Etwa 0,5% aller Menschen entwickeln nach einer SARS-CoV-2-Infektion über Monate anhaltende Beschwerden, also Long-COVID oder Post-COVID. Solche Betroffene zu erkennen, gestaltet sich für die behandelnden Ärzte und Ärztinnen oft schwierig, da die Symptome vielgestaltig sind und von psychischen Faktoren beeinflusst werden. Die Hoffnung auf geeignete Biomarker, die die Diagnose Long-COVID zweifelsfrei bestätigen, wurde jetzt von einer Forschergruppe des Universitätsklinikums Essen und der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen gedämpft.
Long-COVID ist ein noch unverstandenes Phänomen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Erkrankung mit bis zu 200 unterschiedlichen Symptomen einhergehen kann, etwa einer ausgeprägten Fatigue, Konzentrationsstörungen oder starken Schmerzen. Trotzdem sind die Untersuchungsbefunde meistens völlig normal. Daher setzt die Wissenschaft große Hoffnung in die Entdeckung von Biomarkern, mit deren Hilfe es gelingen soll, Menschen mit Long-COVID eindeutig zu identifizieren.
Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen berichteten, dass insbesondere das Aktivitätshormon Cortisol und bestimmte Zytokine im Blut geeignete Biomarker bei Long-COVID sein könnten. Laut diesen Studien ist die Konzentration von Cortisol im Blut Long-COVID Betroffener deutlich niedriger als bei Gesunden, die Menge an entzündungsfördernden Zytokinen ist dagegen erhöht. Die Messung solcher Blutwerte hätte es zukünftig möglich gemacht, die Diagnose Long-COVID rasch und sicher zu stellen. Diese hoffnungsvollen Ergebnisse konnte ein Forschungsteam des Universitätsklinikums Essen in einer aktuellen Studie nun nicht bestätigen.
Die Psyche spielt eine große Rolle
Die Forschergruppe bestimmte die Blutwerte von Cortisol und der Zytokine Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α), Interleukin-1beta und Interleukin-6 in vier verschiedenen Gruppen an insgesamt 130 Studienteilnehmenden: Menschen, die nie eine SARS-CoV-2-Infektion gehabt hatten; Menschen, die eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht hatten, aber kein Long-COVID entwickelten; Menschen, die Long-COVID hatten, aber wieder vollständig davon genesen waren und Menschen mit anhaltendem Long-COVID. Die jetzt publizierten Ergebnisse zeigen, dass alle gemessenen Werte im Normbereich lagen, und es gab keinerlei Unterschiede zwischen den genannten Gruppen gab. „Leider konnten wir nicht bestätigen, dass Cortisol und einige der wichtigsten Entzündungsbotenstoffe alltagstaugliche Biomarker bei Menschen mit Long-COVID sind. Diese Nachricht ist für die Betroffenen sicher enttäuschend, passt allerdings zu unseren früheren Untersuchungen, dass es sich bei Long-COVID nicht um eine körperliche Erkrankung im engeren Sinne handelt, sondern die Psyche eine große Rolle spielt“, fasst Prof. Dr. med. Christoph Kleinschnitz (Essen), Direktor der Klinik für Neurologie und federführender Autor der Studie, zusammen.
„Die Ergebnisse zeigen das Dilemma der medizinischen Forschung: Während es wichtig ist, Studienergebnisse anderen Forschenden zugänglich zu machen, stehen auf der anderen Seite Patientinnen und Patienten, bei denen unter Umständen zu große Hoffnungen auf Diagnose- oder Therapiemöglichkeiten geweckt werden“, sagt Dr. med. Michael Fleischer (Essen), Neurologe am UK Essen. Dennoch sei es sinnvoll, bei Long-COVID auch zukünftig nach Faktoren zu suchen, die die Erkrankung begünstigen. „Hier werden wir uns insbesondere auf den psychischen Bereich konzentrieren, da erste Therapiestudien nahelegen, dass viele Long-COVID Betroffene gut von einer Psychotherapie profitieren“, so Kleinschnitz.
Pressemitteilung „Long-COVID: Biomarker bestätigen sich nicht“. Universität Duisburg-Essen, 12.2.2024 (https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1538).
* Fleischer M et al.: Cytokines (IL1β, IL6, TNFα) and serum cortisol levels may not constitute reliable biomarkers to identify individuals with post-acute sequelae of COVID-19. Ther Adv Neurol Disord. 2024 Feb 12;17:17562864241229567 (DOI 10.1177/17562864241229567).