Wie Daten aus 2021 zeigen, ist die Mortalität durch Herzinfarkt in den vergangenen 10 Jahren gesunken, nicht jedoch die Sterblichkeit infolge von Rhythmusstörungen. Vermehrt medikamentös behandelt wurden KHK-Fälle sowie Patienten nach Herzinfarkt, so Prof. Dr. med. Thomas Voigtländer (Frankfurt/Main).
Noch immer ist die koronare Herzerkrankung (KHK) Todesursache Nummer 1, wobei 50 % der Fälle auf Lifestyle-Faktoren zurückzuführen sind, die andere Hälfte auf Erkrankungen. Von den 10 häufigsten Todesursachen sind 5 herzbedingte: KHK, akuter Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, hypertensive Herzerkrankung und Vorhofflimmern.
Demografische Effekte werden weiterhin eine wichtige Rolle spielen, ist doch in 2030 fast jeder Vierte über 65 Jahre alt. Die Hauptdiagnosen im Krankenhaus und die häufigsten Gründe für eine stationäre Aufnahme waren Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen. In 2021 wurden pandemiebedingt 10 % weniger Patienten aufgenommen.
Unter den Reanimationspflichtigen sind knapp 40 % noch erwerbstätig.
Die Mortalität von Herzinsuffizienz, chronisch-ischämischer Herzerkrankung und akutem Herzinfarkt sank innerhalb der vergangenen 10 Jahre eindrucksvoll; beim Herzinfarkt profitierten vor allem Frauen und ältere Personen. Auffallend sind erhebliche regionale Unterschiede in der Infarktsterblichkeit. Die Mortalität der Herzklappenerkrankungen und Rhythmusstörungen stagnierte allerdings. Die Therapie-Trends in den vergangenen 3 Jahren zeigten einen deutlichen Rückgang der herzchirurgischen Prozeduren (perkutane Koronarintervention [PCI], Bypass, minimalinvasiver Aortenklappenersatz [AKI]), wogegen die Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) um 9,9 % zunahm. Auch wurden mehr Ablationen nach Herzrhythmusstörungen durchgeführt. Gleichzeitig wurden die chronische KHK vermehrt konservativ behandelt und Herzinfarkte vermehrt medikamentös.
Fokus Herzrhythmusstörungen und Komplikationen
Bis 2021 waren pro Jahr 100 000 Todesfälle durch plötzlichen Herztod (PHT) zu verzeichnen; hier sind die Risikofaktoren männliches Geschlecht und Lebensalter. Bei 80 % waren eine KHK ursächlich, bei Personen unter 35 Jahren bereits bei 23 %. In 15 % aller Fälle waren Erkrankungen des Herzmuskels verantwortlich. Bei den ischämischen Schlaganfällen gehen 20–30 % auf ein Vorhofflimmern zurück, welches mit Vorhofflattern zu den 10 häufigsten Begleitdiagnosen von Herzschwäche- und KHK-Patienten zählt.
Um dem zu begegnen, sind Versorgungsstrukturen mit telemedizinischen Angeboten nötig, ebenso die Gesundheitserziehung in der Schule, die Früherkennung ab 45 Jahren sowie eine umfassend geförderte Grundlagenforschung. Außerdem, so Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, wäre ein systematisches Screening auf KHK-Risikofaktoren wünschenswert. Und zwar in Form eines Herz-Check-ups ab 50 Jahren sowie eines Screenings auf familiäre Hypercholesterinämie bei Kindern im Zuge der Regelversorgung.
ICD und Laienreanimation
Von den mindestens 65 000 Personen, die pro Jahr reanimiert werden, sind über 39 % im erwerbsfähigen Alter. Bei der Hälfte der Fälle gab es vorherige Warnzeichen. Ursächlich sind KHK, akute Herzinsuffizienz und Kammerflimmern. Zur Primär- und Sekundärprävention stehen die Therapie der Grunderkrankung und implantierbare Defibrillatoren (ICD) zur Verfügung.
