Tumorzellen sichern ihr Überleben in Notzeiten durch den Umstieg auf alternative Nahrungsquellen. Ein Protein, das ihnen diesen Weg erschließt, könnte einen Weg weisen, Krebszellen gezielt auszuhungern – und so einen neuen Ansatz in der molekularen Krebsbekämpfung erschließen.
Lebende Säugetierzellen decken ihren Nährstoffbedarf überwiegend dadurch, dass sie exogene Substanzen wie etwa freie monomere Aminosäuren aus dem Extrazellulärraum durch die Membran in das Zellinnere aufnehmen. Die meiste Biomasse ist in Proteinen enthalten, die intrazellulär erst durch Endozytose und lysosomalen Katabolismus erschlossen werden müssen. Diesen Weg nutzen freilich auch Krebszellen, wenn sie – wie häufig – unter Nährstoffmangel leiden.
Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) (> Onkologie) und des Forschungsinstituts für Molekulare Pathologie Wien entdeckten jetzt ein Protein, das Krebszellen diesen Ausweg gestattet [1]. Mit den neuen Erkenntnissen ist möglicherweise auch ein Weg verbunden, wie Krebszellen gezielt ausgehungert werden könnten. Mit molekulargenetischen Methoden entdeckten sie, wie Tumorzellen bei Nährstoffmangel mit Stoffwechselanpassungen reagieren und insbesondere auf Proteine aus ihrer Umgebung als Nahrungsquelle zurückgreifen.
Unter kontrollierten Nährstoffbedingungen imitierten sie einen Aminosäuremangel, den Krebszellen erleben, die schlecht an die Blutversorgung angeschlossen sind. In den Tests schalteten sie mit der „Genschere“ Crispr-Cas9 die Expression fast aller Gene einzeln aus und konnten somit die Genkonstellation der Signalwege freilegen, die das Umschalten auf neue Stoffquellen ermöglichten. Sie entdeckten dabei ein bisher unbekanntes Gen, das für das Überleben der Krebszellen von entscheidender Bedeutung ist.
LYSET für den Lysosomen-Shuttle
Dieses Gen enthält den Bauplan für das Transmembranprotein TMEM251, das selektiv immer dann als lysosomaler Enzymtreiber (lysosomal enzyme trafficking factor, LYSET) benötigt wird, wenn Zellen extrazelluläre Proteine verbrauchen. Dieser Faktor erwies sich als entscheidend für die Funktion der Lysosomen. Diese Organellen der intrazellulären Verdauung enthalten Enzyme für den Abbau von Eiweißen, Kohlehydraten und Fetten. Die Enzyme werden im endoplasmatischen Reticulum gebildet, im Golgi-Apparat angereichert und von einer Membran umgeben. LYSET entpuppte sich dabei im Golgi-Apparat vergesellschaftet mit der GlcNAc- 1-Phosphotransferase, die als Kernkomponente des Mannose-6-Phosphat-Weges gilt, der für die Befüllung der Lysosomen mit Verdauungsenzymen zuständig ist. Hier liegt vermutlich auch der Schlüssel für eine potenzielle Antitumortherapie. Fällt der Faktor LYSET nämlich für die Krebszellen aus, fehlen den Lysosomen die Enzyme, um die Nährstoffquelle zu wechseln. An Mäusen, bei denen Krebs experimentell ausgelöst wurde, konnten die Forscher zeigen, dass ein Verlust von LYSET die Tumorentwicklung stark verlangsamt.
Das Autorenteam, das schon länger im Bereich der metabolischen Anpassung von Krebszellen arbeitet [2], ordnet die Entdeckung wie folgt ein: „Mit LYSET haben wir eine zentrale Komponente eines Stoffwechselweges entdeckt, der den Krebszellen die Anpassungen an verschiedene Nährstoffe ermöglicht. Das ist ihre Schlüsselfähigkeit, um in einer kargen Tumorumgebung zu überleben und zu wachsen.“ Und weiter: „LYSET und der Mannose-6-Phosphat-Stoffwechselweg erweisen sich als besonders wichtig für Krebszellen und könnten daher ein molekularer Ansatzpunkt sein, um einen wichtigen Stoffwechselengpass bei Krebs therapeutisch anzugreifen.“
1 Pechincha C et al., Science 2022; DOI 10.1126/science.abn5637
2 Palm W et al., Nature 2017; 546: 234–242