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Management

Medizintourismus

Internationale Patienten als Zielgruppe

Dr. phil. Jean-Pierre Himpler

1.4.2022

Medizintourismus ist international ein boomender Markt. Die Gründe, die Patienten dazu veranlassen, medizinische Leistungen im Ausland in Anspruch zu nehmen, sind vielfältig. Doch in welchen Segmenten können Praxen in Deutschland davon profitieren und wie sollte am besten vorgegangen werden?

Man spricht von Medizintourismus, wenn sich jemand für begrenzte Zeit zugunsten einer medizinischen Behandlung an einen anderen Ort begibt. Für Patienten, die nach Deutschland kommen, stehen heute primär Qualität und Reputation von Behandlung bzw. Ärzten und Kliniken im Vordergrund – aber Deutschland ist nicht das einzige Land im Wettkampf um das lukrative Geschäft mit wohlhabenden, reisewilligen Patienten. Praxen und Kliniken in aller Welt haben medizinischen Tourismus als Gewinnchance verstehen gelernt und viele privatwirtschaftliche Unternehmen haben in diesen Bereich investiert.

Wer reist für seine Gesundheit?

Auf globaler Ebene sind die Gründe für Medizintourismus vielfältig. So können günstigere Kosten für spezifische Behandlungen oder juristische Voraussetzungen für die Durchführung von Behandlungen die Grenzüberschreitung befürworten.

Es wird üblicherweise zwischen drei Typen von Medizintouristen unterschieden: Beim ersten Typus (preisunbewusstes Reisen für die Behandlung) wird eine Zielgruppe angesprochen, welche bereit ist, sich ins Ausland zu begeben, z. B. wegen der dortigen medizinischen Infrastruktur. Bei dieser Zielgruppe ist die Preissensitivität eher gering. Höchste Qualitätsansprüche werden auf eigene Kosten geltend gemacht. Oftmals spielen der Zugang zu bestimmten medizinischen Apparaturen bzw. das schiere Behandlungsangebot, natürlich mit den adäquaten Service-Leistungen, die Schlüsselrolle. Neben der eigentlichen Therapie haben aber auch Aspekte wie Datenschutz und ärztliche Schweigeplicht, welche oftmals im Heimatland nicht gelebt werden, eine große Bedeutung. Ein weiterer hochrelevanter Grund für die Aufnahme medizintouristischer Reisen sind auch die juristischen Besonderheiten vor Ort, etwa eine späte Abtreibung in den Niederlanden oder die begleitende Sterbehilfe in der Schweiz. Deutschland ist allerdings nicht für besondere juristische Regelungen bekannt.

Bei der zweiten Gruppe (preisbewusstes Reisen für geringere Kosten) ist die preisliche Flexibilität eher gering. Die Reise wird vor allem wegen einer Einsparung bei nicht von der Versicherung übernommenen Leistungen in Kauf genommen. Diese Zielgruppe reist nur selten nach Deutschland, um sich behandeln zu lassen. Oftmals sind es hier die Deutschen, welche sich ins Ausland begeben. In der Zahn­medizin ist etwa das Angebot an Behandlungsmöglichkeiten im ungarischen Grenz­gebiet sehr weitläufig – es werden vor allem Reisewillige aus Deutschland und Österreich angesprochen. Es besteht aber auch in Deutschland die Möglichkeit, Partnerschaften einzugehen und mit ausländischen Praxen zu kooperieren bzw. direkt ausländische Patienten anzusprechen.

Die letzte Gruppe (preisneutrales Reisen auf Kosten der Versicherung) begibt sich vor allem aufgrund von Wartezeiten auf die Reise. So kann es beispielsweise je nach lokaler Nachfrage zu sehr langen Wartezeiten bei bestimmten Fachgruppen oder bei bestimmten Therapien kommen. Diese Wartezeit kann ggf. durch Grenzüberschreitung minimiert werden. In der Europäischen Union ist die Kostenübernahme durch die eigenen Krankenkassen in der EU-Patientenmobilitätsrichtlinie 2011/24/EU geregelt. Im Grenzgebiet Deutschland-Niederlande, in NRW, gibt es z. B. ein ausgeprägtes Angebot, welche sich aufgrund der Nähe und den erheblich kürzeren Wartezeiten an niederländische Patienten richtet.

Diese dritte Gruppe hat auf dem internationalen Parkett eine eher geringe Bedeutung, besonders weil das Heimatland seiner Versorgungsverpflichtung nachkommen soll. Oftmals führen sehr lange Warte­zeiten auch dazu, dass Kassenpatienten sich im Heimatland auch privat behandeln lassen.

