Beim Kongress in Warnemünde wurden komplementärmedizinische Themen interdisziplinär diskutiert und praxisorientiert bewertet. Ein Themenschwerpunkt dabei war die periphere Neuropathie. Die wichtigsten Informationen hierzu sind nachfolgend zusammengefasst.
Ein zentrales Element onkologischer Behandlungen ist nach wie vor die Chemotherapie. Durch Zytostatika und Optimierung der Chemotherapieregime konnten deutliche Verbesserungen der Ansprechraten, des rezidivfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens erzielt werden. Parallel dazu sind durch Nebenwirkungen von Zytostatika zunehmend Belastungen mit Einschränkung der Lebensqualität entstanden. Somit ist die Optimierung der Lebensqualität eine zentrale Herausforderung bei der Planung und Durchführung onkologischer Therapien.
Chemotherapien können die Lebensqualität erheblich einschränken
Chemotherapien mit Taxanen haben sich in der Behandlung vieler onkologischer Erkrankungen als Standard etabliert, insbesondere bei Patientinnen mit Mammakarzinom und bei Frauen mit anderen gynäkologischen Malignomen. Eine typische und häufige Nebenwirkung taxanhaltiger Chemotherapien ist die Chemotherapie-induzierte periphere Polyneuropathie (CIPN). Die CIPN kann die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken. Je nach Intensität der CIPN kann es erforderlich sein, die Taxandosis zu reduzieren, die Therapieintervalle zu verlängern oder die Taxantherapie abzubrechen und auf ein anderes Regime zu wechseln. Somit kann die CIPN dazu führen, dass das therapeutische Potenzial der taxanhaltigen Behandlung nicht in vollem Umfang genutzt werden kann. Dies kann einen negativen Effekt auf die Prognose nach sich ziehen.
Die CIPN führt zu sensorischen und motorischen Defiziten. Diese sind dosisabhängig und betreffen symmetrisch Hände und Füße. Zu den Symptomen gehören starke Schmerzen, Taubheit, Nagelveränderungen sowie Kribbeln in den Händen und Füßen. Darüber hinaus gibt es eine Assoziation zwischen CIPN und Depression, Angst sowie Schlafstörungen. Die Häufigkeit der CIPN nach Taxantherapie wird wie folgt angegeben: Grad 1 und 2: 20–50 %, Grad 3 und 4: 6–20 %. Das Vorliegen von individuellen Risikofaktoren erhöht die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer CIPN und die Manifestation eines höheren Grades der Ausprägung. Zu den individuellen Risikofaktoren gehören: Hypothyreose, Vitaminmangel, vermehrter Alkoholkonsum, Diabetes mellitus und HIV-Infektion [1].
Der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC) entsprechend gibt es momentan kein generell einsetzbares Medikament zur Prophylaxe der CINP. Geprüft wurden und in Diskussion sind: Venlafaxin, Palmitoylethanolamid (PEA) lokal oder p. o., Alphaliposäure, Amifostin, Amitriptylin, Acetyl-L-Carnitin, Carbamazepin, Oxcarbazepin, Glutathion, Vitamin B, Vitamin E und andere Substanzen.
CIPN: Prophylaxe durch Kühlung der Hände und Füße
Im Vergleich zur medikamentösen Prävention gibt es wissenschaftlich gut abgesicherte Daten zur Kompressionstherapie (chirurgische Handschuhe, Kompressionsstrümpfe) und zu Kühlhandschuhen sowie zu Kühlstrümpfen, sowohl zum Konzept der Kompression als auch zum Konzept der Kühlung gibt es einen Evidenzlevel 2 nach den Oxford-Kriterien. In mehreren Studien konnte die erfolgreiche Prophylaxe der CIPN durch Kryotherapie und Kryokompression, sowohl als gesondertes Konzept als auch in Kombination, gezeigt werden.
Zu diesem Thema stellte Dr. rer. nat. Trudi Schaper (Düsseldorf) die Resultate einer eigenen Studie vor. Zur Anwendung kam dabei die Weiterentwicklung eines konventionellen Kühlsystems mit folgenden Besonderheiten: gradgenaues und prozessorgesteuertes Thermoverfahren. Dies ermöglicht die kontinuierliche Kühlung der Hände und Füße mit moderater, tolerabler Kälte. Dies führt zu einer Vasokonstriktion. Dadurch wird der Sauerstoffbedarf des Gewebes reduziert, ebenso der Metabolismus und die Durchblutung. So erreichen weniger toxische Substanzen die Nerven, und das Risiko der neuronalen Schädigung wird reduziert oder entsteht erst gar nicht. Auch der Austritt von bestimmten Chemotherapeutika über die Schweißdrüsen wird mithilfe dieser Technologie reduziert. Über den genannten Mechanismus werden zudem Schmerzrezeptoren in geringerem Maße angesteuert. Dadurch wird das Schmerzempfinden positiv beeinflusst.
Das Konzept der Vasokonstriktion durch Kälte ist grundsätzlich nicht neu. Die bisherigen Umsetzungen hatten jedoch ihre Probleme und Limitationen: die Temperatur war nicht regulierbar und nicht konstant, das Kühlmittel musste regelmäßig ersetzt werden, alte Konzepte waren wenig praktikabel, es entstand eine hohe Belastung für das Pflegepersonal und für die Patientinnen und Patienten, nach der für die Erkrankten wenig tolerablen Kühlung entstand immer eine Hyperämie, wodurch der initiale positive Effekt neutralisiert wurde. Im schlimmsten Fall entstand ein Frostbrand bei falscher Anwendung durch aggressive Kälte.
