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Kongress-Ticker

SARS-CoV-2

Wir werden schon bald gut mit dem Virus leben

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

22.6.2022

Was haben wir in zweieinhalb Jahren Corona-Pandemie gelernt? Und kann man seriös vorhersagen, wie die Entwicklung in den nächsten Monaten und Jahren weitergeht? Prof. Dr. med. Hendrik Streeck, Virologe am Uniklinikum Bonn und Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, fasste den Stand zusammen.

GSAAM-Präsident Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk (Nürnberg) kündigte den Sprecher so an: „Wie man zu WM-Zeiten darüber diskutiert, wer denn der beste Mittelstürmer ist, hat man in den letzten zwei Jahren in Deutschland diskutiert, wer denn der beste Virologe sei. Da haben wir neue Stars. Und wenn demnächst die Panini-Bilder gedruckt werden, von Deutschlands besten Virologen, werden auf den Schulhöfen sicher zwei Bilder ganz hoch gehandelt: die von Christian Drosten und von Hendrik Streeck.“

Wohin die Reise geht, machte Prof. Streeck schon am Anfang klar: „Der Titel muss eigentlich heißen: Mit dem Virus leben“, und er erklärte seine Einschätzung zu saisonalen Entwicklungen und zur Mutation des Virus. „Für den schleichenden Übergang von der Pandemie zur Endemie haben wir keine klaren ­Fakten“, so Streeck. Seine Folgerungen aus den vergangenen zwei Jahren: Die No-COVID-Strategie wird sich nicht durchhalten lassen. Sie ist in der Theorie gut und einleuchtend, funktioniert in der Praxis aber nicht einmal in China, wo es massiven Druck gibt. Weil sich das Virus zur Not auch über tierische Zwischenwirte weiterverbreiten kann und dort ein festes Reservoir hat (> Infektiologie).

Wie also dann? Prof. Streeck blickte in die Vergangenheit und zeigte am Beispiel des OC43-Coronavirus den „klassischen“ Gang der Dinge. 1889–1895 ging die „russische Grippe“ um die Welt, weltweit starben mehr als eine Million Menschen. Man geht heute davon aus, dass es sich nicht um Influenza handelte, sondern um das Coronavirus OC43. Heute gehen ca. 10–15 % der grippalen Infekte jedes Jahr auf das Konto von OC43, ohne dass es größere Komplikationen gibt. Das Virus hat sich angepasst, weniger Menschen erkanken schwer – was evolutiv ja auch für das Virus kein Vorteil wäre. Andererseits lernt unser Immunsystem schon in der Kindheit das Virus kennen und hat sich ebenfalls angepasst.

Die Saisonalität – viele Infektionen in der Winterzeit, wenige in der Sommerzeit – haben alle Coronaviren gemeinsam. In den Sommermonaten gehen die Zahlen fast bis auf null, aber Streeck sagte klar: „Die Viren sind ja immer noch da. Nur die meisten Infektionen verlaufen im Sommer asymptomatisch und die Betroffenen wissen gar nicht, dass sie sich infiziert haben.“ RNA-Viren zeigen eine solche Saisonalität sogar bei Schweinen, die das ganze Jahr unter den gleichen Bedingungen in den Ställen leben. Das Phänomen ist durch viele Faktoren gesteuert und noch nicht vollständig verstanden. „Wir können diese Saisonalität nicht beeinflussen“, so Streeck, „aber wir können damit planen.“

Praktisch heißt das für ihn: Wir brauchen wie bei Autoreifen einen Sommer- und einen Wintermodus. Im Sommer können alle Beschränkungen fallen, die Menschen können durchatmen. Im Winter werden die Fallzahlen wieder ansteigen, und wir werden dann in bestimmten Regionen wieder über die Maskenpflicht sprechen und für bestimmte Patientengruppen auch über eine weitere Impfung. Er geht aber davon aus, dass das nur nötig ist, wenn Patienten schon ein stark eingeschränktes intrinsisches Immunsystem haben. Bezüglich der Varianten wird sich SARS-CoV-2 verhalten wie alle anderen Viren auch. Streeck stellte das „Viral Space“-Modell vor. Danach werden die Viren durch Mutation, Rekombination und Selektion so verändert, dass Übertragbarkeit und Immunflucht verbessert werden, ohne dass ihre Fitness – also die Fähigkeit zur Infektion von Zellen und zur Replikation – beeinträchtigt wird.

Sein abschließender Blick in die Zukunft war durchaus optimistisch: Impfstoffe bieten keinen Schutz vor der Infektion, aber einen sehr sicheren Schutz vor einem schweren Verlauf. Wahrscheinlich lebenslang nach einer dritten Impfung bei immunkompetenten Personen. „Wir werden uns alle immer wieder mit diesem Coronavirus infizieren. Mit häufigen Kontakten etabliert sich aber ein besserer Schutz bereits in den Schleimhäuten. Viele werden von den Infektionen dann kaum noch etwas merken.“

Festvortrag „Ist die Corona-Pandemie zu Ende?“

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