Profitieren stark gebrechliche Menschen doch mehr von einem höheren Blutdruck als bisher angenommen? Dieser Frage sind Forscher der Universität Ulm und der Agaplesion Bethesda Klinik Ulm nachgegangen und haben interessante Daten erhoben.
Das Sterberisiko betagter Menschen mit Bluthochdruck hängt stark vom Faktor „Gebrechlichkeit“ (frailty) ab. In der Studie der Ulmer Forscher wurde deutlich, dass sich das durch einen höheren systolischen Blutdruck bedingte Sterberisiko im Alter - je nach der individuellen Fitness der Personen - stark unterscheidet. Auch für ältere Menschen gilt heute die Empfehlung, den systolischen Blutdruck medikamentös auf unter 140 mmHg zu senken, mit der Ausnahme „gebrechlicher“ Betagter (ESC-Richtlinie „Arterielle Hypertonie“, 2018). Eine starke Absenkung des Blutdrucks im Alter kann über eine autonome Dysregulation zu Problemen führen, auch eine Verschlechterung kognitiver Fähigkeiten ist möglich. „Heutzutage wird der Nutzen der intensiven Behandlung der arteriellen Hypertonie, also des Bluthochdrucks im höheren Alter, kontrovers diskutiert.
Noch existieren keine einheitlichen Empfehlungen in den vorhandenen Leitlinien. Mit unserer Untersuchung wollen wir einen Beitrag leisten und die Datenlage verbessern“, erklärt PD Dr. Dhayana Dallmeier. Im Rahmen der Ulmer Studie wurde die 8-Jahres-Gesamtmortalität von Älteren in Bezug mit dem Blutdruck und der Gebrechlichkeit gesetzt. Dabei konnte auf Daten von über 1.100 Teilnehmern (mittleres Alter 73,9 Jahre, 41,6 Prozent Frauen) der ActiFE-Studie Ulm zurückgegriffen werden, die vor allem die körperliche Aktivität von Personen über 65 Jahren erfasst.
Gebrechliche: Geringstes Risiko mit 160mmHg
Die Analyse zeigt, dass Gebrechlichkeit das Sterberisiko stark beeinflusst. So lag bei „fitteren“ Personen das geringste Sterberisiko bei einem systolischen Blutdruck von 130 mmHg, wie auch in den aktuellen Leitlinien angegeben. Weiterhin zeigte die Untersuchung, dass bei stark gebrechlichen Älteren das Sterberisiko mit einem höheren Blutdruck tendenziell sogar sank. Das geringste Risiko verzeichneten gebrechliche Personen mit einem Blutdruck von 160 mmHg oder höher. „Wie wir beobachten können, verläuft das Altern von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Neben den fitten und sportlich aktiven 80-Jährigen gibt es gebrechliche und wenig belastbare 70-Jährige. Unsere Untersuchung bestätigt, wie wichtig dieser Umstand im Alter, beispielsweise in Bezug auf die Anwendung differenzierter Behandlungsansätzen, sein kann“, so der Studien-Erstautor Dr. Kaj-Marko Kremer.
Die Autoren empfehlen, die körperliche und kognitive Fitness im Alter bei einer individualisierten, patientenzentrierten Behandlung der arteriellen Hypertonie zu beachten und bei der Erarbeitung neuer Richtlinien einfließen zu lassen. Auch das begleitende Editorial in der Fachzeitschrift „Hypertension“ betont, dass die Population deutlich gebrechlicher betagter Hypertoniepatienten unterrepräsentiert oder gar von klinischen Studien ausgeschlossen ist.
Pressemitteilung Universität Ulm, Januar 2022
Kremer KM et al.: Hypertension. 2022 Jan;79(1):24-32 (DOI 10.1161/HYPERTENSIONAHA.121.17530 | PMID 34689594).