In der modernen Behandlung chronischer Wunden spielt die Therapie mit Kaltplasma zunehmend eine zentrale Rolle. Hierbei wird ein energetisch aktiver Luftzustand mit antimikrobieller und antimykotischer Wirkung um die Wunde erzeugt, der desinfizierende und heilungsfördernde Eigenschaften aufweist.
Brigitte Nink-Grebe
Generalsekretärin der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V. (DGfW)
Was sind die Unterschiede zwischen der herkömmlichen Wundtherapie und der Behandlung mit Kaltplasma und welche Studien gibt es bereits?
Die Kaltplasmatherapie kann die „herkömmliche“ Therapie, also die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung, eine effektive Wundreinigung und die Substitution der fehlenden Haut durch Verbandmittel nicht ersetzen. Zu Kaltplasma (Niedertemperaturplasma) liegen nur kleinere Studien zu DFU und UCV vor, aus denen sich nicht ausreichend Daten zu den kritischen Endpunkten unserer Leitlinie ableiten ließen. In den klinischen Studien wird zwar über eine vorläufige Keimzahlreduktion und einen antibiotischen Effekt der Behandlung mit Niedertemperaturplasma berichtet und es gibt Hinweise, dass die keimreduzierenden bzw. entzündungshemmenden Eigenschaften und die Anregung der Zellproliferation die Wundheilung positiv unterstützen können. Ob sich daraus jedoch ein Vorteil im für die Leitlinie relevanten Endpunkt „Wundheilung“ ergibt, bleibt nach der bisherigen Studienlage unbewiesen.
Die Zwischenergebnisse der POWER-Studie mit 47 Studienteilnehmenden zeigen eine positive Tendenz in Bezug auf die Verkleinerung der Wundfläche und Verbesserung der Lebensqualität. Die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW) ist deshalb auf die Gesamtergebnisse der noch laufenden POWER-Studie, die als randomisierte kontrollierte Studie (RCT) durchgeführt wird, gespannt.
Wieso erweist sich die Kaltplasmatherapie im Vergleich als vorteilhafter und wo liegen Ihrer Ansicht nach die Vorteile der Kaltplasmatherapie?
Wie schon erwähnt, gibt es derzeit noch keine Studienergebnisse, die in Bezug auf den Endpunkt „Abheilung“ einen Vorteil belegen. Signifikanz wird nur bei der Reduktion der Wundfläche erzielt, jedoch weisen die Studien ein höheres Verzerrungspotenzial (Risk of Bias) auf. Insofern hat die POWER-Studie die Chance, einen neuen Studienstandard mit niedrigem Risk of Bias zu setzen.
Kaltplasma ist nicht gleich Kaltplasma und es gibt viele verschiedene Anbieter. Haben Sie eine Empfehlung, womit am effektivsten gearbeitet werden kann?
Bereits im Stellungnahme-Verfahren des G-BA zur „Richtlinie zur Erprobung der Kaltplasmabehandlung bei chronischen Wunden“ hat die DGfW darauf hingewiesen, dass unterschiedliche Technologien zur Erzeugung eines Kaltplasmas existieren und deshalb die Hersteller gefordert sind, das produzierte Kaltplasma beziehungsweise dessen Bestandteile genauer zu definieren. Es muss nach Auffassung der DGfW bei einem Medizinprodukt sichergestellt sein, dass die Bestandteile jederzeit in gleicher Zusammensetzung verfügbar sind und die geplante Wirkdosis pro Anwendung unabhängig von der Expertise des jeweiligen Anwenders erreicht wird. Das heißt, es soll reproduzierbar festgelegt sein, welche Zusammensetzung und Wirkdosis pro Anwendung auf die Wundfläche aufgebracht wird.
Des Weiteren sieht die DGfW die Klassifizierung der meisten Kaltplasmageräte kritisch. Entsprechend der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (MDR) Anhang VIII (Regel 4) gilt, dass alle nicht invasiven Produkte, die mit verletzter Haut oder Schleimhaut in Berührung kommen, der Klasse I zugeordnet werden, wenn sie als mechanische Barriere oder zur Kompression oder zur Resorption von Exsudaten eingesetzt werden. In Klasse IIb werden sie eingeteilt, wenn sie vorwiegend bei Hautverletzungen eingesetzt werden, bei denen die Dermis oder die Schleimhaut durchtrennt wurde und die nur durch sekundäre Wundheilung geheilt werden können. Wenn sie vorwiegend zur Beeinflussung der Mikroumgebung verletzter Haut oder Schleimhaut bestimmt sind, sowie in allen anderen Fällen, gehören diese zur Klasse IIa. Daraus ergibt sich meiner Meinung nach die Konsequenz, dass für Plasmageräte eine IIb-Zertifizierung vorliegen muss.
Meine Empfehlung lautet daher, dass man beim Einsatz von Kaltplasma einerseits auf die Klassifizierung achten soll und andererseits eine Risikoabwägung durchführen muss, um die größtmögliche Patienten- und Anwendungssicherheit während der Plasmatherapie zu gewährleisten. Aspekte zur Risikoeinschätzung sind die Über- und/oder Unterbehandlung von Arealen, Zellschäden durch „Überdosierung“, thermische Schäden an der Wunde und/oder der umgebenden Haut sowie nicht ausreichende Behandlungsintensität pro cm² mit der Folge mangelnder Wirkung anhand der Herstellerangaben. Vor diesem Hintergrund müssten die unterschiedlichen Verfahren ihren Effekt auf die Wundheilung jeweils separat nachweisen.
Was muss getan werden, damit Kaltplasma als Alternative zur klassischen Wundversorgung vermehrt eingesetzt werden kann?
Es muss ein Nutzennachweis erbracht werden, der den Effekt für akute, schwer heilende und chronische Wunden sowie für die einzelnen Verfahren berücksichtigt. Verglichen werden muss der Effekt mit einer Standardtherapie, die der aktuellen Leitlinie entspricht und auch vollumfänglich umgesetzt wird.
Welche Chancen und welche Signifikanz sehen Sie in der Kaltplasmatherapie für die Zukunft?
Zur Signifikanz kann ich derzeit noch keine seriöse Aussage treffen. Das hängt von den Ergebnissen der aktuell durchgeführten Studien und den Ergebnissen der gesundheitsökonomischen Evaluation für diese Therapie ab. Allerdings sehe ich weiteren Forschungsbedarf bei der Anwendung von Kaltplasma bei Wunden, die mit der leitlinienbasierten Standardtherapie schwer zu reinigen beziehungsweise zu dekontaminieren sind. Dazu zählen vor allem Wunden, deren Reinigung nicht ausreichend mit Spüllösungen unterstützt werden kann.
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Bildnachweis: privat