Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) in ihrer aktuellen Form erhöht den Bürokratieaufwand in vertragsärztlichen Praxen um 1,25 Millionen Stunden pro Jahr. Als Quelle dient der aktuellen „Bürokratieindex für die vertragsärztliche Versorgung (BIX)“ der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Der Bürokratieindex wird gemeinsam von der KBV und der Bielefelder Fachhochschule des Mittelstandes (FHM) veröffentlicht. „Anstatt also die Praxen zu entlasten, hat die bisherige Digitalisierungspolitik die Praxen bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachweislich noch weiter belastet“, sagt Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KBV.
Ein Grund für die erhöhte Bürokratie durch die eAU ist die lange Dauer des elektronischen Signier- und Versandvorgangs. Bei fehlgeschlagenem Digitalversand erhöht das Ausstellen der papiergebundenen Ersatzbescheinigung zudem den Aufwand maßgeblich: „Pro Fall verursacht das digitale Verfahren der eAU aktuell 50 Sekunden mehr bürokratischen Aufwand als die papiergebundene Bescheinigung. Bei jährlich etwa 90 Millionen ausgestellten eAUs summiert sich dies auf 1,25 Millionen Stunden mehr Bürokratie in den Praxen“, erklärt Prof. Dr. Volker Wittberg von der FHM, Leiter des Nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau (NZBA).
„Kontraproduktiv und fehlgeleitet“
„Es geht darum, die medizinische Versorgung für die Menschen in Deutschland zu sichern und – wo möglich – zu verbessern“, sagt Kriedel. Eine Digitalisierung der ambulanten Versorgung dürfe nicht auf Kosten der ärztlichen Behandlungszeit gehen. „Eine Digitalisierung, die diese Zeit nicht nur nicht erhöht, sondern sogar reduziert, ist somit kontraproduktiv und fehlgeleitet“, stellt er fest. Um das digitale Signieren zu beschleunigen, müssten die aktuell bestehenden Vorgaben zur Signatur durch die gematik erweitert und die Umsetzung verbindlich durch diese sichergestellt werden, so Kriedel. „Es muss beispielsweise festgelegt werden, was ein leistungsfähiger Signaturvorgang ist und welche diesbezüglichen Funktionalitäten die beteiligten Systeme bieten müssen“, fordert das KBV-Vorstandsmitglied.
Die wichtigste Voraussetzung für den Einsatz digitaler Anwendungen in Praxen sei eine stabil funktionierende Telematik-Infrastruktur (TI). Hierfür muss die gematik auch die Überwachung der Funktionsfähigkeit der beteiligten Komponenten verbessern und bei Problemen Nachjustierungen vornehmen. „Um tatsächliche Verbesserungen für die ambulante medizinische Versorgung zu erzielen, müssen die weitere Implementierung und auch die Weiterentwicklung der TI von jetzt an nutzerorientiert vonstattengehen. Jegliche digitale Anwendung ist vollumfänglich zu erproben, bevor sie im Praxisalltag landet“, erklärt Kriedel.
Das Nationale Zentrum für Bürokratiekostenabbau (NZBA) ist als abhängiges Hochschulinstitut an der FHM angesiedelt. Über die BIX-Projektseite der KBV sind alle bisherigen Analysen online verfügbar.
Pressemitteilung Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), November 2022