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Allgemeinmedizin

Neue Technologien im deutschen Gesundheitssystem

Können wir mit transformativen Innovationen umgehen?

Evert-Jan van Lente

30.8.2023

Unser Gesundheitssystem hat ausgefeilte Verfahren, um medizinischem Fortschritt gerecht zu werden – solange diese schrittweise erfolgen. Sprunginnovationen scheinen das System zu überfordern, v. a. die neuen Zell- und Gentherapien. Welche Veränderungen wird das Health Technology Assessment der EU ab 2025 bringen?

Die Medizin ist von einem nie dagewesenen Tempo neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden geprägt. In der Gynäkologie betrifft das aktuell vor allem den onkologischen Bereich, wo eine Vielzahl neuer Produkte vor der Zulassung stehen.

Der Weg von der Forschung in die Versorgung führt dabei zunächst über die Marktzulassung, die in der Regel von der Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) erteilt werden muss. Die EMA prüft auf Qualität des Produkts und erteilt bei positivem Nutzen-Risiko-Verhältnis die Zulassung. Wenn die Zulassungshürde genommen ist, folgt die nächste Herausforderung: die nationale Entscheidung, ob das Produkt im Rahmen der gesetzlichen Versicherung erstattet und welcher Preis dafür gezahlt werden wird. Das Health Technology Assessment (HTA) soll insbesondere klären, inwieweit das neue Produkt besser (oder schlechter) ist als der vorhandene Therapiestandard. Ab 2025 wird HTA auf europäischer Ebene durchgeführt, zunächst nur für neue onkologische Produkte. Es ist offen, wie das neue Verfahren die bisherige Praxis ändern wird. Deutschland ist der einzige EU-Staat, der eine Erstattung im Rahmen des gesetzlichen Systems ab Zulassung erlaubt, bei einem vom Hersteller abgerufenen Preis. Die Ermittlung des Zusatznutzens und die Preisverhandlungen erfolgen nachgelagert.

Es gibt mehrere Probleme bei transformativen Innovationen. Die Marktzulassung erfolgt oft auf der Grundlage von sehr kleinen Studien. Die Evidenzlage ist oft schwach und es besteht Unsicherheit darüber, welche Patienten profitieren können. Bei Krankheiten, für die es bisher keine Therapieoption gibt, fehlt es an einer adäquaten Vergleichstherapie. Die Europäische Kommission hat im April 2023 vorgeschlagen, dass die EMA neue Verfahren für schnellere Zulassung definiert. Diese Änderungen sollen dann auch in Deutschland Berücksichtigung finden.

Innovation hat ihren Preis

Bei Gentherapien (Advanced Therapy Medicinal ­Products, ATMPs) sind die Anforderungen an das ­Verfahren so hoch, dass nur spezialisierte Krankenhäuser diese Therapie durchführen dürfen. Die ­Kosten sind in der Regel nicht durch die DRGs ­gedeckt, und so müssen die Krankenhäuser mit Herstellern und Krankenkassen auf Landesebene verhandeln. Die für solche Fälle vorgesehene NUB-Regelung hat eine ­zeitliche Lücke. Wenn der G-BA den Zusatznutzen bewertet hat, folgt die Preisverhandlung für den ambulanten Bereich zwischen dem Hersteller und dem GKV-Spitzenverband. Der verlangte Preis für die neue Therapie kann so hoch sein, dass die finanzielle Stabilität des Gesundheitssystems gefährdet wird.

Die Unsicherheit im Moment der Zulassung wird immer öfter dazu führen, dass zusätzliche Evidenz nachträglich generiert werden muss. Das bedeutet eine regelmäßige Neubewertung des Produkts, was dann auch die Erstattungsentscheidung und den Preis verändern kann. Dafür braucht es Strukturen, die Versorgungsdaten zeitnah erfassen, und Verfahren, die daraus Evidenz (Real-World-Evidence) generieren.

Wie bleibt die Medizin bezahlbar?

Weltweit werden bereits mehrere Methoden erprobt, wie Preise an den tatsächlichen Zusatznutzen gekoppelt werden können. Dazu gehören Neuverhandlungen festgelegter Fristen und Erstattung in jährlichen Teilbeträgen, abhängig davon, ob der Patient weiterhin von der Therapie profitiert.

Wie mit den klinischen Bewertungen umgegangen wird, bleibt weiterhin Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten. Man darf davon ausgehen, dass in Deutschland der G-BA mit der Umsetzung betraut wird und auch weiterhin die Entscheidung zum Zusatznutzen von neuen Arzneimitteln trifft. Sein Beschluss bleibt Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und den einzelnen pharmazeutischen Unternehmen. Diese Entscheidung könnte dann aber zeitnäher fallen (Abb.).

Der Autor

Evert-Jan van Lente
Früher AOK-Bundesverband und
Europäische Arzneimittel-Agentur; Kolumnist Gesundheitspolitik beim Tagesspiegel

ej.van-lente@gmx.de

Bildnachweis: privat

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