Die wesentlichen Neuerungen in der HIV-Therapie sind Long-Acting(LA)-Konzepte und neue Wirkstoffklassen in der antiretroviralen Therapie (ART). Während manches Machbare noch Hürden nehmen muss, tüfteln Forschende weiter daran, wie Infizierte das Virus ganz loswerden könnten.
Eine ART sofort und für alle hat sich bewährt. Idealerweise sollte jede mit HIV-infizierte Person binnen einer Woche nach Diagnose eine ART erhalten, heißt es in den jüngsten Leitlinien der International Antiviral Society (IAS)-USA [1]. Das gilt auch für Schwangere und krebskranke HIV-Infizierte. Verzögerungen können sich bei opportunistischen Infektionen ergeben. Ziel der Therapie ist es, die Viruslast auf ein nicht nachweisbares Niveau zu senken und die CD4-Zellzahl zu normalisieren. Die US-Empfehlungen bevorzugen initial Integrase-Strangtransfer-Inhibitor(INSTI)-basierte Dreifach-Kombinationen. INSTI qualifizieren sich durch hohe Virus-Suppressionsraten, sehr gute Verträglichkeit, geringe Toxizität und Resistenzanfälligkeit, wenige Wechselwirkungen und die geringe Zahl einzunehmender Tabletten.
In der Regel werden in einer Tablette etwa Bictegravir (BIC) oder Dolutegravir (DTG) mit 2 nukleosidischen/nukleotidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) kombiniert, vorrangig Tenofovir-Alafenamid (TAF) oder Tenofovir-Disoproxil-Fumarat (TDF) plus Emtricitabin (FTC) oder Lamivudin (3TC). Die deutsch-österreichische Leitlinie sieht alternativ auch nicht nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor(NNRTI)- oder Proteinase-Inhibitor(PI)-basierte Ein- und Mehrtablettenregime vor, etwa Kombinationen mit den NNRTI Doravirin (DOR) oder Rilpivirin (RPV) oder dem PI Darunavir (DRV), ferner auch INSTI-Regime mit Elvitegravir (EVG) oder Raltegravir (RAL) [2].
Die einzige initial empfohlene Zweifach-Kombination, DTG/3TC, sollten nur Personen ohne INSTI-/Lamivudin-Resistenz bekommen, mit < 500 000 Viruskopien/ml und ohne Hepatitis-B-Koinfektion. Für Schwangere und bei < 200/µl CD4+-Zellen eignet sich DTG/3TC nicht.
Individuelle Auswahl
Die ART wird individuell auf Bedürfnisse, Lebenssituation und Gesundheitsstatus der Patienten und Patientinnen abgestimmt, unter anderem nach
Die neueren Entry-Inhibitoren haben ihren Stellenwert vor allem bei Vorbehandelten mit Multiresistenz. Beispiele sind der Anti-C-C-Motiv-Chemokin-Rezeptor-5(CCR5)-Antagonist Maraviroc und der Attachment-Inhibitor Fostemsavir.
Lang wirksame Medikamente
Medikamente mit seltenerer als täglicher Einnahme oder parenteraler Anwendung sind ein Meilenstein. Sie erleichtern den Therapiealltag, erhöhen die Lebensqualität, verbessern die Compliance. Depotspritzen mit lang wirksamem Cabotegravir und Rilpivirin (CAB-LA / RPV-LA) müssen in der Erhaltungsphase nur alle 2 Monate intramuskulär verabreicht werden. Cave: Da es sich um ein Zweifach-Regime ohne Tenofovir-Komponente handelt, entfällt der Begleitschutz gegenüber einer Hepatitis B. Zudem besteht ein 1- bis 2%iges Risiko für ein Therapieversagen mit Resistenzentwicklung – selbst bei guter Adhärenz.
Lenacapavir (LEN) vereint die entlastende lange Wirksamkeit mit einem neuen Wirkprinzip. Der erste Vertreter der Kapsid-Inhibitoren (CI) eignet sich zudem für die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Obwohl LEN EU-weit zur Therapie zugelassen ist, hat sich der Hersteller aus regulatorisch-wirtschaftlichen Erwägungen vorerst gegen die Einführung in Deutschland entschieden.
LEN muss zur Aufsättigung nur halbjährlich subkutan injiziert werden und wäre wichtig für Patienten und Patientinnen mit multiresistenter HIV-Infektion ohne andere wirksame Optionen. Derzeit wird auch ein tägliches LEN / BIC-Eintablettenregime in Phase III getestet. In einer Phase-II-Studie mit separater Gabe von LEN und BIC erzielte die Kombination hohe Virus-Suppressionsraten [3].
Präexpositionsprophylaxe
Den Nutzen von LEN für die PrEP belegen 2 Phase-III-Studien in Populationen mit hoher HIV-Hintergrund-Inzidenz, bei 5 338 Frauen in Süd- und Ostafrika und 3 265 Männern, transgender und nicht binären Personen [4,5]. In der ersten Studie kam es zu keinerlei Infektionen, in der zweiten zu 2, entsprechend einer Inzidenz von 0,1/100 Personenjahre und einer Risikoreduktion um 96 %. Der europäische Zulassungsantrag für die LEN-PrEP wurde Anfang Februar 2025 eingereicht.
