Zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Atomoxetin wurde ein europäisches, die periodischen Sicherheitsberichte bewertendes, Verfahren durchgeführt (PSUR Single Assessment). Basierend auf der Empfehlung des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat die Koordinierungsgruppe für Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und Dezentrale Verfahren – Human (CMDh) einen einstimmigen Beschluss gefasst. Laut diesem Beschluss sind die Fach- und Gebrauchsinformationen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Atomoxetin an den wissenschaftlichen Erkenntnisstand anzupassen.
Mit Bescheid vom 13.01.2025 hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den CMDh-Beschluss umgesetzt.
Nach dem Beurteilungsbericht des PRAC wird ein Zusammenhang zwischen dem selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin und beobachteten Fällen von Serotoninsyndrom sowie körperlichen Übergriffen oder bedrohlichem Verhalten und Gedanken bis hin zu Mordgedanken für möglich gehalten.
Serotoninsyndrom
Im Abschnitt 4.4 (Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen), Abschnitt 4.5 (Wechselwirkungen) und Abschnitt 4.9 (Überdosierung) der Fachinformation sowie in den entsprechenden Abschnitten der Gebrauchsinformation wird der Hinweis aufgenommen, dass bei gleichzeitiger Anwendung anderer serotonerger Arzneimittel oder bei Überdosierung über das Auftreten eines Serotoninsyndroms berichtet wurde. Kumulativ wurden 20 Fälle von Serotoninsyndrom von einem pharmazeutischen Unternehmer berichtet, darunter 17 schwerwiegende Fälle. In neun der schwerwiegenden Fälle wurde über ein positives Dechallenge (Verminderung oder Aufhören der unerwünschten Reaktion nach Absetzen des Arzneimittels) berichtet, einschließlich sieben Fälle, in denen über eine Überdosierung oder serotonerge Begleitmedikation berichtet wurde. In der Literatur wurden vier Fälle von Serotoninsyndrom im Zusammenhang mit Atomoxetin berichtet. In mindestens zwei dieser Fälle lag eine Überdosis bzw. serotonerge Begleitmedikation vor.
Aggressive Verhaltensweise, Feindseligkeit oder emotionale Labilität
Hierzu waren bereits Hinweise in Abschnitt 4.4. der Fachinformation und dem entsprechenden Abschnitt der Gebrauchsinformation aufgeführt. Diese werden nun um die Information ergänzt, dass bei pädiatrischen Patienten und Patientinnen auch schwerwiegende Fälle beobachtet wurden, einschließlich Berichte über körperliche Übergriffe oder bedrohliches Verhalten und Gedanken, anderen Schaden zuzufügen. Außerdem erfolgt der Hinweis, dass Familien und Betreuende von Patienten und Patientinnen angewiesen werden müssen, bei signifikanten Stimmungsänderungen sofort einen Arzt zu benachrichtigen, welcher dann über eine Dosisänderung oder Beendigung der Behandlung entscheiden muss.
Kumulativ wurden 61 Fälle von Mordgedanken (englisch: „homicidal ideation“) und sieben Fälle von Mord (englisch: „homicide“) von einem pharmazeutischen Unternehmer berichtet, davon drei neue während der Berichtsperiode des PSUR. Dabei ist der Begriff „homicide ideation“ definiert als Gedanken über die Ausübung tödlicher Gewalt gegen bestimmte oder unspezifische Ziele – unabhänigig davon, ob ein tatsächliches Tötungsdelikt stattgefunden hat oder nicht.
Mordgedanken können bei Kindern und Jugendlichen auf ein breites Spektrum an zu Grunde liegenden psychiatrischen, psychologischen und psychopharmakologischen Faktoren hinweisen, stellt das BfArM in einer Pressemitteilung fest. In 28 dieser Fälle wurde ein Kausalzusammenhang mit Atomoxetin als möglich beurteilt und in zwei Fällen als wahrscheinlich, darunter 27 Fälle mit einem positiven Dechallenge, einschließlich zwei Fälle mit positivem Rechallenge (erneutes Auftreten der Reaktion bei erneuter Anwendung des Arzneimittels nach Absetzten der Therapie). In 66 % der Fälle mit ausreichenden Angaben für eine Beurteilung lagen andere/weitere mögliche Ursachen oder Risikofaktoren vor. In der europäischen Datenbank zu Nebenwirkungen EudraVigilance fanden sich 37 Berichte, elf davon wurden als besonders relevant angesehen. Acht dieser Fälle zeigten ein positives Dechallenge und zwei Fälle zeigten ein positives Rechallenge. Außerdem wurde Bruxismus neu in Abschnitt 4.8 (Nebenwirkungen) der Fachinformation und im entsprechenden Abschnitt der Gebrauchsinformation für pädiatrische Patienten aufgenommen.
Hintergrund (ADHS): Atomoxetin spielt[e] in der ADHS-Therapie [lange] eine eher untergeordnete Rolle [...], seine Verordnung hat im Jahr 2022 allerdings deutlich zugenommen (+28,3% gegenüber 2021). Insgesamt erscheint die Wirkung von Atomoxetin dem Psychostimulantien unterlegen (Arzneiverordnungs-Report 2023).
Risikoinformation „Atomoxetin: Neue Warnhinweise zu Serotoninsyndrom und Mordgedanken“. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Bonn, 7.2.2025 (https://www.bfarm.de/SharedDocs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RI/2025/RI-atomoxetin.html).