Für das Überleben im Notfall ist jedoch die Laienreanimation essenziell. Mit jeder Minute, in der eine Person nach Herzstillstand nicht mit Herzdruckmassage behandelt wird, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um 10 %. Zwar konnte die Quote der Laienreanimation von rund 14 % in 2010 auf rund 46 % in 2021 gesteigert werden; dennoch werden nicht annähernd die Werte der skandinavischen Länder erreicht (> 80 %). Angeregt werden deshalb ein Reanimationsunterricht ab der 7. Klasse, eine Verpflichtung der Rettungsstellen zur telefonischen Anleitung der Reanimation sowie die flächendeckende Einführung von App-basierten Ersthelfer-Systemen.
Dass das Risiko für den plötzlichen Herztod, unabhängig vom Vorliegen eines ICD, mit einer optimierten Medikation abnimmt, zeigten Shen et al. 2017. Die PHT-Raten bei ambulanten Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (n = 40 195 aus 12 Studien) nahmen über die Zeit deutlich ab; ein Befund, der mit dem kumulativen Nutzen einer evidenzbasierten Medikation zusammenhängt, so das Fazit.
Herzchirurgie und Organspende
Die interventionelle Ablation bei Vorhofflimmern führt bei 60 % der Patienten zur Erscheinungsfreiheit nach einem Jahr. In 2021 wurden stationär 135 728 Operationen mit kardialen Rhythmusimplantaten (Herzschrittmacher und ICD) durchgeführt. Dazu zählen auch 12 630 Implantationen kardialer Resynchronisations-Therapie(CRT)-Systeme. Bemerkenswerterweise war dabei die Zahl der Neuimplantationen nahezu gleich der Anzahl der Revisionsoperationen.
Bei der terminalen Herzinsuffizienz sank von 2020 bis 2021 die Zahl der implantierten Linksherz-Unterstützungssysteme (LVAD) um 1,6 %. Transplantiert wurden 19 Spenderherzen, die aus europäischen Ländern mit Widerspruchsregelung stammten. Um in Deutschland generell die Zahl der Organspender zu erhöhen, sollte ebenfalls eine Widerspruchsregelung eingeführt werden.
Im Herzbericht wurden rund 1,6 Millionen stationäre kardiologische Krankheitsfälle registriert, von denen nicht einmal 100 000 Patienten eine stationäre oder ambulante Rehabilitation in Anspruch genommen haben, obwohl sie die Prognose, Lebensqualität sowie die berufliche und soziale Teilhabe verbessert. Der Reha-Aufenthalt kann auch genutzt werden, um eine leitliniengerechte Medikation zu etablieren.
Angeborene Herzfehler im Erwachsenenalter
Mehr als 90 % der Patienten mit angeborenem Herzfehler erreichen heute das Erwachsenenalter (EMAH), in Deutschland sind das circa 330 000 Patienten. Im Langzeitverlauf treten allerdings Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen oder Herzinsuffizienz auf. Haupttodesursache für EMAH ist der plötzliche Herztod, der einer Studie zufolge im Mittel mit 39 Jahren eintritt. Eine Fehlfunktion der Herzkammern, Vernarbungen oder fibrotische Herzmuskelveränderungen sowie eine zunehmende Anzahl vorausgegangener Interventionen und Komplikationen erhöhen hier das Risiko für einen PHT. Eine lebenslange regelmäßige Nachsorge bei einem EMAH-Spezialisten ist deshalb erforderlich. Problematisch ist allerdings die Transition von der Jugendmedizin zur Erwachsenenmedizin, weshalb zu viele junge Erwachsene „lost to follow-up“ sind.
Hybrid-Pressekonferenz: „Vorstellung des Deutschen Herzberichts 2022” (Veranstalter: Deutsche Herzstiftung e. V.), September 2023