Im Sommer 2023 wurde die überarbeitete und erweiterte S3-Leitlinie für die psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten veröffentlicht. Im Vergleich zur Vorversion können sich jetzt mehr Interventionsformen auf Empfehlungen mit hoher Evidenz stützen.
Wichtige Neuerungen gab es in der aktualisierten Leitlinie [1] im Bereich der psychoonkologischen Interventionen, der Psychopharmakotherapie sowie der Besonderheiten einzelner Zielgruppen. So wurden elf neue Themen aufgenommen und einige Artikel neu überarbeitet.
Ziel der Experten war es, Patienten und Angehörige durch psychoonkologische Maßnahmen von Ängsten, Sorgen und Hilflosigkeit zu befreien und so eine Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen. Ein Beispiel dafür sind Entspannungsverfahren.
Die neuen Kapitel betreffen E-Health-Applikationen, die Palliativphase und Kriseninterventionen.
Hier liegen gemäß Leitlinie inzwischen Wirksamkeitsnachweise vor, dass sie bei Krebsbetroffenen Angst, Depressivität, psychische Belastung, Fatigue und Übelkeit reduzieren sowie die Lebensqualität steigern können.
Psychoonkologische Interventionen für mehr Lebensqualität
Psyche und Individualität standen im Vordergrund der Aktualisierungen. Dabei sind Screeningverfahren und Patientenwünsche relevant in Bezug auf die Verfahren, die dann am besten greifen. Um gezielter auf die Patienten eingehen zu können, wurden bei den Interventionen drei neue Kapitel aufgenommen: psychoonkologische E-Health-Interventionen, spezifische psychoonkologische Interventionen in der Palliativphase und die psychoonkologische Krisenintervention.
Spezifische Interventionen in der Palliativphase
Spezifische psychoonkologische Interventionen für Patienten in der Palliativphase sind in der Regel supportiv ausgerichtet. Im Vordergrund stehen spirituelle, psychische, körperliche oder soziale Aspekte der Krebserkrankung. Dementsprechend sollen bei diesen Patienten Entspannungsverfahren, achtsamkeitsbasierte Interventionen bzw. Meditation, hypnotherapeutische Elemente, kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen, supportiv-expressive Interventionen und systemisch familientherapeutische Ansätze sowie künstlerische Therapien angeboten werden.
Psychologische Krisenintervention spielt eine zentrale Rolle
Leider liegen keine kontrollierten Studien zur Wirksamkeit von Krisenintervention im Kontext der Psychoonkologie vor. Aussagen zur Wirksamkeit können deshalb nicht gemacht werden. Dennoch nimmt die Krisenintervention in der Psychoonkologie eine zentrale Rolle ein.
Während bei der psychiatrischen Krisenintervention beispielsweise die psychische Dekompensation oder Suizidalität in Verbindung mit psychischen Störungsbildern im Vordergrund steht, ist der Fokus im psychoonkologischen Kontext ein anderer. Beispiele sind die durch die Diagnoseeröffnung ausgelöste existenzielle Erschütterung und Bedrohung der Lebensperspektive, Selbstwertverluste durch funktionelle Beeinträchtigungen oder Amputationen, massive Therapienebenwirkungen oder chronische Therapiefolgen, die Diagnose eines Rezidivs oder die Feststellung eines palliativen Krankheitsstadiums. Auch sekundäre Probleme werden hier berücksichtigt, beispielsweise die zunehmende Abhängigkeit von Medikamenten, Kontrollverlust über die eigene Lebensgestaltung, finanzielle und soziale Notlagen oder Konflikte im familiären und beruflichen Umfeld.
Eine psychoonkologische Krise liegt beispielsweise vor, wenn der Patient sich in einem psychischen Ausnahmezustand befindet, verbunden mit einem Verlust des seelischen Gleichgewichts. Das kann beispielsweise ausgelöst werden durch die Konfrontation mit lebensbedrohlichen Ereignissen, die die individuelle Bewältigungskapazität übersteigen.
Ziel der Krisenintervention ist es dann, dass der Patient durch Unterstützung bei den Bewältigungsfähigkeiten wieder in die Lage versetzt wird, bedrohliche Krankheitssituationen aus eigener Kraft zu bewältigen.
Psychopharmakotherapie
Eine effektive Behandlung von Depressionen, Angststörungen und anderen psychischen Störungen bei Krebspatienten setzt die enge Kooperation zwischen einer interdisziplinären Betreuung voraus. Das beginnt bei der Diagnostik und endet bei der optimalen Behandlung.
Krebserkrankung und -therapie führen häufig zu sexuellen Funktionsstörungen.
Hier stehen depressive Symptome und Depression, Ängste und Angststörungen sowie Schlafstörungen im Vordergrund. Die entsprechenden Maßnahmen sollen laut Leitlinie individuell auf den Patienten abgestimmt werden.
Besonderheiten einzelner Zielgruppen
Unter die speziellen Beeinträchtigungen fallen die Sexualfunktionsstörungen, die im Zusammenhang mit verschiedenen Krebserkrankungen auftreten können. Grundsätzlich nehmen sie Einfluss auf das Selbstwertgefühl, das Körperbild und die wahrgenommene sexuelle Attraktivität und damit auch auf die Lebensqualität der Patienten.
Gestört sein können im Speziellen die Sexualfunktionen wie Appetenz, Lubrikation, Dyspareunie oder Orgasmusfähigkeit einhergehend mit negativen Auswirkungen auf die Paarbeziehung. Diese Aspekte sollten in der Frauenarztpraxis generell angesprochen werden – unabhängig davon, ob es sich um eine gynäkologische Krebserkrankung handelt oder um eine andere Entität.
Neue Empfehlungen gibt die Leitlinie auch speziell für Patienten mit Hirntumoren und generell für die spezifische Belastung von Menschen mit einer Krebsdiagnose.
1 Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): S3-Leitlinie Psychoonkologische Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatient*innen, Langversion 2.0, 2023; AWMF-Reg.-Nr.: 032-051OL, Stand: 15.06.2023