In Deutschland besteht bei erhöhtem HIV-Infektionsrisiko gesetzlich ein Anspruch auf ärztliche Beratung, Untersuchung und Arzneimittel zur Vorsorge – und damit auf die PrEP. Bislang gibt es nur orale Optionen. Standard ist die tägliche Einnahme einer Dosis TDF / FTC [6]. Ende 2023 nutzten schätzungsweise rund 40 000 Personen in Deutschland eine PrEP [7].
Eine PrEP mit Langzeitwirkung wäre nicht nur weniger stigmatisierend, sondern auch sicherer, da sie weniger von der Compliance abhängt.
Jenseits der allein auf die Viren und ihre Replikation ausgerichteten ART ist die HIV-Forschungs-Pipeline voll immunologischer Ansätze. Das HI-Virus befällt das Immunsystem – warum es nicht mit den Möglichkeiten des Immunsystems schlagen und dieses so stärken, dass es das Virus selbst kontrolliert? Denn auch wenn die moderne ART bei konsequenter Einnahme vielen Menschen mit HIV inzwischen ein nahezu normales Leben ermöglicht – sie darf nicht abgesetzt werden. Dann steigt die Viruslast rasch wieder an. Es ist weniger die hohe Mutationsrate des Virus, sondern vor allem die latente Infektion langlebiger, vorwiegend CD4+-T-Zellen, die einer Heilung im Wege steht. Sinnvoll wäre, von vornherein auf diese langlebigen Zellen abzuzielen.
bNAb
Gegenstand intensiver Forschung und eine Möglichkeit, lang anhaltende Remissionen zu erzielen – mit Potenzial auch für Präventivstrategien und womöglich sogar kurative Ansätze –, ist die Immunisierung mit breit neutralisierenden Antikörpern (bNAb). Sie richten sich gegen verschiedene Antigene auf dem HIV-Envelope-Trimer und wirken nicht nur antiviral, sondern vermitteln auch das Abtöten infizierter Zellen. Gedacht sind sie vor allem als Exit-Strategie nach Virussuppression unter oraler Therapie.
bNAb wurden ursprünglich von wenigen HIV-Infizierten isoliert, inzwischen werden sie aber gentechnisch gefertigt. Für die Monotherapie reichen sie nicht, doch Kombinationstherapien mit potenten, in ihren Zielstrukturen nicht überlappenden bNAb konnten prolongierte Virussuppressionen über das Absetzen einer ART hinaus erzielen und Rezidive lange hinauszögern [8]. In Studien kombinieren Forschende bNAb auch mit LEN, CAB oder Toll-like-Rezeptor-Agonisten.
Weitere experimentelle Ansätze nutzen Immuncheckpoint-Inhibitoren, Immunmodulatoren, chimäre Antigenrezeptor-T(CAR-T)-Zellen, Gentherapien und Zytokin-Signalwege, etwa von Interleukin(IL)-10 oder IL-15. IL-15 erleichtert die Latenzumkehr im HIV-Reservoir und könnte die Viren und infizierte Zellen so für andere Therapien zugänglich machen. Bislang konnten solche „Kick, Kill & Control“-Strategien aber noch nicht überzeugen.
Heilungsversuche
Spektakuläre Einzelerfolge mit anhaltenden Remissionen nach allogener hämatopoetischer Stammzell-Transplantation (HSCT) hingegen lassen Heilungen nicht mehr undenkbar erscheinen. Der erste, der auf die Übertragung der Zellen von Spendern mit homozygoter CCR5Δ32-Mutation eindrucksvoll ansprach, war der inzwischen an Leukämie verstorbene „Berlin-Patient“, Timothy Ray Brown [9]. Die meisten HI-Viren benötigen CCR5 als Korezeptor, um Immunzellen zu infizieren. Menschen mit der homozygoten Mutation – etwa 1 % der Bevölkerung in Europa – sind deshalb resistent gegen die Infektion.
Während man sich bei der allogenen HSCT auch Graft-versus-Host-Reaktionen zunutze macht, damit Spenderzellen gegen Zellen des Virusreservoirs im Empfänger vorgehen, werden auch weniger aggressive autologe Transplantationen mit genetisch modifizierten T-Zellen erprobt, die dann einfach nur HIV-resistent sind. Eine Option für die Allgemeinheit sind HSCT nicht, es gibt Nebenwirkungen und auch Rezidive.
Mit einfacheren, besseren Therapien, wie lang wirksamer ART und neuen Wirkstoffklassen, bekommen Menschen mit HIV mehr Wahlmöglichkeiten. Wer Synergieeffekte aus Immunologie und Medikamentenforschung geschickt nutzt, kommt einer anhaltenden Remission und vielleicht langfristig einer Heilung, also der kompletten Virus-Eradikation aus dem Organismus, näher. Lebenslange Adhärenz ist eine Herausforderung, von Langzeit-Toxizitäten, Resistenzen, Komorbiditäten und sozialem Stigma ganz zu schweigen. Eine Heilung könnte diese Probleme beseitigen. Die Versuche dazu liefern wichtige pathogenetische Erkenntnisse über die Interaktion zwischen Virus und Immunsystem. Das treibt Innovationen voran.