Die genannten Probleme konnten durch die Weiterentwicklung der Technologie eliminiert werden. In der von Dr. Schaper vorgestellten Studie kühlten die Erkrankten Hände und Füße bei jeder Chemotherapie. Es erfolgte eine kontinuierliche Kühlung mit einer Gerätetemperatureinstellung bei 10–12 °C. Es gab 30 Minuten Vorkühlzeit, Kühlung während der Chemotherapie und 30 Minuten Nachkühlzeit.
Durch den Einsatz der technisch optimierten Methode blieben 94 % der Patientinnen und Patienten frei von limitierenden Symptomen von CIPN (Ausprägungsgrad ≥ 2). Follow-up-Erhebungen bestätigten die Nachhaltigkeit der Ergebnisse. Ohne prophylaktische, kontrollierte Kühlung entwickelten 90 % der Erkrankten unter einer taxanhaltigen Chemotherapie Symptome von CIPN und Hand-Fuß-Syndrom – 45,8 % davon Toxizitäten von Grad 2–3. Mit Nutzung der kontrollierten Kühlung für die noch verbleibenden Chemotherapie-Infusionen konnte eine Progression der CIPN-Symptome verhindert werden, bestehende Symptome wurden gelindert.
Die Leistung kann mit 2 × 58,29 Euro (1 × Hände, 1 × Füße) pro Chemotherapie-Infusion bei den privaten Krankenkassen abgerechnet werden. Die NATUM ist in Besitz eines Geräts der neuesten Generation zur gradgenauen, kontrollierten Kühlung (Hilotherapie) und stellt dies Interessierten leihweise für 3–6 Monate zur Verfügung (Kontakt: info@natum.de).
Therapie der CIPN: schulmedizinische Optionen
Über die Möglichkeiten der Therapie bei manifester CIPN referierte Dr. med. Björn Beurer (Potsdam). Leitlinienkonform kann bei manifester CIPN eine Therapie mit Dulexitin erwogen werden (Level of evidence Ib, Empfehlungsgrad B). Allerdings ist Dulexitin zur Therapie der CIPN nicht zugelassen, sodass der Einsatz im Bereich Off-Label-Use liegt.
Zur Verwendung von Venlafaxin gab es bei der Erstellung der Leitlinie einen starken Konsens, jedoch ist auch Venlafaxin Off-Label-Use. In einer randomisierten placebokontrollierten Studie wurde folgende Dosis verwendet: 1 Stunde vor Chemotherapie Venlafaxin 50 mg, Tag 2 bis Tag 11 2 × 37,5 mg täglich. In der Verumgruppe konnte damit ein vollständiges Abklingen der CIPN-Symptome bei 32,2 % der Patientinnen und Patienten erzielt werden. In der Venlafaxin-Gruppe lag diese Rate bei 5,3 % [2]. Die Wirkung in der Verumgruppe war nicht passager, sondern dauerhaft. Nebenwirkungen: In der Venlafaxin-Gruppe waren Übelkeit, Somnolenz, Erbrechen und Asthenie signifikant häufiger als in der Placebogruppe.
In einer vierarmigen Studie wurden Pregabalin, Gabapentin, Amitriptylin und Placebo miteinander verglichen. In allen Gruppen wurden die Schmerzen reduziert. Diese Wirkung war in der Pregabalin-Gruppe am stärksten im Vergleich zu Placebo [3].
Therapie der CIPN: komplementär-medizinische Optionen
Als Salvageoption kann die lokale Anwendung von Capsaicin erwogen werden. Dies ist das Resultat eines Konsens einer Expertengruppe, der Eingang in die Leitlinie gefunden hat. Capsaicin ist ein hoch selektiver Antagonist am TRPV1-Rezeptor. Die Anwendung erfolgt über ein Pflaster als Medium. Hierzu gibt es nur wenige Studiendaten. In einer Publikation wurde bei der Hälfte der Erkrankten eine Schmerzreduktion von > 30 % beschrieben, ein Drittel hatte eine Schmerzreduktion von > 50 % [4].
Menthol führt zu einer Aktivierung von TRPM8-Ionenkanälen in sensorischen Neuronen [5]. Zu diesem Konzept gibt es wenige Studien. In einer Phase-II-Studie wurde Mentholcreme in 1%iger Dosierung 2 × täglich auf die betroffenen Areale aufgetragen. Eine deutliche Schmerzlinderung bei minimaler Toxizität hatten 31 von 38 Erkrankten. Auch wenn keine Daten aus randomisierten Studien vorliegen, sollte eine topische Mentholtherapie in Betracht gezogen werden. Diese ist kostengünstig und risikoarm. Rezeptur: 1,0 g Menthol auf 100,00 g Basiscreme.
Zu den weiteren Therapieansätzen zählen:
Neuere Publikationen zeigen vielversprechende Wirkungen von Palmitoylethanolamid p. o. [6].
Der Autor
Prof. Dr. med. Harald Meden
Swiss Institute for New Concepts and Treatments (SINCT)
CH-8805 Richterswil / Zürich
1. Vorsitzender der NATUM e. V.
Bildnachweis: Artyom Kozhemyakin (gettyimages); privat