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Onkologie

Hämatoonkologische Erkrankungen

Nebenwirkungsmanagement bei der Behandlung von Leukämien

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt

Bei der Leukämietherapie ist eine Vielzahl möglicher Nebenwirkungen zu berücksichtigen. Myelosupprimierende Effekte durch Zytostatika können bei Patienten mit hämatologischen Malignitäten stark ausgeprägt sein. Daher sind wesentliche Bestandteile der supportiven Therapie bei Leukämiepatienten die Infektionsprophylaxe und -therapie, Transfusionen sowie Antiemese und die Behandlung gastrointestinaler Komplikationen.[1]

In der multimodalen interdisziplinären Therapie der Leukämie stehen die Chemotherapie, die zielgerichtete Therapie, die Bestrahlung sowie die Stammzelltransplantation als therapeutische Optionen zur Verfügung. Dabei steht die Chemo­therapie meist an erster Stelle des Ther­a­pie­konzeptes, da hämatologische Neoplasien primär eine Systemerkrankung sind. Akute Formen wie die akute lymphatische Leukämie (ALL) und die akute myeloische Leukämie (AML) erfordern eine intensive chemotherapeutische Therapie (Hochdosischemotherapie). Bei chro­nischen Leukämien werden weniger aggressive Chemotherapien, dafür häufig als wiederholte Dauerbehandlung eingesetzt.[2]

Supportivmaßnahmen

Resultierende Nebenwirkungen, Komplikationen und Langzeitfolgen der Leukämietherapie müssen berücksichtigt und durch geeignete Supportivmaßnahmen behandelt werden. So zeigt sich die Bedeutung der supportiven Therapie beispiels­weise in der deutlich verbesserten Prognose neu­diagnostizierter AML-Patienten, vor allem in der jüngeren Patientenpopulation, über die vergangenen Jahrzehnte. Angesichts der marginalen Veränderungen bei der zytostatischen Therapie, ist diese Prognoseverbesserung in nicht unerheblichem Maß den Verbesserungen in der supportiven Therapie zu verdanken.[1]

Durch die Leukämietherapie können akute und chronische Nebenwirkungen verursacht werden. Vielen Akuttoxizitäten kann man heute mittels supportiver Therapie vorbeugen oder sie be­handeln. Zudem können die Patienten selbst dazu beitragen, mögliche Nebenwirkungen zu vermindern.

Auftretende Nebenwirkungen sind abhängig von der Art der Vorbehandlung, der Wirkstoffkombination, der Infusionsdauer der Chemotherapie, der Vorschädigung durch Operationen, der Strahlentherapie oder von anderen Organerkrankungen sowie von verschiedenen individuellen Risikofaktoren wie Alter, Geschlecht, Alkoholkonsum oder Rauchen.[3]

Myelosuppression

Leukämien führen zur Depletion der gesunden Hämatopoese mit den daraus resultierenden klinischen Konsequenzen einer Thrombopenie, Anämie und Neutropenie.[1,4] Durch die Zytostatikatherapie wird die Hämatopoese zusätzlich beeinträchtigt, da die Myelosuppression eine häufige Nebenwirkung der Chemotherapie ist.[5]

„Die Alopezie ist immer wieder Ursache für eine Ablehnung einer Chemotherapie.“

Bei Chemotherapie-induzierter Thrombopenie werden Thrombozytentransfusionen zur Prophylaxe und Therapie von thrombozytär bedingten Blutungen eingesetzt. Die Indikationsstellung ist abhängig von der Thrombozytenzahl und -funktion, der Blutungsneigung, dem Blutungsrisiko sowie der Grunderkrankung, wobei der Blutungsneigung die größte Bedeutung zugeschrieben wird. Nach WHO wird die Blutungsneigung in vier Stärken eingeteilt[6]:

Grad 1: kleinere Hämatome, Petechien, Zahnfleischbluten

Grad 2: Blutungen, die keine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erfordern

Grad 3: transfusionsbedürftige Blutungen

Grad 4: organ- oder lebensbedrohliche Blutungen

Bei Leukämiepatienten ist die Inzidenz der tumorbedingten Anämie besonders hoch: 54 % der Leukämiepatienten weisen Hb-Werte unter 12 g/dl auf; im Vergleich zu 39 % in der Gesamtheit onkologischer Patienten.[7] Symptome der Anämie können Dyspnoe, Leistungsminderung oder Müdigkeit sein.

