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Fokus Naturmedizin

Neurotransmitter und orthomolekulare Psychiatrie

Mit „Glückshormonen“ Angst und Depressionen überwinden

Prof. Dr. med. Ingrid Gerhard, Kyra Kauffmann

18.11.2021

Fehlende Vitamine sind häufig Auslöser von verschiedenen psychiatrischen Beschwerden, da sie wichtige Kofaktoren bei der Synthese von Neurotransmittern sind. Mit der richtigen Analyse und entsprechender Substitution lassen sich solche Defizite gut behandeln.

Depressionen haben in der Regel einen multifaktoriellen Ursprung. Die meisten Depressions-Erklärungsmodelle nennen genetische Prädisposition, neurobiologische Störungen sowie psychosoziale Faktoren als Basis. Deren Rolle ist individuell unterschiedlich, im Ergebnis haben die Betroffenen aber in allen Fällen eine geringere Toleranz gegenüber Belastungsfaktoren als gesunde Menschen. Die genetische Vorbelastung spielt dabei eine wichtige Rolle, Depressionen treten familiär gehäuft auf.

Tatsächlich ist die Fähigkeit zum (leichten) Glücklichsein in der DNA festgelegt. Wohl dem, dessen relevante Gene – TPH2, COMT, MAO, 5-HTR2a, MTHFR und BNDF – keine Polymorphismen aufweisen. Die meisten Menschen haben jedoch in dem einen ­oder anderen Gen Veränderungen, die sie für Depres­sionen, Angststörungen und Zwangserkrankungen anfällig werden lassen. Als Trigger einer depressiven Episode wirken dann belastende Ereignisse oder Überforderungssituationen.

Einen Teil dieser Bedingungen der zugrunde liegenden Stoffwechselwege können wir heutzutage untersuchen und Defizite auch entsprechend behandeln. Die Kofaktoren der Synthese von wichtigen Neurotransmittern wie Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Glutamat, Serotonin, ­Dopamin und Adrenalin sind essenziell für den Aufbau von „Glückshormonen“ – Hormone und Neurotransmitter, die Wohlbefinden oder Glücksgefühle hervorrufen können.

Neurotransmitter messen

Ein Serotonindefizit, das auf einem Mangel an L- Tryptophan oder Pyridoxal-5-Phosphat (Vitamin B6) ­beruht, lässt sich auch durch gute Gene nicht wett­machen. Wer eine langsame Tryptophan-Hydroxylase hat, die Tryptophan in die unmittelbare Vorstufe des Serotonins, das 5-HTP, umwandelt, der kann durch ausreichende Aufnahme von L-Tryptophan und Vita­min B6 dennoch seinen Serotoninspiegel verbessern. Mit diesen Untersuchungen, die durch eine einzige Urinprobe möglich sind, gewinnen wir in der Praxis einen schnellen Überblick über die Neurotransmitterspiegel unserer Patienten (Abb. 1).

Endokrinologischer Laborbefund mit den Neurotransmittern Serotonin, Glutamat, GABA und Katecholaminen Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin und Kreatinin


Bei den folgenden Erkrankungen bieten diese häufig eine große Hilfe:

  • Nichtansprechen auf übliche Pharmakotherapie z. B. mit SSRI, Benzodiazepinen
  • Angststörungen/Panikstörungen
  • Fibromyalgie
  • Schlafstörungen (Melatoninsynthese)
  • Depressionen
  • Psychosen
  • Migräne
  • Burnout-Syndrom/CFS
  • Anorexia nervosa/Bulimie
  • ADHS/ADS

Funktioneller Vitamin-B6-Mangel

Nicht selten ist nur ein einziges Vitamindefizit der Auslöser von verschiedenen psychiatrischen Beschwerden. Ein häufiger Befund ist ein erhöhter ­Cystathioninwert, der auf einen funktionellen Vita­min-B6-Mangel hindeutet. Nach unserer Erfahrung findet sich gerade dieser Mangel bei jungen Frauen häufig, der im Blutserum oder durch Marker wie Homocystein nicht auffällt. Erst die Laboruntersuchung auf Cystathionin, ein funktioneller B6-Marker, ermöglicht die genaue Diagnose.

Auslöser für Vita­min-B6-Mängel können u. a. orale Kontrazeptiva, Crash-Diäten und einseitige Ernährung sein. Ohne Pyridoxal-5-Phosphat (Vitamin B6) kann die Synthese von Serotonin, Dopamin und GABA nicht stattfinden (Abb. 2).