Mod. nach Bertelsmann Stiftung

Internationale Entwicklung

Die relevanteste Gruppe von Medizintouristen im internationalen Vergleich ist wohl diejenige, welche aufgrund von Preisdifferenzen verreist. So können abhängig vom Behandlungs- und Heimatland Preise teilweise um mehr als 90 % günstiger sein – allerdings sind Qualitätsstandards bzw. die Qualitätsbedürfnisse teilweise veschieden. Aufgrund dieser Qualitätsschwankungen haben sich auch Zertifizierungsorganisationen etabliert. Gerade aus der Perspektive verschiedener Qualitätsansprüche bzw. auch vielseitiger Qualitätsschwerpunkte kann eine Zertifizierung durchaus sinnvoll sein. Aber auch hier gilt es die zur jeweiligen Zielgruppe passende Zertifizierung mit dem adäquaten Marktzugang zu wählen. Je nach Zertifizierer geht es hier weniger um die Optimierung des großteils ohnehin hohen Standards in deutschen Praxen, sondern vor allem um den respektiven Marktzugang.

Auf globalem Niveau ist die Entwicklung von Medizintourismus teilweise schwierig zu messen, da Statistiken oftmals nicht sauber erfasst werden. Kurzfristige Notfallbehandlungen im Ausland werden gerne zugunsten der Statistik auch in medizintouristischen Zählungen erfasst. Nichtsdestotrotz ist deutlich ein global starker Wachstumstrend zu verzeichnen.

Digitalisierung wichtig

Im globalen Vergleich darf man den Aspekt der Digitalisierung nicht vernachlässigen. Die Konkurrenz ist hier nämlich nicht der benachbarte Arzt, sondern es sind ganze Länder mit ihren eigenen medizinischen bzw. touristischen Entwicklungsstrategien. Betrachtet man den Bereich Digitalisierung, so ist zu erkennen, dass Deutschland nicht gerade weit vorne liegt (Abb. 1). Bei der Zielgruppe Medizintourismus konkurriert man aber mit anderen globalen Anbietern, sprich, muss sich auch mit diesen messen bzw. die Erwartungen des anspruchsvollen Kunden aus dem jeweiligen Zielland erfüllen.

Deutschland wurde bis vor einigen Jahren international kaum als Destination für Medizintourismus wahrgenommen. Dies hat sich mit wachsendem internationalem Bewusstsein um deutsche Qualität über die Jahre teilweise gewandelt. Besonders bei wohlhabenden arabischen Familien werden Behandlungen in Deutschland geschätzt und deutsche Ärzte sehr hoch angesehen. Hier ist allerdings festzustellen, dass – unabhängig von Corona – die vorher dagewesenen Wachstumszahlen zumindest geringer ausfallen, nicht zuletzt weil sich die Standards im eigenen Land erhöhen bzw. weil Patienten andere Länder für sich entdeckt haben. Mit der passenden Strategie ist es aber möglich, erfolgreich die passende Zielgruppe in die Praxis zu bringen (> Praxismanagement).

Auch für Patienten aus Russland bzw. allgemein dem osteuropäischen Raum ist Deutschland eine beliebte Destination für medizinische Behandlungen. Der Ruf deutscher Ärzte bzw. der deutschen medizinischen Ausbildung spricht einerseits für sich, andererseits gibt es in Deutschland aktuell noch Behandlungsangebote, welche im russischen Ausland kaum vorhanden sind. Es besteht hier auch für deutsche ­Ärzte Entwicklungsbedarf. Die Zahlen für Medizintourismus in Deutschland (Abb. 2) haben sich nicht zuletzt deswegen in den vergangenen Jahren kaum erhöht, weil die Entwicklung in Deutschland kaum voranschreitet, während andere Länder sich im medizinischen Bereich im Zuge der Digitalisierung rasant weiterentwickeln (Digital-Health-Index, Abb. 1). Unsere Beratung beinhaltet, dass wir gemeinsam mit den Kunden das zur Patientenzielgruppe passende Angebot erarbeiten und die Umsetzung der gemeinsam entwickelten Praxiskonzeption betreuen, um sicherzustellen, dass unsere Kunden langfristig in diesem Markt erfolgreich sein können.

Verschenkte Chancen?