Neutropenien sind charakteristische Komplikationen zytostatischer Therapien.[8] Patienten in Neutropenie haben ein erhöhtes Risiko für Fieber, Infektion, Sepsis und therapieassoziierte Mortalität. Strategien zur Reduktion des Morbiditäts- und Mortalitätsrisikos sind antimikrobielle Prophylaxe, frühe empirische antimikrobielle Therapie und die prophylaktische Gabe myeloischer Wachstumsfaktoren. Das Risiko steigt mit der Tiefe und der Dauer der Neutropenie.[9]

Bei Patienten mit soliden Tumoren liegt die Inzidenz einer febrilen Neutropenie bei 10 bis 40 %, bei hämatologischen Neoplasien bei bis zu 80 %.[10] Die prophylaktische Gabe von Granulozyten-Kolonie-stimulierenden Faktoren (G-CSF u. a.) führt zu einer signifikanten Reduktion des Risikos febriler Neutropenie bei ALL-Patienten während der Induktions- und Konsolidierungstherapie.[9] Nicht empfohlen hingegen wird die prophylaktische G-CSF-Gabe bei ALL-Patienten in der Erhaltungstherapie, bei AML-Patienten in Induktions- und Konsolidierungstherapie sowie bei Patienten mit Myelodysplastischem Syndrom (MDS), die eine palliative Chemotherapie erhalten.[8,9]

Orale Mukositis und GI-Nebenwirkungen

Orale Mukositis und gastrointestinale Nebenwirkungen, wie Nausea und Emesis sowie Diarrhoe, sind häufige und für den Patienten sehr belastende Komplikationen der medikamentösen Tumortherapie und der Bestrahlung. Mögliche klinische Konse­quenzen können eingeschränkte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Gewichtsverlust, Störungen der Funktion anderer Organe, Therapieverweige­rung, Angst sowie psychische Belastung und in der Folge eine deutliche Einschränkung der Lebensqualität der Patienten sein.[8,11]

Die Inzidenz und Ausprägung dieser Komplikationen wird durch Hochdosischemotherapie sowie al­logene Knochenmarktransplantation erhöht. Zur Prophylaxe der oralen Mukositis bei Patienten mit hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSZT) mit Hochdosis-Melphalan (mit oder ohne Ganzkörperbestrahlung) kann die orale Kryotherapie durch Lutschen von Eiswürfeln angewendet werden.[8] In Anpassung an das Emesis-Risiko werden präventiv Antiemetika verordnet, um die schwer therapierbare antizipatorische Emesis zu vermeiden.[8]

Hauttoxizitäten

Im Rahmen einer medikamentösen Tumortherapie kommt es häufig zu unerwünschten Nebenwirkungen an der Haut. Die Hauttoxizitäten werden von vielen Patienten als entstellend und stigmatisierend empfunden und gehen oft mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität einher. Besonders beeinträchtigende Erscheinungsbilder der Hauttoxizitäten sind das akneiforme Exanthem („Rash“, besonders in der zielgerichteteten Thera­pie mit Tyrosinkinase-Inhibitoren), die Alopezie, das Hand-Fuß-Syndrom, Nagelveränderungen und Xerosis cutis/Pruritus.[8]

Die Alopezie ist eine der häufigsten und emotional stark beeinträchtigenden Nebenwirkungen unter Chemotherapie. Sie ist auch immer wieder Ursache für eine Ablehnung einer Chemotherapie.[12,13] Aufgrund der Stigmatisierung bei Tumortherapie-induzierter Alopezie und fehlender Prophylaxe- und Therapieoptionen sollten Patienten auf die Situation vorbereitet, unterstützende Gespräche angeboten und ein gewünschter Haarersatz frühzeitig rezeptiert werden.[8]

„Fatigue beeinträchtigt die Lebensqualität der Patienten stark, wird jedoch von Ärzten und Pflegekräften als nicht vital bedrohlich empfunden.“

Fatigue

Die Entstehung der Fatigue bei onkologischen Patienten ist multifaktoriell. Unter anderem tragen die Tumorerkrankung, die onkologische Therapie, psychosoziale Faktoren wie Angst oder Depression und Komorbiditäten – besonders die Anämie – zu ihrer Entstehung bei.[14] Die Anämieinzidenz ist bei Leukämiepatienten im Vergleich zu anderen Tumorpatienten erhöht.[7] Daraus resultiert eine höhere Wahrscheinlichkeit für Fatigue bei Leukämiepatienten. So leiden im fortgeschrittenen Stadium etwa 75% der Patienten mit hämatologischen Malignomen an Fatigue.[15] Die Nebenwirkung beeinträchtigt die Lebensqualität der Patienten stark und sie kann noch Jahre nach Ende der Behandlung vorhanden sein. Jedoch wird Fatigue von Ärzten und Pflegekräften als nicht vital bedrohlich empfunden.[3] In einer Befragung von 419 Tumorpatienten klagten mehr als 60% der Patienten über Fatigue. Doch lediglich 37% der Onkologen schätzten dieses Problem als gravierend ein. Von den befragten Patienten wünschten sich 41% eine Fatigue-Behandlung, aber nur 5% der Onkologen hielten diese für notwendig.[16]

