Der Praxisalltag will nicht so recht in das Bild passen, das Fernsehserien wie „Der Bergdoktor“ malen, und in der Realität hegen wohl immer weniger Ärztinnen und Ärzte ähnliche Berufsbegeisterung wie die Titelfigur. Daten des Zentralinstituts kassenärztliche Versorgung (Zi) zeigen, wo es schmerzt.
Im ärztlichen Alltag auf dem Bildschirm bewältigt der Bergdoktor lösbare medizinische und Existenzkrisen in einer idyllisch gelegenen Praxis mit ferienwohnungsartiger Raumgestaltung. Eine Anmeldung braucht es mangels Warteschlangen nicht, Papierkarteikarten vermeiden Stress mit dem Praxiscomputer. Bei (sichtbar) 1 bis 2 Patientinnen oder Patienten pro Woche und reibungs- und zeitverlustfreier Zusammenarbeit mit dem lokalen Krankenhaus bleibt die Belastung erträglich. Ohne die Notwendigkeit abrechnen und von der Praxis leben zu müssen sowieso, schilderte Dr. Dominik Graf von Stillfried, Zi in Berlin, den schönen Fernseh-Schein.
Dem stellte er die Entwicklungstrends in der deutschen Versorgungslandschaft zwischen 2001 und 2021 gegenüber. Im internationalen Vergleich seien die Fallzahlen in Deutschland hoch, die Kontaktzeiten jedoch sehr kurz. Der Anteil der in Praxen arbeitenden Ärztinnen und Ärzte gehe zurück und die Zahl der Inhaberinnen und Inhaber sei zwischen 2017 und 2022 um 8 % von 106 000 auf 97 000 gesunken – zugunsten von Angestelltenverhältnissen. Weil sich die Nachfolge nicht lösen lasse, seien Ende 2023 insgesamt 5 760 Praxen unbesetzt gewesen, 4 860 davon in der hausärztlichen Versorgung.
Erschöpft durch Nebensächliches
Einer Online-Erhebung des Zi im Dezember 2023 mit knapp 33 000 teilnehmenden Hausärztinnen, Fachärzten und Psychotherapeutinnen zufolge stiegen die Überlastungsanzeichen, berichtete von Stillfried. Der Aussage „Meine Leistungen in der Patientenversorgung werden angemessen honoriert“ stimmten danach nur 13 % zu (FA 8,4 %). Rund 90 % bestätigten, dass u. a. Digitalisierungsmaßnahmen sowie Bürokratie Praxisalltag und Patientenversorgung beeinträchtigten. Davon, dass ihre Versorgungsarbeit von der Politik angemessen wertgeschätzt werde, zeigten sich nur 5 % der Befragten überzeugt. Im Frühjahr 2024 bestätigte eine weitere Online-Erhebung mit knapp 10 000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, dass 80 % der Praxen durch dysfunktionale Software belastet sind, mit wöchentlich mehreren bis hin zu fast täglichen Störungen bei 45,2 % von ihnen.
Es müsse mehr ermöglicht und gefördert werden, statt reguliert und kontrolliert, und die Digitalisierung müsse die Arbeit erleichtern. Eine geringere Schlagzahl und flexibleres Arbeiten lasse sich erreichen durch bessere Patientensteuerung, einfachere Workflows, verringerte Wahlfreiheit für Versicherte sowie Verstärkung von Telemedizin, asynchroner Kommunikation und Delegation in einer „Teampraxis“. Um die Bedeutung der ambulanten Versorgung zu erhöhen, seien die Vergütung relativ zum Krankenhaus zu verbessern und die Weiterbildung in Praxen sowie der strukturelle Ausbau ambulanter Zentren zu fördern. Zudem müsse früh im Medizinstudium über Erwartungen und Realität in der ambulanten Versorgung gesprochen werden, forderte von Stillfried.
Vortrag „Niederlassung: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Schadet das Bergdoktor-Image?“