Wenn ausländische Patienten in deutsche Praxen kommen, so entstehen eine Reihe von Herausforderungen, die entweder von der Praxis oder von einem Patientenvermittler gemeistert werden können. Hier ist es sehr wichtig zu verstehen, dass der Patientenvermittler nicht nur Patienten vermittelt, sondern diese über den Zeitraum der Vorbereitung des Aufenthalts und während der kompletten Zeit in Deutschland sowie darüber hinaus betreut und bei Fragen zur Seite steht. Ausländische Patienten benötigen z. B. individuelle Beratungen für die Anreise, Informationen über die Begebenheiten vor Ort, Unterkünfte oder auch Aspekte wie lokales Verhalten im Falle von Komplikationen. Zusätzlich wird in vielen Fällen ein Dolmetscher oder erster Ansprechpartner benötigt. Aber kann eine normale Arztpraxis diese Vielzahl an Leistungen überhaupt erbringen bzw. die Erwartungen adäquat erfüllen?

Entlastung durch Patientenvermittler

Um die eigene Praxis zu entlasten und auch den internationalen Vertrieb samt kultureller und sprachlicher Herausforderungen zu vereinfachen, ist die Arbeit mit Patientenvermittlern oder eher -betreuern, wie wir Sie immer gerne nennen, sehr sinnvoll. In jedem Falle gilt es, gemäß des eigenen Behandlungsangebots, die Zielgruppe herauszuarbeiten oder besser noch für eine bestimmte Zielgruppe, ein klares Behandlungsangebot zu entwickeln. Dieses sollte im Zielland – gemäß der dortigen Kultur – angepriesen und beworben werden, um dann mit dem Patienten im Erstkontakt eine Beziehung aufzubauen und diesem ein adäquates Komplettpaket samt sprachlicher Begleitung, Unterkunft, Vor-Ort-Betreuung und Ähnlichem zu bieten.

Ein weiterer Vorteil der Arbeit mit Vermittlern ist, dass hier nicht von einem Pauschalangebot gesprochen werden kann. Sobald der Eindruck einer Pauschalreise (medizinisch oder nicht ist hier sekundär) entsteht, kommen Haftungsfragen im Zuge der Veranstalterhaftung auf die Praxis zu. Eine Arztpraxis ist üblicherweise juristisch nicht darauf vorbereitet oder dafür versichert, diese Haftung zu übernehmen (> Medizinrecht).

Patientenvermittler unterstützen bei der Anpassung des eigenen Angebots auf die Bedürfnisse der Zielgruppe, welche sie kennen, und begleiten den Entscheidungsprozess der Patienten. Der Vermittler ist aber nicht nur Verkäufer der medizinischen Leistung. Er entwickelt gemeinsam mit den Patienten das passende Angebot mit dem zu ihnen passenden Rundum-Paket. Zusätzlich ist er im Laufe der kompletten Reise der erste Ansprechpartner der Patienten. Abhängig vom Behandlungsangebot oder auch der erarbeiteten Zielgruppe, finden wir gemeinsam im Zuge der Beratung die passenden Partner, um langfristig im Markt erfolgreich sein zu können.

Das gilt es jetzt zu tun

Häufig ist festzustellen: Deutsche Ärzte passen sich nicht an die Gewohnheiten ihrer Patienten an. Es fehlt an interkultureller Kompetenz, oder schlicht an der Sprache. Die Infrastruktur der Praxis ist oftmals auf den deutschen, ambulanten Patienten ausgerichtet. Internationale weniger preissensitive Patienten suchen aber intensive persönliche Betreuung vom behandelnden Arzt.

Um sich dem global wachsenden Markt „Medizintourismus“ zu öffnen, gilt es wie folgt vorzugehen:

  1. Therapieangebot zielgruppenspezifisch analysieren.
  2. Zu Patienten passende Therapien auswählen.
  3. Hauptherkunft der Patienten mit diesem Behandlungsbedarf ermitteln.
  4. Kulturellen Bedarf der Patienten verstehen.
  5. Komplettpaket für Patienten ausarbeiten (Reiseveranstalterhaftung berücksichtigen/passende Patientenvermittler akquirieren).
  6. Kulturelle Schulung für das gesamte Praxisteam organisieren.
  7. Patienten erfolgreich in der Praxis empfangen.

Im Idealfall sollte das passende Konzept zu Anfang ausgearbeitet werden, um dann auch direkt die zum Gesamtkonzept passenden Kanäle zu bespielen.

Der Autor

Dr. phil. Jean-Pierre Himpler
Digitalisierung & Kommunikation
med3 – Beratung für Heilberufe
55130 Mainz

Tel.: +49 (0)6131 - 912 56 77

himpler@med3.net

Literatur beim Autor
Bildnachweis: Privat

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