsergebnisse, da Titin auch verantwortlich für die Bildung gerade jener chemischer Signale ist, die das Muskelwachstum betreffen. Die Ergebnisse lassen zusammengefasst vermuten, dass es ein optimales Gewicht gibt, bei dem Krafttraining individuell für jeden Menschen das Muskelwachstum anregt. Zudem können Muskeln nur für eine kurze Zeit nahe an ihre maximale Belastung (Maximalkraft) gebracht werden und es ist erst diese Belastung, integriert über die Zeit, die einen komplexen zellulären Signalweg aktiviert, der letztlich zur Synthese neuen Muskelproteins führt (> Sportmedizin). Liegt die Belastung darunter, verursacht sie kaum Signale und die Trainingszeit müsste exponentiell ansteigen, um einen vergleichbaren Wachstumsschub zu bringen. Und genau dieser kritische Wert, der für Trainingserfolge entscheidenden Belastung, ist von der spezifischen Physiologie eines Individuums abhängig. Er kann als Modell, so nehmen Terentjev und Mitarbeiter an, in eine Software übersetzt werden, die es Anwendern erlaubt, nach Eingabe dieser Parameter eine Optimierung ihres Trainingskonzepts umzusetzen. Für Krebspatienten, bei denen bekannt ist, dass Krafttraining z.B. Fatigue wirksam reduziert, könnten diese Forschungsergebnisse besonders hilfreich sein, um die Trainingsintensität und -dauer patientenindividuell zu optimieren (> Onkologie).
Originalpublikation: Ibata N et al., Biophys J 2021 Aug 10: S0006-3495(21)00609-3, doi 10.1016/j.bpj.2021.07.023, PMID 34389312
Pressemitteilung University of Cambridge, August 2021