Neue Wirkstoffe, die Adrenalin- statt Opioid-Rezeptoren aktivieren, haben eine ähnliche schmerzlindernde Wirkung wie Opiate, aber ohne Atemdepression und Abhängigkeit. Das zeigte ein internationales Forscherteam mit Forschern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).
Um die unerwünschten medizinischen wie auch sozialen Wirkungen von Opioiden zu bekämpfen, suchen Forscher weltweit nach alternativen Analgetika. Prof. Dr. Peter Gmeiner von der FAU ist einer von ihnen. „Wir konzentrieren uns besonders auf die molekularen Strukturen der Rezeptoren, an die die pharmazeutischen Substanzen andocken“, sagt er. „Nur wenn wir diese auf atomarer Ebene verstehen, können wir effektive und sichere Wirkstoffe entwickeln“. Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam hatte Gmeiner bereits 2016 einen Wirkstoff entdeckt, der an die bekannten Opioid-Rezeptoren bindet und Schmerzen genauso effektiv wie Morphin lindert, obwohl er keinerlei chemische Ähnlichkeit mit Opiaten besitzt.
Aktuell verfolgt die Gruppe eine Spur, die noch mehr Erfolg verspricht: „An der Schmerzverarbeitung sind nicht nur Opioid-Rezeptoren beteiligt, doch nur wenige dieser Alternativen wurden bislang für Therapien validiert“, so Gmeiner. Er und ein Team von Forschenden aus Erlangen, China, Kanada und den USA haben nun einen Rezeptor ins Visier genommen, der für die Bindung von Adrenalin zuständig ist, den α2A-adrenergen Rezeptor. Auf diesen Rezeptor zielen bereits analgetische Therapeutika, etwa Brimonidin, Clonidin oder Dexmedetomidin. Aber, so Gmeiner: „Dexmedetomidin ist schmerzlindernd, wirkt jedoch auch stark sedierend, weshalb es auf Intensivbehandlungen im Krankenhaus beschränkt und für breitere Patientengruppen nicht geeignet ist“.
Ansatzpunkt Rezeptor
Das Ziel des wissenschaftlichen Konsortiums: eine chemische Verbindung zu finden, die den Rezeptor im zentralen Nervensystem aktiviert, jedoch keine sedierende Wirkung entfaltet. Dafür haben die Forschenden in einer virtuellen Bibliothek von mehr als 300 Millionen verschiedenen, leicht zugänglichen Molekülen nach Verbindungen gesucht, die physikalisch zum Rezeptor passen, chemisch jedoch nicht mit den bekannten Medikamenten verwandt sind. Nach aufwendigen virtuellen Docking-Simulationen wurden knapp 50 Moleküle für Synthese und Test ausgewählt, zwei davon erfüllten am Ende die gewünschten Kriterien: Sie zeigen gute Bindungseigenschaften, aktivieren aber nur bestimmte Proteinsubtypen und damit einen sehr selektiven Satz zellulärer Signalwege, während Dexmedetomidin ein deutlich breiteres Spektrum an Proteinen anspricht.
Durch weitere Optimierung der identifizierten Moleküle, bei der unter anderem auch extrem hochauflösende Kryo-Elektronenmikroskopie zum Einsatz kam, haben die Forschenden schließlich Agonisten synthetisiert, die bei Untersuchungen mit Tiermodellen hohe Konzentrationen im Gehirn erreichen und das Schmerzempfinden wirksam senken. „Verschiedene Tests haben bestätigt, dass die Bindung an dem Rezeptor ursächlich für die erfolgreiche Analgesie war“, erklärt Gmeiner. „Erfreulich ist besonders, dass keine der neuen Verbindungen eine Sedierung verursachte, selbst bei wesentlich höheren Dosen, als zur Schmerzlinderung erforderlich gewesen wären“.
Die erfolgreiche Trennung von analgetischer und sedierender Wirkung ist ein Meilenstein bei der Entwicklung nicht-opioider Schmerztherapeutika, zumal die neu identifizierten Agonisten vergleichsweise leicht hergestellt und oral verabreicht werden können. Allzu große Hoffnung vor einem raschen breiten Einsatz in der Humanmedizin dämpft Gmeiner jedoch: „Wir reden aktuell noch von Grundlagenforschung. Die Entwicklung von Medikamenten unterliegt strengen Regularien und braucht neben viel Geld auch viel Zeit. Dennoch stimmen uns die Ergebnisse sehr optimistisch“.
Pressemitteilung Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Oktober 2022
Fink EA et al.; Science. 2022 Sep 30;377(6614):eabn7065 (DOI 10.1126/science.abn7065).