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Dermatologie

Neurodermitis

Immuntherapie – das Spektrum wird breiter

Dr. med. Yuri Sankawa

25.2.2022

Die Neurodermitis (atopische Dermatitis) betrifft vor allem Kinder, aber auch Erwachsene machen einen vergleichsweise hohen Patientenanteil aus. Durch die Einführung innovativer Systemtherapeutika mit gezielten Wirkansätzen haben sich v. a. für Menschen mit schwerer Neurodermitis neue Behandlungsperspektiven eröffnet.

Verglichen mit den Behandlungsmöglichkeiten der Psoriasis vulgaris sind bei der Neurodermitis erst seit relativ kurzer Zeit Systemtherapeutika mit spezifischen Wirkansätzen verfügbar. Aber noch hat sich das erweiterte Behandlungsspektrum bei der Versorgungsqualität der Patienten offenbar nicht merklich niedergeschlagen: Die Ergebnisse der deutschlandweiten Querschnittstudie „Atopic Health 2“ zeigen, dass sich in den dermatologischen Praxen und Ambulanzen zwischen 2017 und 2019 trotz ­neuer Erkenntnisse aus der Neurodermitis-Studie 2010 weder die Lebensqualität noch der Therapienutzen für die Betroffenen erhöht hatten, was insbesondere auf mittelschwer bis schwer Erkrankte zutraf [1]. Einer Auswertung der Versicherungsdaten von sechs gesetzlichen Krankenkassen zufolge (3,3 Millionen Versicherte) erhielten mehr als die Hälfte der an Neurodermitis Erkrankten, die auf verschreibungspflichtige Arzneimittel angewiesen waren, eine systemische Therapie (Hinweis auf schwere Verläufe). Dabei waren immer noch orale oder systemische Glukokortikosteroide (GKS) die mit Abstand am häufigsten verordneten systemischen Arzneimittel, die zudem bei etwa einem Viertel der Patienten mehr als einmal jährlich zum Einsatz kamen [2].

Systemische Steroide keine leitliniengerechte Langzeitbehandlung bei atopischer Dermatitis


Gemäß Neurodermitis-Leitlinie sollen systemische GKS jedoch nur zur Unterbrechung akuter Exazerbationen und nur über eine kurze Zeitdauer (d. h. wenige Wochen, Dosis ≤ 0,5 mg/kg Körpergewicht Prednisolon-Äquivalent) zur Anwendung kommen [3].

Patienten mit einer schweren Form der Neurodermitis sind allerdings oftmals auf eine längerfristige systemische Behandlung mit immunsupprimierender Wirkung angewiesen. Der Calcineurin-Inhibitor Ciclosporin ist bereits seit 1997 als immunmodulierender systemischer Wirkansatz bei Neurodermitis zugelassen. Bei der empfohlenen Stufentherapie der Neurodermitis kommt Ciclosporin – zusätzlich zu den ­bereits angewendeten Maßnahmen der vorherigen Stufen ­­1 bis 3 – bei persistierenden, schwer ausgeprägten Ekzemen oder solchen, die „mit topischen Maßnahmen allein nicht ausreichend behandelbar sind“, infrage [3]. Doch auch Ciclosporin ist aufgrund seines Nebenwirkungsspektrums nicht für eine Dauer­therapie geeignet und bei gutem Ansprechen wird nach vier bis sechs Monaten eine Unterbrechung der Therapie empfohlen – oder spätestens nach zwei Jahren ein Auslassversuch. Zudem sollte Ciclo­sporin nicht mit topischen Calcineurin-Inhibitoren kombiniert werden [3].

