Auf dem FOKO wurde viel über neue Kontrazeptiva diskutiert – u.a. über die erste Kombipille mit dem Estrogen Estetrol und über die neue Gestagen-Mono-Pille mit Drospirenon. Beides stellen spannende Entwicklungen dar, aber eher nach dem Muster Evolution statt Revolution. Dass aber auch über den Tellerrand hinausgedacht wird, zeigt das Mini-Symposium „Finden wir andere Verhütungsstrategien?“. Referentin war Dr. med. Christiane Wessel, niedergelassene Frauenärztin in Berlin.
„Selbstbestimmt zu verhüten ist auch für Männer nicht leicht“, sagte sie und stellt zwei Methoden vor, die aktuell in der Entwicklung sind: das Vasalgel und den Samenleiterschalter. Das Vasalgel wird direkt in den Samenleiter injiziert und bildet dort ein weiches Hydrogel, das wie eine Barriere wirkt. Zwar lässt es Flüssigkeit noch durch, Spermien sind für diese Barriere jedoch zu groß und werden so herausgefiltert. Vasalgel ist eine Langzeitverhütungsmethode und voll reversibel. Durch das Injizieren eines „Gegenmittels“ wird das Vasalgel wieder aufgelöst. Es war 2002 schon einmal fast marktreif, wurde aber damals gestoppt. Mittlerweile hat eine Stiftung das Patent aufgekauft und entwickelt es weiter. Das Samenleiterventil ist ein 7 x 11 x 18 mm großes und 2 g schweres Ventil, das in den Samenleiter „eingebaut“ wird und sich aktuell in der Zulassungsphase befindet. 2023 könnte es so weit sein.
Das Problem sieht Wessel weniger auf technischer Ebene. „Ich frage meine Patienten: Würden Sie sich darauf verlassen, dass ein Partner wirklich zuverlässig verhütet, ohne dass Sie – wie beim Kondom – das kontrollieren können?“ Denn das die Versagerquote komplett zulasten der Frau geht, ist ja unstrittig. Also bleibt es auf absehbare Zeit wohl doch die Aufgabe der Frau, für eine zuverlässige Verhütung zu sorgen. Nur womit? Dass Hormonbashing keine Erfindung der 2020er-Jahre ist, beschrieb Wessel mit einem Augenzwinkern: „Ich kam mal aus dem Urlaub und las die Schlagzeile auf BILD: Diane 35 erzeugt Leberkrebs. Da wusste ich, wie am nächsten Tag meine Praxis läuft.“
Dass es auch anders geht, zeigen die Niederlande. Dort ist das Gesetz zur Abtreibung sehr liberal und trotzdem gibt es dort seit Jahrzehnten die wenigsten Teenagerschwangerschaften. Warum? Weil die Jugendlichen anders unterrichtet werden: Pille plus Kondom verhütet Schwangerschaften am sichersten. In Deutschland ist das leider anders.
Zyklus-Apps sind digitale Hilfsmittel, aber wenn man sie alleine nutzt, ist der Pearl-Index nicht überzeugend. Noch nicht womöglich. Denn Fruchtbarkeitstracker für Paare mit Kinderwunsch haben ja das Potenzial, auch die unfruchtbaren Tage zu ermitteln. Ein Armband beispielsweise, das während des Schlafens getragen wird, zeichnet fünf physiologische Signale auf: Atemfrequenz, Hauttemperatur, Hautperfusion, Herzfrequenzvariabilität und Puls. Das ergibt eine Million Datenpunkte pro Nacht. Verwendet werden Algorithmen des maschinellen Lernens, um daraus die fünf empfängnisbereitesten Tage des Menstruationszyklus zu ermitteln.
Durch klinische Studien und das „Ökosystem“ des Herstellers wächst der Datenpool sehr schnell. Ob und wann daraus eine zuverlässige Verhütungsmethode wird, ist noch offen. Sicher ist aber, dass Frauen nach solchen Anwendungen suchen. Und dass sie für eine hormonfreie Verhütung auch bis zu einem gewissen Punkt bereit sind, Abstriche in Bezug auf Wirksamkeit und Einfachheit der Anwendung in Kauf zu nehmen.
Mini-Symposium „Finden wir andere Verhütungsstrategien?“ (Veranstalter: Aristo Pharma GmbH, Berlin)