Die neue S3-Leitlinie unter Federführung der Deutschen STI-Gesellschaft und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft wurde als kontinuierliche, systematisch aktualisierte „Living Guideline“ konzipiert. Derzeit noch in der Finalisierungsphase werden die geplanten Empfehlungen der Konsultationsfassung vom Juli 2024 vorgestellt.
Die akute, symptomatische Urethritis wird im Wesentlichen durch sexuell übertragene bakterielle Pathogene verursacht. Die bisher verfügbaren konsensbasierten S2k-Leitlinien waren erregerspezifisch konzipiert und haben Pathogene wie Neisseria (N.) gonorrhoeae und Chlamydia (C.) trachomatis separat adressiert. Bei der neuen S3-Leitlinie „Management der Urethritis bei männlichen Jugendlichen und Erwachsenen“ (Akronym: S3-MUM) stand ein integrativer, symptomorientierter und Erreger-übergreifender Ansatz im Vordergrund, der zu einer Harmonisierung und Standardisierung der derzeit vielerorts noch heterogenen Versorgungslage beitragen soll.
Neben der einheitlicheren Diagnostik, Therapie und Nachsorge bei der Urethritis männlicher Jugendlicher und Erwachsener ist das erklärte Ziel der vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geförderten Leitlinie, den Antibiotikaeinsatz auf eine rationale Basis zu stellen, Infektionsketten effizient zu unterbrechen und
weitere Resistenzentwicklungen einzudämmen. Zu den involvierten Fachbereichen, an die sich die Leitlinie richtet, gehören v. a. Allgemeinmedizin, Dermatologie/Venerologie, Urologie, Innere Medizin, Infektiologie, HIV-Schwerpunktmedizin, Pädiatrie, Labormedizin und Gynäkologie (für die Partnertherapie). Versorgungsstrukturen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und der STI- und HIV-Beratungsstellen in freier Trägerschaft zählen ebenfalls zu den Adressaten.
Hintergrund
Die akute, symptomatische Harnröhrenentzündung (Urethritis) des Mannes wird in erster Linie durch sexuell übertragene bakterielle Pathogene wie C. trachomatis, N. gonorrhoeae oder Mycoplasma (M.) genitalium verursacht. Zu den häufigsten behandlungsbedürftigen Infektionserkrankungen zählen weltweit die Infektionen mit C. trachomatis und N. gonorrhoeae. Für bis zu 30 % der Urethritiden wird M. genitalium verantwortlich gemacht, die häufig asymptomatisch und selbstlimitierend verlaufen. Zudem sind häufige Koinfektionen mit M. genitalium, C. trachomatis, N. gonorrhoeae und Ureaplasma (U.) urealyticum zu berücksichtigen (Tab. 1). Zur Infektionslage in der deutschen Allgemeinbevölkerung gibt es nur wenige Daten, eine (nicht namentliche) Meldepflicht für Infektionen mit N. gonorrhoeae
besteht erst seit dem 16.09.2022. Grundsätzlich lässt sich im Bereich der sexuell übertragenen Infektionen (STI) ein starker Anstieg der diagnostizierten Fälle beobachten.
Klinik und Diagnostik
Die Urethritis wird meistens anhand von klinisch-anamnestischen Hinweisen diagnostiziert. Tabelle 1 zeigt die von der Leitlinienkommission zusammengefassten Anhaltspunkte, die zur klinischen Verdachtsdiagnose führen.
Die Symptome und Anzeichen können einzeln oder in Kombination auftreten und diskret bis stark ausgeprägt sein. Viele der urethralen Infektionen mit sexuell übertragenen Pathogenen verlaufen allerdings auch asymptomatisch. Steht die Dysurie anamnestisch im Vordergrund und liegen keine typischen Urethritis-Anzeichen wie ein urethraler Ausfluss vor, sollen differenzialdiagnostisch eine Zystitis oder eine Infektion der oberen Harnwege in Betracht gezogen werden (vgl. separate S2k-Leitlinie).
Eine Unterscheidung der Erreger oder der Ausschluss von Koinfektionen lassen sich nicht sicher allein auf Basis der klinischen Anzeichen durchführen. Dennoch erfolgt die Einleitung einer Antibiotikatherapie oft noch vor dem Erhalt des Erregernachweises. Damit Antibiotika in der Akutsituation sinnvoll und unter Berücksichtigung aller relevanten Erreger eingesetzt werden, hat sich die Leitlinienkommission ausführlich mit der verfügbaren Datenlage zur Erregerepidemiologie beschäftigt.
Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass bei 43 % der Patienten mit Urethritis-Symptomen und 60 % der Patienten mit nicht gonorrhoischer Urethritis kein Erregernachweis gelingt. In diesen Fällen könnte eine Dysbiose bei der urethralen Besiedlung eine Rolle spielen, bei der zum Beispiel weniger typische Erreger dominieren.
