Atypische dysplastische Nävi beunruhigen oft nicht nur Betroffene, sondern auch Behandelnde. Eine Pro-und-Kontra-Diskussion auf dem 34. Deutschen Hautkrebskongress zeigte diagnostische Unsicherheiten und Vorgehensweisen, schärfte den objektiven Blick und setzte Leitplanken an den Weg zu (mehr) Entscheidungssicherheit.
Prof. Dr. med. Rudolf Herbst (Erfurt) setzte seine Take-Home-Message zur Exzision dysplastischer Nävi an den Anfang seines Vortrags: If you doubt – cut it out, empfahl der Leiter des Hauttumorzentrums. Die Leitlinie zur Prävention von Hautkrebs von 2021, die aktuell überarbeitet werde, sehe zur Sekundärprävention von Hautkrebs als erste Maßnahme die Selbstuntersuchung vor. Ihr solle eine ärztliche Ganzkörperuntersuchung folgen. Unklar sei laut Leitlinie (noch), ob die Expertise in der Dermatologie höher ist als jene in der Primärversorgung. Hier habe eine Metaanalyse von 2020 jedoch gezeigt, dass die Number Needed to Excise (NNE) zur Erkennung eines malignen Melanoms (MM) bei Dermatologinnen und Dermatologen am geringsten ist, wenn sie hinsichtlich pigmentierter Läsionen geschult sind. Ungeschulte schnitten etwas schlechter ab, jedoch besser als Primärversorgende [1].
Wenn das Screening einen Verdacht erbracht habe, sei zur weiteren Untersuchung die Dermatoskopie die beste leitliniengemäße Technik. Bei fortbestehendem Verdacht auf Malignität sei für die Bestätigungsdiagnostik die Histopathologie der Goldstandard. Eine Exzisionsbiopsie klinisch atypischer Nävi sei indiziert, wenn Melanom-typische Muster oder Strukturen auffielen [2]. Der histopathologische Befund solle den WHO-Tumortyp beinhalten und ein histopathologisches Staging entsprechend der gültigen TNM-Klassifikation gemäß UICC.
Als problematisch beurteilte Herbst, dass es bisher keine konsistente Klassifikation für dysplastische Nävi gebe. Die Kriterien der WHO von 1992 und 2018 unterschieden sich von jenen der Duke University und auch von den 2023 revidierten MPATH-Dx-Kriterien (Melanocytic Pathology Assessment Tool and Hierarchy for Diagnosis) aus den USA [3]. Sie sehen eine Klassifikation von 0 bis IV vor und geben Progressions- und Metastasierungsrisiken an [4].
Neben der Diagnose variiere auch die Exzisionsqualität je nach Expertise der Behandelnden, zeigte Herbst anhand einer skandinavischen Studie [5]. So wurden in der Primärversorgung zu fast 45 % non-dysplastische Nävi exzidiert, in Dermatologie und Chirurgie dagegen nur zu je rund 20 % – und zwar mit deutlich größeren Sicherheitsabständen.
Die gute Nachricht: Trotz aller Unsicherheiten seien Nachexzisionen zumindest bei histologisch mild und moderat dysplastischen Nävi meist nicht erforderlich.
Mehr Sicherheit schaffen
Sein persönliches Ziel im Praxisalltag sei: „Exzision nur bei Melanomverdacht, aber nicht prophylaktisch!“, erklärte Prof. Dr. med. Axel Hauschild (Kiel). Die Auflichtmikroskopie sei der Minimalstandard, Goldstandard die Videoauflichtmikroskopie. Die Geräte arbeiteten inzwischen sehr oft mit KI. „Ungemein effizient“ in der niedergelassenen Praxis sei die Verlaufsbeobachtung, also die Kontrolle nicht sicher unauffälliger Läsionen nach 3 Monaten: Sie vermeide eine Exzision in den meisten Fällen.
Atypische dysplastische Nävi sollten nicht wegen der möglichen Transformation zum Melanom exzidiert werden, forderte Hauschild. Denn Atypie bedeute klinisch zunächst nur, dass ein Nävus nicht aussieht, wie er soll: homogen pigmentiert, scharf begrenzt und harmlos. Die Transformationswahrscheinlichkeit solch eines Nävus sei mit 1 : 35 000 extrem gering [6]. Er sei zwar ein Marker für ein erhöhtes Melanomrisiko, aber nicht der Präkursor. Entsprechend sei in der Literatur nicht belegt, dass aus inkomplett exzidierten histologisch dysplastischen Nävuszellnävi (NZN) Melanome entstanden seien [7]. Bei Menschen mit atypischem Nävus-Syndrom oder dem familiären Nävus- und Melanom-Syndrom, Melanomen in der Anamnese und hunderten von Nävi liege die NNE bei 1 : 15 bzw. 1 : 4. Algorithmen könnten hier helfen, seien aber nicht fehlerfrei. Von einer prophylaktischen Abtragung der Haut, einer „Entnävisierung“ bei Melanom-Risikofaktoren riet Hauschild ab, denn das Entartungsrisiko sei hier gering und das Melanomrisiko außerhalb der Nävi am höchsten. Das Monitoring sei zudem mit digitaler Auflichtmikroskopie und Ganzkörperfotografie möglich. Nicht haltbar sei außerdem, dass kongenitale Nävi an Akren und (anderen) mechanisch belasteten Arealen wegen der möglichen Entartung entfernt würden. Auch hier wisse man, dass das Entartungsrisiko normaler kongenitaler Nävi, die nicht riesengroß sind (> 20 cm), dem normaler erworbener Nävi entspricht [8].
Nur Nävi mit klarem MM-Verdacht müssten sofort exzidiert werden. Um der eigenen Besorgnis zu begegnen, könne man seine persönliche NNE analysieren. Die American Academy of Dermatology fordere ein Verhältnis von 1 MM-Diagnose zu 10 NZN-Exzisionen. Schwedische Daten, die sich mit jenen des deutschen Hautkrebsscreenings deckten, zeigten jedoch, dass die NNE in der Gruppe der bis 20-Jährigen bei 1 : 160 liege. Auch in der Altersklasse der 20- bis 30-Jährigen sei die Rate mit rund 1 : 60 absolut inakzeptabel.
Keine Melanome übersehen und eine gute NNE – geht das?
Das glaube er nicht, bekannte Hauschild. Man könne keine Sensitivität von 100 % erreichen. Doch seien sehr gute Ergebnisse zu erzielen
Vortrag „Exzision dysplastischer Nävi und die Number Needed to treat“ anlässlich des 34. Deutschen Hautkrebskongresses, Würzburg, September 2024