Biologika

Mittlerweile sind innovative Systemtherapeutika für die Erstlinientherapie der Neurodermitis erhältlich, deren Einsatz auch ohne vorherige Therapie mit konventionellen Immunsuppressiva zulassungsgerecht möglich ist. Als erste gleichberechtigte, innovative First-Line-Therapieoption hat das Biologikum Dupilumuab 2017 die Zulassung für Erwachsene mit mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis erlangt. Später erfolgte die Zulassungserweiterung für Jugendliche ab zwölf Jahren und zuletzt für Kinder mit schwerer Neurodermitis ab einem Alter von sechs Jahren. Der monoklonale Antikörper richtet sich gegen die Alpha-Kette des IL-4-Typ-I- sowie des IL-4-/IL-13-Typ-II-Rezeptors und hemmt damit die Wirkung von zwei inflammatorischen Schlüssel­zytokinen [3]. In den zwei parallel durchgeführten Phase-III-­Studien [4] erreichten 36–38 % der Patienten mit Dupilumab eine vollständige oder nahezu vollständige Abheilung der Läsionen. In der Leitlinie wird bei manifes­ten ekzematösen Läsionen die Therapie mit Dupilumab in Kombination mit einer topischen antientzündlichen Behandlung empfohlen (starker Konsens) [3]. Zu den häufigsten in der Studie beobachteten Therapienebenwirkungen gehörten Lokalreaktionen nach Injektion sowie Konjunktivitiden. Im Umgang mit therapiebedingten Konjunktivitiden hat sich das Anfeuchten der Augenregion (künstliche Tränen, Lidrandhygiene) bewährt, nach Ausschluss infektiöser Ursachen und in Abstimmung mit dem Ophthalmologen zudem der kurzfristige Einsatz von topischen GKS und gegebenenfalls von Ciclosporin-haltigen Augentropfen.

Seit Juni 2021 ist mit Tralokinumab ein weiteres Biologikum zur Behandlung der moderaten bis schweren Neurodermitis zugelassen: Der vollständig humane monoklonale Antikörper ermöglicht eine spezifische IL-13-Blockade. In zwei 52-wöchigen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-III-Studien erreichten 25,0–33,2 % der mit Tralokinumab Behandelten nach 16 Wochen eine 75 %ige Verbesserung des Ekzem-Scores (EASI-75). Dabei wurden auch frühe Verbesserungen bei Pruritus und Schlafstörungen beobachtet [5]. Als häufigste Nebenwirkungen wurden Infektionen des oberen respiratorischen Trakts sowie Konjunktivitiden berichtet. In der Studie ECZTRA 3 erreichten 56 % der mit Tralokinumab plus topischen GKS Behandelten vs. 36 % derer, die Placebo erhalten hatten, nach 16 Wochen einen EASI-75 [6]. Tralokinumab ist zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Neurodermitis bei Erwachsenen zugelassen, die für eine systemische Therapie infrage kommen. Wie zuvor Dupilumab ist auch Tralokinumab für die Erstlinienbehandlung und – im Gegensatz zu Dupilumab – bei Therapieerfolg explizit auch für längere Dosierungsintervalle in der Erhaltungstherapie zugelassen: Ab Woche 16 kann der Antikörper dann statt alle zwei Wochen nur noch alle vier Wochen verabreicht werden.

JAK-Inhibitoren

Als erste Wirksubstanz aus der Klasse der oralen JAK(Januskinase)-Inhibitoren – ebenfalls als Erstlinien­therapie – erhielt Baricitinib im November 2020 die Zulassung für die Therapie der moderaten bis schweren atopischen Dermatitis. Der selektive und reversible Inhibitor von JAK1 und JAK2 adressiert die Sekretion mehrerer proinflammatorischer Zytokine (u. a. IL-4, IL-13, IL-31). In der randomisierten, placebo­kontrollierten und doppelblinden Phase-III-Studie BREEZE-AD7 erreichten bis zu 31 % der mit Baricitinib plus einem topischen Kortikosteroid (TCS) Behandelten vs. 15 % derer mit Placebo-Einnahme einen vIGA- AD (Validated Investigator Global Assessment for ­Atopic Dermatitis)-Score von 0 (klares Hautbild) oder 1 (fast klares Hautbild) bzw. eine Verbesserung um mindestens zwei Punkte [7]. Häufigste Nebenwirkungen waren eine Nasopharyngitis, ­Infektionen der oberen Atemwege und Follikulitiden. Baricitinib war ursprünglich für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis entwickelt worden. Aus ersten Phase-II-Studien (BRAVE-AA1 und -2) zur Alopecia areata wurden positive Ergebnisse berichtet, sodass Baricitinib auch für die Mitbehandlung der häufig komorbid auftretenden Alopecia areata bei Neurodermitis von Interesse sein könnte [8].