Mikrobiologie und NAT-Testung
Liegt mindestens eines der typischen klinischen Anzeichen oder Symptome vor und wurden wichtige Differenzialdiagnosen ausgeschlossen, soll zur Erregerdiagnostik bei urethralem Ausfluss ein Abstrich erfolgen, damit eine mikrobiologische Anzucht und Resistenzbestimmung von N. gonorrhoeae
vorgenommen werden können. Unabhängig davon, ob ein urethraler Ausfluss besteht oder nicht, soll zudem eine molekulargenetische Diagnostik mittels Nukleinsäureamplifikationstestung (NAT) erfolgen. Die Leitlinie weist darauf hin, dass die mikrobiologische Kultur seit der breiten Verfügbarkeit der NAT-Verfahren oft nicht mehr standardmäßig durchgeführt wird, die mikrobiologisch-kulturelle Anzucht aber in Ergänzung zum NAT-Verfahren bei der Frage nach dem Resistenztyp aussagekräftiger ist. Dies wird v. a. im Hinblick auf das bundesweite Resistenzmonitoring bei N. gonorrhoeae als wichtig angesehen, da die Fälle von extensiv resistenten N.-gonorrhoeae-Isolaten zunehmen. Für die Untersuchung lassen sich sowohl meatale/urethrale Abstriche als auch Erststrahlurin verwenden. Die urethrale Abstrichentnahme wird jedoch oftmals als schmerzhaft empfunden. Für die Probengewinnung aus Erststrahlurin muss wiederum eine mindestens zweistündige Miktionskarenz eingehalten werden. Der meatale Abstrich soll Studien zufolge vergleichbar sensitiv sein wie ein urethraler Abstrich bzw. Erststrahlurin, was den Nachweis von C. trachomatis, N. gonorrhoeae oder M. genitalium betrifft. Wird eine NAT auf M. genitalium durchgeführt, sollte begleitend eine molekulardiagnostische Testung auf Resistenzmarker gegenüber Makroliden und Fluorchinolonen erfolgen (Resistenzen gegen Makrolidantibiotika und Fluorchinolone nehmen zu). Eine Empfehlung zur antigenbasierten Schnelltestung (Point-of-Care-Diagnostik) zum Erregernachweis bei akuter Urethritis wurde in der gegenwärtigen Leitlinie im Übrigen nicht ausgesprochen.
Was tun, wenn kein Erreger nachweisbar ist?
Nach Ansicht der Leitlinienexperten sollte bei fehlendem Nachweis auf die typischen Erreger zunächst die Anamnese im Hinblick auf nicht infektiöse Auslöser wie Manipulation, Katheterisierung, Irritanzien, Allergene oder psychosomatische Ursachen vertieft werden. Des Weiteren sollte – auch dann, wenn es im Verlauf trotz adäquater antibiotischer Therapie zu keiner Besserung kommt oder wenn der positive Erregernachweis weiterhin aussteht – eine Wiederholung der NAT auf bestimmte Erreger (neben N. gonorrhoeae, C. trachomatis und M. genitalium auf z. B. Trichomonas vaginalis, U. urealyticum oder Pilze wie Candida ssp.) in Betracht gezogen werden.
Empirische antibiotische Therapie
Es wurde kritisch diskutiert, ob in Anbetracht der potenziellen Resistenzzunahmen eine empirische antibiotische Therapie der Urethritis im Vorfeld des abschließenden Erregernachweises angebracht ist. Bei uneindeutiger Datenlage hat sich die Leitlinienkommission zu der Empfehlung entschieden, die Indikationsstellung einer empirischen antibiotischen Therapie vor Erhalt des Erregernachweises individuell zu prüfen. Mögliche Gründe dafür können u. a. eine deutlich objektivierbare Symptomatik (z. B. purulenter Ausfluss), ein hoher Leidensdruck oder ein hohes Transmissionsrisiko sein. Weniger dafür sprechen das Fehlen einer objektivierbaren Symptomatik, ein geringer Leidensdruck oder eine lange bestehende Symptomatik. Und: Bei chronischer Urethritis soll keine empirische antibiotische Therapie erfolgen. Als chronisch gilt eine Urethritis besonders dann, wenn die Symptome und/oder klinischen Anzeichen mehr als 6 Wochen nach Durchführung einer adäquaten antibiotischen Therapie weiterbestehen. Hier ist eine ausgiebige weiterführende Diagnostik mit Erregernachweis angezeigt.
Welche Antibiose auswählen?
Bei der Auswahl der empirischen Antibiotikatherapie hat sich die Klassifikation von Urethritiden als gonorrhoische Urethritis (GU) oder nicht gonorrhoische Urethritis (NGU) bewährt (Tab. 2). Sie kann die mikrobiologische oder labordiagnostische Erregerdiagnostik nicht ersetzen, aber – adäquat durchgeführt – zu einer raschen symptomatischen Erleichterung verhelfen und das Risiko für Komplikationen bei persistierender urethraler Infektion sowie weitere Transmissionen eindämmen. Tabelle 3 fasst die je nach Verdachtsdiagnose ausgesprochenen Therapieempfehlungen zur empirischen Behandlung einer GU bzw. NGU zusammen. Aufgrund des theoretischen Risikos einer Resistenzausbildung gegenüber Cephalosporinen der dritten Generation bei einer pharyngealen Infektion mit N. gonorrhoeae und unzureichender Wirksamkeit wird die Anwendung von Cefixim nicht empfohlen.
Die Langfassung der Leitlinie beinhaltet auch zur erregerspezifischen antibiotischen Behandlung ausführliche Empfehlungen.
S3-Leitlinie „Management der Urethritis bei männlichen* Jugendlichen und Erwachsenen”; AWMF-Reg.-Nr. 013-099; Konsultationsfassung, Stand: Juli 2024