Viele Patienten mit onkologischen Erkrankungen leiden unter Tumorschmerzen. Diese zu therapieren, ist besonders in fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung essenziell. Einen Überblick über die Therapieoptionen gab Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel, Leiter der Palliativmedizin im Helios-Klinikum Bonn/Rhein-Sieg.
Etwa 20 bis 40 % der Patienten mit onkologischen Erkrankungen leiden bereits zu Erkrankungsbeginn unter Schmerzen, so Hoffmann-Menzel. In weit fortgeschrittenem Tumorstadium betrifft der Schmerz nahezu jeden dieser Patienten und im letzten Lebensjahr bis zu 95 %. Die Bedeutung von Tumorschmerzen geht dabei über das physische Erleben weit hinaus, denn ihre Zunahme signalisiert den Betroffenen ein Voranschreiten der Erkrankung. Angst vor dem näher kommenden Lebensende ist somit ein häufiges Begleitsymptom. Wichtig ist daher, den Tumorschmerz ernst zu nehmen, sowie rasch und effizient zu behandeln. Dafür stehen verschiedene nicht medikamentöse und medikamentöse Therapien zur Verfügung. Letztere wurden von Hoffmann-Menzel eingeordnet in Nichtopioide, Opioide (Tab.) und Co-Analgetika sowie die relativ neue Therapieoption der Cannabinoide.
Therapie nach Stufenplan
Der Tumorschmerz kann tumorbedingte oder tumorassoziierte Ursachen haben. Hoffmann-Menzel empfiehlt, für die Schmerzdiagnose eine gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung inklusive Bildgebung durchzuführen. Orientierung für die Therapie bietet das Drei-Stufen-Modell (Abb.). Während in Stufe 1 mit gut zu beherrschenden, eher leichten Schmerzen Nichtopioid-Analgetika, NSAID (nicht steroidale Antirheumatika) oder Coxibe ausreichen, kommen in Stufe 2 zusätzlich mittelstarke Opioide zum Einsatz. Auf der dritten Stufe der Schmerzbehandlung haben sich bei Tumorschmerz sowie bei Akutschmerz (z. B. postoperativ, zeitlich begrenzt) starke Opioide etabliert. Goldstandard sei hier nach wie vor Morphin. Als Alternativen kommen Hydromorphon oder Oxycodon, als Kann-Empfehlung Fentanyl (transdermal oder mucosal/nasal) oder L-Methadon in Betracht. Wichtig sei, die Vielzahl an Nebenwirkungen der Opioidtherapie zu beachten, wie Übelkeit und Erbrechen, Obstipation, Sedierung, Juckreiz, Myoklonien, Harnverhalt etc. Die größte Sorge der Ärzte bei der Opioidtherapie seien Sucht und Atemdepression bei den Patienten, in der Realität haben Übelkeit und Obstipation die größte Evidenz. Diesen Beschwerden sollte prophylaktisch begegnet werden, erläuterte Hoffmann-Menzel.
Opioide unterscheiden sich im Metabolismus und der Äquivalenzdosis. So ist z. B. bei Morphin und Hydromorphon der First-Pass-Effekt ausgeprägt und die Bioverfügbarkeit liegt bei ca. 30 %. Bei Oxycodon ist der First-Pass-Effekt hingegen mäßig, die Bioverfügbarkeit liegt bei 60 bis 70 %. Vorsicht geboten ist bei der Opioidtherapie von abhängigen Patienten. Hier sollte sie maximal zwölf Wochen dauern und eine Fortsetzung nur bei Wirkung und Verträglichkeit erwogen werden.
Wenn trotz Dosissteigerung nur eine inadäquate Schmerzreduktion erreicht werden kann, oder therapierefraktäre Nebenwirkungen auftreten, kann eine Rotation der Wirkstoffe bei der Opioidtherapie notwendig werden. Hier ist es wichtig, die Äquivalenzdosen zu beachten. Diese seien allerdings lediglich Orientierungswerte, daher empfiehlt Hoffmann-Menzel einen Therapiebeginn nach Wechsel mit nur 50 % der errechneten Äquivalenzdosis.
Auch Co-Analgetika sind bei der Therapie von Tumorschmerzen angezeigt. Hierzu zählen Antidepressiva, Antikonvulsiva, Glukokortikoide sowie Ketamin oder Clonidin. Diese sind allerdings nebenwirkungsreich: Sedierung, Verwirrtheit, Myoklonien, Mundtrockenheit, Harnverhalt, Rhythmusstörungen u. v. m. Zu beachten ist auch die verzögert einsetzende Schmerzlinderung und die notwendige einschleichende Dosierung.
Neu in der (Tumor-)Schmerztherapie
Cannabinoide werden vom postsynaptischen Neuron in den synaptischen Spalt freigesetzt und bewirken eine verringerte Transmitterfreisetzung des präsynaptischen Neurons durch eine Minderung der Aktivität präsynaptischer Calciumkanäle sowie der Steigerung der Aktivität postsynaptischer Kaliumkanäle und Hemmung der Adenylatcyclase und Proteinkinase A. Über die funktionelle Bedeutung ist nur wenig bekannt, betonte Hoffmann-Menzel, und es gäbe wenig bis keine Evidenz für nozizeptive Schmerzen und Tumorschmerz sowie wenig Evidenz für neuropathischen Schmerz. Besser sei die Evidenz für Schmerz bei Spastiken. Allerdings könnten die Cannabinoide eine Reserve bei Übelkeit, Erbrechen und Appetitmangel sein. Nicht zu vergessen sei zudem die nicht medikamentöse Schmerztherapie, die ergänzend dazu beitragen kann, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Hierzu gehören: physikalische Therapie/Physiotherapie, Elektrostimulationsverfahren (TENS), Psychotherapie und Akupunktur.