Im September 2021 wurde für den oral verfügbaren selektiven JAK1-Inhibitor Upadacitinib die bereits für die mittelschwere bis schwere aktive rheumatoide Arthritis bestehende Zulassung auf die Behandlung der mittelschweren bis schweren Neurodermitis ­erweitert: In den zwei parallel durchgeführten placebo­kon­­­trollierten Phase-III-Studien Measure Up 1 und 2 erreichten 70–80 % der Patienten unter Upadacitinib zu Woche 16 einen EASI-75. Als häufigste Nebenwirkungen wurden akneiforme Veränderungen der Haut, Infektionen der oberen Atemwege und Nasopharyngitiden beschrieben. Ähnlich wie bei ­Pa­tien­ten mit rheumatoider Arthritis gehörten Erhöhungen der Kreatininphosphokinase-Spiegel zu den häufiger zu beobachtenden unerwünschten Ereignissen [9].

Mit Abrocitinib wurde im Dezember 2021 ein weiterer JAK1-Inhibitor für die mittelschwere bis schwere atopische Dermatitis, die für eine systemische Therapie infrage kommt, zugelassen. Die Zulassung stützte sich auf mehrere Studien des klinischen Entwicklungsprogramms JADE. Darunter befand sich auch eine Studie mit Dupilumab als aktive Kon­trolle: Nach zwei Wochen konnte hier für Abrocitinib 200 mg im Vergleich zu Dupilumab eine stärkere ­Linderung des Pruritus verzeichnet werden [10].

Die Vielzahl der Innovationen, die derzeit die Zulassung erreichen, macht deutlich, dass die Neurodermitis derzeit einen der zentralen Schwerpunkte in den laufenden klinischen Studien bildet (Abb.): ­Aktuell befinden sich verschiedene weitere immunmodulierende Therapieansätze in der Entwicklung, die darauf hoffen lassen, dass sich künftig durch subgruppenspezifische Therapien auch die hohe ­Heterogenität des Krankheitsbildes zunehmend besser adressieren lässt [11-13].

Impfungen bei Neurodermitis-Patienten

Für die Praxis hält die Neurodermitis-Leitlinie ein Beispiel-Formular vor, das die klinischen Eignungskriterien für eine Systemtherapie berücksichtigt und mit dem sich die Indikation zur Systemtherapie der Neurodermitis ausreichend dokumentieren lässt. Aus aktuellem Anlass bietet ein Positionspapier der European Task Force on AD (atopic dermatitis) Orientierungshilfe zu Fragestellungen rund um die COVID-19-Impfung bei Erwachsenen mit Neurodermitis, die mit systemischen Immunsuppressiva bzw. Biologika behandelt werden [14]. Demnach ist die Neurodermitis nicht grundsätzlich als Kontraindikation für Impfungen anzusehen, wenn auch systemische Immunsuppressiva und JAK-Inhibitoren theoretisch die Immunantwort abschwächen können.

1 Langebruch A et al., Hautarzt 2021; 72: 1079–1089
2 Zietze HA et al., Hautarzt 2021; 72: 963–974
3 Werfel T et al., S2k-Leitlinie Neurodermitis, mit Aktualisierung zur Systemtherapie in 02/2020, AWMF 2015
4 Simpson EL et al., N Engl J Med 2016; 375: 2335–2348
5 Wollenberg A et al., Br J Dermatol 2021; 184: 437–449
6 Silverberg JI et al., Br J Dermatol 2021; 184: 450–463
7 Reich K et al., JAMA Dermatol 2020; 156: 1333–1343
8 King B et al., J Am Acad Dermatol 2021; 85: 847–853
9 Guttman-Yassky E et al., Lancet 2021; 397: 2151–2168
10 Pressemitteilung „European Commission Approves Pfizer‘s Cibinqo® (abrocitinib) for the Treatment of Adults with Moderate-to-Severe Atopic Dermatitis” (Veranstalter: Pfizer Inc.), Dezember 2021
11 Honstein T et al., Curr Opin Allergy Clin Immunol 2020; 20: 386–394
12 Paller AS et al., J Allergy Clin Immunol 2017; 140: 633–643
13 Bieber T, Nat Rev Drug Discov 2021; 1–20 [Epub ahead of print]
14 Thyssen JP et al., J Eur Acad Dermatol Venereol 2021; 35: e308–e311

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