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Kongress-Ticker

DGN

Neurowoche 2022

Nicole Hein

6.1.2022

ME/CFS: Neue Forschungsansätze zur rätselhaften Erkrankung +++ Neue Migräne-Leitlinie +++ POST-Covid: Pathomechanismus ist nach wie vor ungeklärt +++ Gender Equality in der Neurologie +++ Pflegemangel in der Neurologie

ME/CFS: Neue Forschungsansätze zur rätselhaften Erkrankung

Prof. Dr. med. Harald Prüß (Berlin) bemängelte, dass der Begriff ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome) ebenso unscharf wäre wie die Symptomatik selbst. Patienten mit dieser Erkran­kung beschreiben besonders häufig Symptome wie Fatigue, Schmerzen, Schlafstörungen und Gedächtnisstörungen.

Das Leitsyndrom, das alle ME/CFS-Patienten gemeinsam haben, ist die Post-Exertional Malaise (PEM). Bereits nach leichter Belastung wie einem Spaziergang um das Haus seien die Patienten mehr als 24 Stunden völlig erschöpft und müssten im Bett liegen, so Prüß. „Obwohl es diese Erkrankung seit 50 Jahren gibt, wissen wir eigentlich nicht wirklich, warum sie entsteht“, gab Prüß zu bedenken. „Wir haben auch keine eindeutigen Biomarker, wo jeder sagen könnte, das ist ME/CFS, und wir haben leider auch keine Therapie.“

Zudem hätten viele Patienten neurologische oder psychiatrische Komorbiditäten wie Angststörungen oder Depressionen, die aber genauso gut auch als Risikofaktoren für die Entstehung von ME/CFS fungieren könnten. Deshalb plädierte Prüß für groß angelegte, interdisziplinäre ME/CFS-Verbundforschungsprojekte. Dabei sei das dringlichste Forschungsziel die Erforschung von Biomarkern, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können. Außerdem müsse verstanden werden, wie die Krankheit entstünde und sich entwickelte. „Nur wenn wir die Pathogenese kennen, können wir Therapien entwickeln, die an der Ursache ansetzen“, resümierte Prüß.

Der hohe Leidensdruck der Betroffenen hat dazu geführt, dass vielerorts die Grundlagenforschung übersprungen wird und erste Therapiestudien aufgelegt werden. Basis eines Ansatzes ist beispielsweise die Hypothese, dass ME/CFS autoantikörpervermittelt ist, weswegen eine Therapie darauf abzielt, die Autoantikörper aus dem Blut der Betroffenen zu „waschen“.

Darüber hinaus laufen deutschlandweit Studien zu anderen Therapien, wie zu Immuntherapien, Steroiden und Antipsychotika.  


Neue Migräne-Leitlinie

Die aktualisierte S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) steht kurz vor der Publikation. Sie geht auf die medikamentöse wie auf die nicht medikamentöse Therapie und auf psychotherapeutische Verfahren ein. Besonders aktuell sind die Empfehlungen zur Dauer einer Migränephrophylaxe, zu den kurz vor der Markteinführung stehenden Medikamentengruppen der Ditane und Gepante, den monoklonalen Antikörpern und zur nicht invasiven Neurostimulation. Außerdem werden Migräne-Apps empfohlen.


POST-Covid: Pathomechanismus ist nach wie vor ungeklärt

Post-COVID: Fakt oder Fiktion? Dieser Frage widmete sich der stellvertretende DGN-Präsident Prof. Dr. med. Lars Timmermann (Gießen/Marburg). Er legte dar, dass der Pathomechanismus von Post-COVID mehr als zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie noch ungeklärt wäre und die Datenlage sehr heterogen. Die größte Herausforderung sei jedoch, Post-COVID zu definieren, da aktuell keine sicheren bzw. validen Biomarker existierten, mit denen Post-COVID nachgewiesen werden könnte. Die Diagnose wird derzeit durch die Krankheitssymptome definiert und mit verschiedenen Fragebögen erfasst, wie dem „Montreal Cognitive Assessment“ (MoCA), der „Epworth Sleepiness Scale“ (ESS), dem „Beck Depression Inventory Version I“ (BDI) oder der „Fatigue Severity Scale“ (FSS).

Allerdings würden in Studien unterschiedliche Fragebögen eingesetzt, was die Vergleichbarkeit erhobener Befunde und Daten erschwert, so Timmermann. Hochinteressant war für ihn die Studie von Swank et al.: Das Team konnte durch eine ultrasensitive Technik bei Patienten mit Long-COVID noch zwölf Monate nach der Erkrankung S1-Proteine und Spike-Proteine nachweisen. Dies ließ vermuten, dass es bei einigen Patienten noch ein Virusreservoir gebe und eine dauerhafte immunologische Reaktion stattfinde. Ebenfalls bemerkenswert fand er die prospektive Studie der Universität Duisburg-Essen, bei der eine Real-World-Kohorte von 171 entsprechend den Delphi-Konsensus-Kriterien der WHO definierten Post-COVID-Betroffenen untersucht wurden. Die Betroffenen unterzogen sich neurovaskulären, elektrophysiologischen Tests und Laboruntersuchungen. Es zeigten sich größtenteils kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsprobleme, Fatigue und Gedächtnisstörungen. Auffallend war, dass bei den meisten Betroffenen auch vor der Corona-Erkrankung neurologische Erkrankungen diagnostiziert wurden. Laut dieser Studie könnten psychische Erkrankungen Risikofaktoren für Post-COVID sein. Darum müsse laut Timmermann die Neurologie eng mit anderen Fachrichtungen wie der Psychologie zusammenarbeiten.


Gender Equality in der Neurologie

Nach wie vor sind Frauen in medizinischen Führungspositionen unterrepräsentiert – obwohl im Medizinstudium und in der Weiterbildungszeit der Frauenanteil überwiegt (> Gesundheitssystem). Die Neurologie bildet hier keine Ausnahme. „Wir müssen uns fragen: Warum kommen Frauen nicht ‚oben‘ an?“, sagte Prof. Dr. med. Christine Klein (Lübeck).

Um Antworten zu finden, hat die DGN eine Arbeitsgruppe gegründet. Ziel ist es, in Zukunft mehr Gender Equality zu erreichen. „Ich möchte in zehn Jahren zurückblicken und sagen können, dass sich da etwas getan hat“, erklärte Klein.


Pflegemangel in der Neurologie

„Der Pflegemangel betrifft alle Fächer, auch die Neurologie, wenn vielleicht nicht so stark wie andere Disziplinen“, erklärte Prof. Dr. med. Waltraud Pfleilschifter (Lüneburg). „Dennoch möchten wir proaktiv daran arbeiten, dass die Begeisterung für die Neurologie bleibt.“ Das gelingt ihrer Meinung nach über die Spezialisierung. Die DGN hat aktuell fünf neurologische Pflege-Curricula erstellt: für Schlaganfall, Parkinson, Epilepsie, Multiple Sklerose und Demenz.

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