Aufgrund der positiven Effekte eines individuell angepassten, regelmäßigen körperlichen Trainings hinsichtlich Fatigue und Lebensqualität für Patienten mit hämatologisch malignen Erkrankungen sollte eine entsprechende Empfehlung an diese Patienten erfolgen.[17]

Langzeitfolgen

Zusätzlich zu den akuten Komplikationen sind chronische Toxizitäten möglich. Diese werden teilweise durch kumulative Effekte mit zunehmender Anzahl der Chemotherapiezyklen bzw. zunehmender Dosis verursacht. Dies trifft beispielsweise auf die Kardiotoxizität von Anthrazyklinen zu. Andere unerwünschte Wirkungen wie Neuropathien bilden sich nicht zwischen den Zyklen zurück und ihre Intensität steigert sich. Die Therapie selbst kann chronische Toxizitäten wie Nephropathie, Ototoxizität, Zweitmalignitäten oder Infertilität verursachen. Ziel ist es, chronische Nebenwirkungen möglichst zu vermeiden. Dazu ist ein sorgfältiges Monitoring, gegebenenfalls eine Dosisanpassung oder ein Medikamentenwechsel notwendig. Besonderes Augenmerk sollte auch auf die Nachsorge der Patienten gelegt werden.[3]

Im Arzt-Patienten-Gespräch sollte das Bewusstsein für diese möglichen Langzeitfolgen der Leukämietherapie geschaffen werden. Gemeinsam können nach Wunsch des Patienten Lösungen gefunden werden. So stehen zum Erhalt der Fertilität Optionen wie die Kryokonservierung von Eizellen, Spermien beziehungsweise Hodengewebe vor Therapiebeginn zur Verfügung.

Arzt- und Patientensicht zusammenbringen

Nebenwirkungen der Leukämietherapie bewerten Onkologen und Patienten oft unterschiedlich. Stehen für Onkologen lebensbedrohliche Komplikationen, wie z. B. Infektionen oder Blutungen, im Vordergrund, leiden Patienten am meisten unter subjektiv unangenehmen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Alopezie oder Fatigue (siehe Abbildung).[3,18-23] Die Patienten müssen über resultierende Risiken und Komplikationen der Therapie aufgeklärt werden, um die notwendige Awareness auf Patientenseite zu schaffen. Dabei ist Kommunikation und einfühlende Patientenaufklärung der Schlüssel zum besseren Verständnis.[3]

[1] www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/akute-myeloische-leukaemie-aml/@@view/html/index.html; abgerufen am 04.12.2018
[2] www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/krebsarten/leukaemie/therapie.html; abgerufen am 04.12.2018
[3] www.leukaemie-hilfe.de/nc/krankheit/uebergreifende-infos/nebenwirkungen.html?tx_drblob_pi1%5BdownloadUid%5D=16; abgerufen am 04.12.2018
[4] www.kompetenznetz-leukaemie.de/content/patienten/leukaemien/; abgerufen am 05.12.2018
[5] Carey PJ, Drug Saf 2003; 26: 691–706
[6] www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/thrombozytentransfusion/@@view/html/index.html; abgerufen am 04.12.2018
[7] Ludwig H et al., Ann Oncol 2002; 13(Suppl 5): 169 (Abstract 623PD)
[8] www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-054OLl_S3_Supportiv_2017-05.pdf; abgerufen am 04.12.2018
[9] www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/prophylaxe-infektioeser-komplikationen-durch-granulozyten-kolonie-stimulierende-faktoren-g-csf-pegfilgrastim-biosimilars/@@view/html/index.html; abgerufen am 04.12.2018
[10] www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/sepsis-bei-neutropenischen-patienten/@@view/html/index.html; abgerufen am 04.12.2018
[11] www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/antiemese-bei-medikamentoeser-tumortherapie/@@view/html/index.html; abgerufen am 04.12.2018
[12] Tierney A et al., Nurs Stand 1991; 5: 29–31
[13] Hackbarth M et al., Support Care Cancer 2008; 16(3): 267–273
[14] Wagner LI et al., Br J Cancer 2004; 91: 822– 828
[15] Vainio A et al., J Pain Symptom Manage 1996; 12: 3–10
[16] Vogelzang NJ et al., The Fatigue Coalition. Semin Hematol 1997; 34: 4–12
[17] www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/CLL/LL_CLL_Langversion_1.0.pdf; abgerufen am 04.12.2018
[18] Coates A et al., Eur J Cancer Clin Oncol 1983; 19: 203–208
[19] Griffin AM et al., Ann Oncol 1996; 7: 189–195
[20] De Boer-Dennert M et al., Br J Cancer 1997; 76: 1055–1061
[21] Lindley C et al., Cancer Pract 1999; 7: 59–65
[22] Carelle N et al., Cancer 2002; 95: 155–163
[23] Lorusso D et al., Eur J Cancer Care 2017; 26(2)

Bildnachweis: Kubkoo (iStockphoto)

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