B12-Mangel im Blutserum

Nicht nur die Pille, sondern auch viele ­andere Medikamente können in den Mikro­nähr­stoff­haushalt im zentralen Nervensystem (ZNS) eingreifen. Ein häufiges Phänomen ist der zerebrale Vitamin-B12-Mangel, der oft infolge von Protonenpumpenhemmer(PPI)-Einnahme oder einer Autoimmungastritis (Typ A) oder bei Vegetariern und Veganern auftritt. Vitamin B12 (Methylcobalamin) spielt eine entscheidende Rolle im Methylierungsstoffwechsel und bei der Bildung des wichtigsten ­Methylgruppendonators SAME (s-Adenosylme­thi­onin). SAME ist der entscheidende Kofaktor bei der Synthese von ­Adrenalin und Melatonin. Fehlt dieser, sind Mängel vorprogrammiert. Auch ein B12-Mangel ist im Blut­serum kaum zu diagnostizieren. Hierfür ­bedarf es analog zum Vitamin B6 anderer Werte: ­Holo­trans­cobala­min oder Methylmalonsäure (im Urin oder Blutserum).

Orthomolekulare Psychiatrie

Auf die Zusammenhänge zwischen der Versorgung mit Mikronährstoffen und dem Auftreten von psychi­atrischen Erkrankungen haben bereits in den 1970er-Jahren die amerikanischen Psychiater Dr. Carl Pfeiffer, Dr. Abram Hoffer und Dr. Humphry Osmond hingewiesen, die Begründer der Fachrichtung „Orthomolekulare Psychiatrie“. Die Symptome sind nach den Grundsätzen der orthomolekularen Psychiatrie klar auf Mangelzustände zurückzuführen (Kasten).

Übersicht der Symptome bei Mangelzuständen von Serotonin, Noradrenalin, Dopamin und GABA


Der Ansatz der orthomolekularen Psychiatrie zielt darauf ab, den Patienten die Vitalstoffe zuzuführen, die sie benötigen, um wieder ausreichende Wirkspiegel im ZNS aufzubauen. Für die Synthese von Serotonin sind das Tryptophan, Vitamin B3, Folsäure (Folat), Mag­nesium, Eisen und Vitamin B6. Für Dopamin Tyrosin, Vitamin B6, Vitamin D, Magnesium und Folsäure ­(Folat). Für Noradrenalin Kupfer, Vitamin C, Vitamin D und Vitamin B6. Für GABA Glutamin, Vitamin B6 und Vitamin B3. Oft kann allein die Gabe eines hochdosierten Vitamin-B-Komplexes schon eine psychiatrische Symptomatik deutlich verbessern.

Ein Beispiel aus der Praxis

48-jährige Managerin mit Schlafstörungen, Unruhe/Angst und Antriebsstörungen. Kein Ansprechen auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Gutes Ansprechen auf Diazepam. Der Aufenthalt in einer psychosomatischen Reha konnte keine Besserung erzielen. Eine Neurotransmitteranalyse zeigte, dass es an diversen Kofaktoren fehlt. Die Therapie bestand in diesem Fall in einer Gabe von L-Tryptophan 2 x 400 mg, Tyrosin 500 mg (Katecholaminsynthese), SAME 200 mg (Adrenalinsynthese) sowie ein B-Komplex-Präparat. Unterstützt wurde die orale Therapie durch eine Infusionstherapie, die initial zweimal wöchentlich stattfand. Die Patientin erholte sich innerhalb von drei Monaten vollständig. Natürlich müssen flankierend auch Stressmanagement, Ernährung, Schlafhygiene und Bewegung mit in die Therapie einbezogen werden.

>> Mehr zu körpereigenen und natürlichen Antidepressiva aus unserer Rubrik Fokus Naturmedizin.

Die Autorin

Prof. Dr. Ingrid Gerhard
Albert-Überle-Str. 11, 69120 Heidelberg
www.netzwerk-frauengesundheit.com

Autorin des Buchs Frauengesundheit, Tria Verlag, 24,99 Euro, ISBN 978-3432105932

Die Autorin

Kyra Kauffmann
Praxis für funktionelle Medizin
Nordstraße 2 A
40477 Düsseldorf
www.funktionelle-medizin.eu

Autorin des Buchs Natürlich high, systemed-Verlag, 19,99 Euro, ISBN 978-3958141124

Literatur bei den Autorinnen

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