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Onkologie

Anlage einer Ileum-Neoblase

Erhöhtes Risiko einer metabolischen Azidose nach Zystektomie

Dr. med. Peter Stiefelhagen

29.10.2020

Bei Patienten nach einer Zystektomie mit Anlage einer Ileum-Neoblase sollte immer nach einer metabolischen Azidose gefahndet und diese dann auch behandelt werden. Sie kommt häufig vor, beschleunigt den Funktionsverlust der Niere und erhöht die Mortalität.

Die operative Entfernung der Harnblase mit Anlage einer Ileum-Neoblase ist immer ein größerer Eingriff, der mit einer Reihe von Risiken und Komplikationen verbunden ist. Am häufigsten ist ein Tumor, nämlich das Blasenkarzinom, die Ursache für den Verlust der Blase, gefolgt von Blasenentleerungsstörungen und Traumata. Nach Erhebungen des Robert Koch-Instituts erkranken jährlich in Deutschland ca. 30.000 Menschen an einem Urothelkarzinom der Blase, und die Inzidenz ist steigend. Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung besteht bereits bei einem Viertel der Männer und einem Drittel der Frauen ein den Blasenmuskel infiltrierender Tumor, sodass die Zystektomie unumgänglich ist. Die Hälfte der betroffenen Patienten ist jünger als 75 Jahre. Als kontinente Form der dann erforderlichen Harnableitung gilt heute die Anlage einer Neoblase in Form eines Pouches als ein Standardverfahren. Am häufigsten ist die Anlage einer Ileum-Neoblase. Dieses Verfahren sollte – soweit möglich – immer einem Eingriff mit inkontinenter Ableitung, wie beim Ileum-Conduit, vorgezogen werden. Die leum-Neoblase ermöglicht nämlich den Betroffenen eine weitestgehend normale Miktion über die Urethra bei äußerlicher Unversehrtheit des Körpers.

Metabolische Veränderungen sind häufig

Die Verwendung von Darmabschnitten in der Urologie kann zu erheblichen metabolischen Störungen führen. Betroffen ist vor allem der Säure-Basen-Haushalt. Physiologischerweise versucht der Körper, mit Hilfe zahlreicher komplexer Regelmechanismen den pH-Wert in einem engen Spektrum von 7,4 ± 0,05 zu halten. Das Ausmaß der metabolischen Veränderungen bei einer Ileum-Neoblase ist von verschiedenen Faktoren abhängig: Der Art des verwendeten Darmsegments, dessen Länge und der für die Austauschvorgänge zur Verfügung stehenden Oberfläche des Reservoirs, der Dauer des Urinkontakts, der Urinbeschaffenheit, der Nierenfunktion, dem Urin-pH-Wert und der Urinosmolarität. Die laborchemischen Veränderungen setzen unmittelbar postoperativ ein, sind aber zunächst wegen des Neoblasenkatheters nicht relevant. Doch sie kommen nach der Katheterentfernung in den ersten postoperativen Tagen und Wochen voll zum Tragen.

Metabolische Azidose ist häufig und gefährlich

Zu den häufigsten und gefährlichsten Komplikationen bei der Ileum-Neoblase gehört die chronische metabolische Azidose. Doch wie entsteht diese? Aufgrund des osmotischen Gradienten im Ileum kommt es bei längerem Urinkontakt zum Verlust von Flüssigkeit über die Darmmukosa. Dazu kommt eine erhöhte Sekretion von Natrium und Bicarbonat sowie eine gesteigerte Resorption von Ammoniak, Ammonium, Wasserstoff und Chlorid. Dabei sind Natrium-Wasserstoff- und Chlor-Bicarbonat-Austauscher beteiligt. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Wasserstoff wird im Austausch mit Natrium und Bicarbonat im Austausch mit Chlorid vermehrt ausgeschieden.Dazu kommt, dass die Niere aufgrund ihrer aktiven Bicarbonatproduktion für die Kohlenstoffdioxidbindung von erheblicher Bedeutung ist. Da sie die Produktion und Ausscheidung von Bicarbonat aktiv reguliert und an den jeweiligen Bedarf anpassen kann, ist die eingeschränkte Nierenfunktion der wichtigste Parameter für die Entwicklung einer metabolischen Azidose.

Vielfältige Symptome

Die chronische metabolische Azidose führt zu vielfältigen Symptomen, da viele Organe betroffen sind. Dazu gehören zentralnervöse Symptome wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma, muskuläre Symptome wie Muskelschwäche und -krämpfe, kardiale Störungen wie Arrhythmien und Tachykardien, pulmonale Symptome wie Kurzatmigkeit und Dyspnoe, gastrische Symptome wie Übelkeit und Erbrechen und intestinale Symptome wie Durchfälle. Insgesamt findet sich im ersten Jahr nach Anlage einer Ileum-Neoblase bei zwei Drittel der Betroffenen eine metabolische Azidose. Sie ist ein lebenslanges Problem, wobei ein Drittel einer permanenten ­Bicarbonat-Substitution bedarf. Die übrigen Patienten können bei normaler Nierenfunktion die metabolische Azidose kompensieren. Patienten mit bereits eingeschränkter Nierenfunktion bedürfen aber einer besonderen Aufmerksamkeit, da langfristig mit einer Verschlechterung der Nierenfunktion um bis zu 25 % gerechnet werden muss.

Notwendig ist eine Blutgasanalyse

Um die metabolische Azidose nicht zu übersehen, sollte bei Patienten mit einer Ileum-Neoblase immer eine kapilläre Blutgasanalyse (BGA) durchgeführt werden. Eine klinische Diagnosestellung ist angesichts der unspezifischen Symptomatik sehr schwierig. Bei einer relevanten Veränderung, d. h. bei einer Basenabweichung unter – 2,5 mmol/l ist eine Substitution mit einem magensaftresistenten Bicarbonat-Produkt – in Form von Tabletten oder Dragees – indiziert. Es empfehlen sich je nach Ausmaß der Basenabweichung 2.000–6.000 mg Bicarbonat in mehreren Einzeldosen über den Tag verteilt. Um den Therapieerfolg zu sichern bzw. die Dosis anzupassen, sind BGA-Kontrollen unerlässlich.

Butea-Bocu MC, Otto U, Chronisch Metabolische Azidose bei Neoblasen-Patienten, Sonderdruck, Journal Med 2017; 9–12

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