Therapeutische Aderlässe bei der Behandlung der genetisch bedingten Hämochromatose könnten bald der Vergangenheit angehören. Forscher der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben einen Weg gefunden, eine homozygote C282Y-Mutation des HFE-Gens mit einer Genkorrektur zu behandeln.
„Die Eisenspeicherkrankheit beruht in den meisten Fällen auf einem Defekt im Hämochromatose-Gen HFE, das auf Chromosom 6 liegt“, erklärt Prof. Dr. Michael Ott die autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung. Bei mehr als 80% der Betroffenen findet sich in beiden Ausfertigungen des HFE-Gens („high FE“) die sog. C282Y-Mutation genannt. Diese führt zum Austausch einer Aminosäure im HFE-Protein. Das HFE-Protein verliert dadurch seine Fähigkeit, die Eisenaufnahme in die Darmzellen zu steuern. Um die Eisenspeicher zu leeren und die Eisenkonzentration im Körper zu normalisieren, müssen Patienten lebenslang Aderlässe in Kauf nehmen. „Das ist belastend und funktioniert zudem nicht bei allen“, so der Hepatologe. Medikamente, die das Eisen direkt im Körper binden und so neutralisieren, sind aufgrund starker Nebenwirkungen ebenfalls nicht ideal.
Das MHH-Team verfolgte deshalb einen anderen Ansatz. Sie nutzen die körpereigenen Reparaturmechanismen, um das defekte HFE-Gen zu reparieren. Mit Hilfe der als „Genschere“ bekannten CRISPR/Cas-Technologie und einem mitgeführten biotechnologischen Werkzeug haben sie via Base-Editing gezielt einen fehlerhaften Baustein im mutierten HFE-Gen verändert. Das Besondere dieser Genreparatur: Die Genschere wurde so eingesetzt, dass sie nicht wie in der klassischen Anwendung einfach den DNA-Doppelstrang an der gewünschten Stelle komplett zerschnitt. „Der Doppelstrangbruch birgt immer auch ein gewisses Risiko für unerwünschte Mutationen“, sagt Ott. Beim Base Editing werden hingegen die beiden Einzelstränge voneinander gelöst und nur einer von ihnen verändert. „Dadurch startet die Zelle automatisch ihr natürliches Reparaturprogramm und baut das korrekte Nukleotid auch im zweiten Strang ein, so dass die C282Y-Mutation im gesamten Doppelstrang verschwindet“, erklärt das Teammitglied Dr. Simon Krooss.
Diesen biotechnologischen Trick hat die Forschergruppe bislang im Mausmodell untersucht. Mit einer einzigen Injektion lag die Rate der Genkorrektur bei 12%. „Das ist ein großer Erfolg, denn die meisten genetischen Erkrankungen lassen sich schon kontrollieren, wenn nur 5% der Zellen das korrekte Gen aufweisen“, betont Dr. Alice Rovai, Erstautorin der Studie. Die Eisenwerte im Blut seien vier Monate nach dem Eingriff bereits deutlich gesunken. Außerdem rechnen die Forschenden damit, dass sich nach zwölf Monaten eine weitere Senkung des Eisenspiegels zeigen wird. „Das Reparatursystem ist träge, es dauert also eine gewisse Zeit, bis weitere Leberzellen die Genkorrektur vornehmen“.
Nächste Forschungsschritte betreffen den Ersatz des viralen Vektors des CRISPR/Cas-Systems: Die Forscher wollen jetzt versuchen, nur den mRNA-Bauplan für das Base-Editing-System zu versenden – ähnlich wie bei den mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. „Das ist sicherer und effizienter, weil wir auf den viralen Vektor verzichten können, und erhöht die Erfolgsrate möglicherweise auf 30 bis 40 Prozent“, hofft Krooss. Gelingt das und funktioniert die Anwendung dann auch beim Menschen, könnte eine einzelne Injektion in Zukunft schwer von der Eisenspeicherkrankheit betroffene Menschen vor Hämochromatosefolgen wie Leberkrebs und Organentfernung bewahren. Zudem könnte das Base-Editing zu einer Therapiemöglichkeit für viele angeborenen Erkrankungen werden, deren Ursache ein einzelnes schadhaftes Gen ist. Die Forscher berichteten über ihre Arbeit in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.
Pressemitteilung Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Oktober 2022
Rovai A et al.; Nat Commun. 2022 Sep 5;13(1):5215 (DOI 10.1038/s41467-022-32906-9).