Der Anteil der Frauen, die in der Peri- und Postmenopause zu einer Hormonersatztherapie greifen, ist niedrig – viele Patientinnen fühlen sich mit ihren Problemen nicht ernst genommen. Wir sprechen mit der Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft über Beratung und die Schwerpunkte des diesjährigen Kongresses.
Frau Dr. Schaudig, der Anteil der Frauen, die in der Peri- und Postmenopause zu einer Hormonersatztherapie greifen, ist in den vergangenen 20 Jahren von 37 % auf knapp über 6 % gesunken. Haben die Frauen heute soviel weniger Probleme als vor 20 Jahren?
Nein, die Frauen haben ganz sicher dieselben Probleme wie vor 20 Jahren. Ich persönlich finde die Zahl von etwas über 6 % – das sind wirklich ganz aktuelle Zahlen der Techniker Krankenkasse von Frauen zwischen 45 und 60 Jahren – erschreckend. Man sagt ja, dass ungefähr ein Drittel bis die Hälfte der Frauen deutliche und das Leben erheblich beeinträchtigende Beschwerden in den Wechseljahren haben. Das entspricht im Grunde den 37 % Hormon-Anwenderinnen vor 20 Jahren. Ich frage mich, was passiert mit diesen rund 30 %, die keine Hormone mehr nehmen? Diese Frauen haben Beschwerden und ich höre täglich in der Praxis: „Mir geht es total schlecht, was kann ich nur tun? Hormone sind doch so gefährlich.“
Wenn sich die Problematik in dieser Zeit nicht geändert hat – woher kommt dann das geänderte Verhalten?
Vor 20 Jahre erschien die WHI-Studie und diese Daten wurden hochgepusht und sehr negativ in der Laien- und auch in der Fachpresse dargestellt. Und das hat dazu geführt, dass sich bis heute eine gewisse Hormonphobie breit macht. Ich sehe immer wieder Patientinnen, die mir von extrem eingeschränkter Lebensqualität berichten. Und die von ihrem Hausarzt oder Internisten hören: „Nee, lassen Sie das mal mit den Hormonen, die haben hohe Risiken.“ Ich habe das Gefühl, es gibt zu viele Kolleginnen und Kollegen, die sich letztlich aus Unkenntnis über die genaue Datenlage vor einer Hormonersatztherapie scheuen. Im Grunde genommen nachvollziehbar, dieses „Da machen wir mal lieber nichts falsch“.
Grundsätzlich gibt es nicht die eine Standardtherapie für jede Frau, und das frühere „Hormone für alle“ war sicher nicht richtig. Man muss ganz individuell vorgehen. Entscheidend bei der Beratung ist: Wie hoch ist der subjektive Leidensdruck und durch welche Symptome ist die Patientin besonders in ihrem Leben eingeschränkt? Das hängt auch davon ab, in welchem beruflichen Kontext sich die Frau befindet. Für eine Lehrerin beispielsweise, der mehrfach mitten im Unterricht plötzlich der Schweiß ausbricht und auf die Bluse tropft, ist das eine nicht tolerable Situation. Wenn jemand alleine im Büro sitzt und alle Stunde mal ein bisschen schwitzt, ist es nicht so schlimm. Genau hinschauen und zuhören ist entscheidend. Und ich finde die Zahl von 6 % Hormonanwenderinnen erschreckend niedrig, weil ich glaube, dass viele Frauen im Regen stehen gelassen werden.
Warum beraten Frauenärztinnen und Frauenärzte nicht mehr und besser?
Ein Problem ist sicher, dass individuelle Beratung praktisch nicht honoriert wird und der Zeitdruck in den Praxen stetig zunimmt. Das noch größere Problem ist aber, dass die Ausbildung im Bereich der gynäkologischen Endokrinologie – und das betrifft natürlich auch die Menopause – leider nicht gut ist. Endokrinologie ist ein rein ambulantes Thema. Die Facharztausbildung zum Gynäkologen findet aber in der Klinik statt und da kommen Hormone praktisch nicht vor. Da werden Patientinnen operiert, die sieht man ein paar Tage und dann gehen sie wieder nach Hause. Die klassischen Menopauseprobleme sind aber etwas, was man nur ambulant sieht. Die Ausbildung ist da aus meiner Sicht ineffizient. Dieses Problem ist aber erkannt und wird im Moment von den Fachgesellschaften in Angriff genommen, von der DGGG genauso wie der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie. Und als Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft kann ich sagen: Wir tun schon ziemlich viel, wir bieten Curricula an für die Menopause, zweitägige Intensivkurse und die werden auch sehr gut besucht.
Werfen wir einen Blick auf den Menopausekongress im November: Was können die Kollegen und Kolleginnen denn dort Neues erfahren?
Die Kongresspräsidentinnen, Prof. Stute und Dr. Bachmann, haben ein Programm zusammengestellt, in dem es viel um Grenzgebiete geht und das letztlich die Frage adressiert: Wie können wir als Frauenärztin und Frauenarzt unseren Patientinnen auch in der Postmenopause helfen?
Die geburtenstarken „Babyboomer“-Jahrgänge sind ja jetzt schon Ende 50, die lassen allmählich die Menopause hinter sich – und kommen mit anderen Problemen zu uns. Da müssen wir natürlich auch Bescheid wissen, entweder selbst therapeutisch tätig werden oder aber Tipps geben. In diesem Sinne wird der Menopausekongress einen Blick weit über den Tellerrand hinaus wagen. Und natürlich wird es auch Sessions geben, wo es um knifflige Fälle in der Hormonersatztherapie geht.
Frau Dr. Schaudig, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Eine ausführlichere Version des Interviews mit Dr. Schaudig finden Sie als Podcast unter www.der-privatarzt.de.
Dort geht es u. a. auch um aktuelle Entwicklungen in Großbritannien und den gesellschaftlichen Aspekt der Menopause.
Die Autorin
Dr. med. Katrin Schaudig
Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft e. V.
Bildnachweis: privat