Wie sich die molekulare Struktur von Blutgefäßen verschiedener Organe im Zusammenhang mit Adipositas verändert, war bislang unbekannt und wurde jetzt von einem Forscherteam des Helmholtz-Instituts für Stoffwechsel-, Adipositas- und Gefäßforschung (HI-MAG) untersucht.
Adipositas ist mit zahlreichen Pathologien assoziiert, unter anderem Atherosklerose und Demenz, die jeweils mit Gefäßschäden und Funktionsstörungen der Endothelzellen einhergehen können. Wie genau, wurde jetzt von einem Forscherteam unter der Leitung von Dr. Bilal Sheikh vom HI-MAG und der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig untersucht. Dabei konnten die Forscher nicht nur organspezifische Endothelzellschädigungen aufzeigen, sondern auch deren – nur teilweise – Reversibilität unter gewichtsreduzierender Ernährung belegen (so bleiben z. B. die deregulierten Endothelzelle-Transkriptomen der Nieren erhalten, während sich die der Leber weitgehend normalisieren).
Bei der Untersuchung wurden mittels Einzelzell-RNA-Sequenzierung die Transkriptome von etwa 375.000 Endothelzellen aus sieben Organen von männlichen Mäusen in fortschreitenden Stadien der Fettleibigkeit analysiert, um organspezifische Schwachstellen zu identifizieren. Dabei stellte sich heraus, dass bei Adipositas verschiedene Genexpressionsnetzwerke – unter anderem der Lipidverarbeitung, von zahlreichen metabolischen Abläufen, des Aktivator Protein 1(AP-1)-Transkriptionsfaktors sowie von Entzündungssignalwegen – auf organ- und endothelzell-subtypspezifische Weise dereguliert sind. Die transkriptomischen Aberrationen verschlechtern sich mit anhaltender Fettleibigkeit und werden nur teilweise durch diätetische Interventionen und Gewichtsverlust gemildert. Durch die Integration mit humangenomweiten Assoziationsstudiendaten identifizierte die Gruppe außerdem eine Untergruppe von Risikogenen für Gefäßerkrankungen, die durch Fettleibigkeit induziert werden.
„Gedächtnis“ für Stoffwechselerkrankungen?
Die Konsequenzen von Adipositas auf das Innere von Blutgefäßen sind je nach Organ also sehr unterschiedlich: So haben beispielsweise die Blutgefäße in der Leber und im Fettgewebe Schwierigkeiten, die überschüssigen Fette zu verarbeiten, die Nierengefäße entwickeln eine Stoffwechselstörung, die Lungengefäße werden hochgradig entzündlich, und der Transport in den Hirngefäßen ist gestört. „Da die Fehlfunktion von Blutgefäßen alle wichtigen Pathologien – von Herzversagen über Atherosklerose bis hin zur Neurodegeneration – antreibt, zeigt unsere Forschung, wie schlechte Essgewohnheiten die Entwicklung verschiedener Krankheiten auf molekularer Ebene fördern“, erklärt Dr. Olga Bondereva, Erstautorin der Studie.
Die Untersuchung adressierte auch die Frage, ob eine gewichtsreduzierende „gesunde“ Ernährung krankheitsverursachende molekulare Signaturen bei Adipositas reduzieren kann. Die Ergebnisse zeigen: Tatsächlich kann sich die molekulare Gesundheit der Blutgefäße unter erheblicher Gewichtsabnahme wieder verbessern, allerdings nur teilweise: In den Experimenten erholten sich zum Beispiel die Blutgefäße in der Leber fast vollständig, aber die Blutgefäße in den Nieren behielten die Krankheitssignatur bei. Zusammenfassend bedeutet dies: Einige organspezifische Blutgefäße können ein „Gedächtnis“ für Stoffwechselerkrankungen entwickeln, welches nur schwer wieder rückgängig zu machen ist.
Pressemitteilung Universität Leipzig, November 2022
Bondareva O et al.; Nat Metab. 2022 Nov 18 (DOI 10.1038/s42255-022-00674-x).