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Fokus Naturmedizin

S3-Leitlinie "Komplementärmedizin"

Mistel, Vitamin C und Sport in der Krebsbehandlung

Dr. rer. nat. Christine Reinecke

4.11.2022

Sollte die konventionelle Therapie nicht geeignet sein oder abgelehnt werden, können bei Hauttumoren Naturheilverfahren eingesetzt werden, z. B. die Misteltherapie oder der Einsatz von Vitaminsupplementen. Die Evidenz dazu lässt sich in den S3-Leitlinien „Komplementärmedizin“ nachlesen.

Ein Basalzell- oder Plattenepithelkarzinom wird in der Erstlinie chirurgisch exzidiert. Das ist auch beim malignen Melanom Usus, welches außerdem mit BRAF-Inhibitoren, Monoclonals oder CTLA-4-Antagonisten behandelt oder bestrahlt werden kann. Wenn das nicht möglich ist oder vom Patienten explizit abgelehnt wird, bleiben wenige Optionen. Was man als behandelnder Arzt dennoch tun kann, zeigen zwei Fallberichte aus der Naturheilkunde.

Misteltherapie auf Patientenwunsch

Die Misteltherapie ist eine sehr häufig angewandte komplementärmedizinische Methode bei Tumorerkrankungen. Die Inhaltsstoffe der Mistelextrakte, vor allem Lektine und Viscotoxine, sollen das Immunsystem bei der körpereigenen Tumorabwehr unterstützen. Die Zusammensetzung der Präparate variiert jedoch je nach Wirtsbaum und Extraktionsverfahren. Dadurch, dass die Präparate so heterogen sind, die Indikationen und Therapieziele verschiedenen und die klinischen Studien von unterschiedlicher Qualität, lässt sich die Wirksamkeit nur schwer bewerten. Das schlägt sich in der S3-Leitlinie „Komplementärmedizin in der Onkologie“ nieder, die den Empfehlungsgrad 0 („kann“) ausspricht: „Die subkutane Gabe von Mistelgesamtextrakt (Viscum album L.) kann für den therapeutischen Einsatz zur Verbesserung der Lebensqualität bei Patienten mit soliden Tumoren erwogen werden.“ Begründet wird dies mit heterogenen Studiendaten.

Viscum-album-Extrakt besitzt zytotoxische, apoptoseauslösende und immunstimulierende Effekte (unter anderem die Aktivierung antigenstimulierender Zellen und Effektorzellen und die Induktion von Zytokinen). Eingesetzt wurde Mistelextrakt beim Plattenepithelkarzinom der Mundhöhle, beim primären kutanen B-Zell-Lymphom, beim Merkelzellkarzinom und bei Brustkrebs, jedoch noch nicht beim Plattenepithelkarzinom der Haut. Dies wurde nun in einem Einzelfallbericht beschrieben. Das Plattenepithelkarzinom ist ein häufiger invasiver Hautkrebs, der sich meist an sonnenexponierten Körperstellen manifestiert, aber selten metastasiert. Die meisten Läsionen sind asymptomatisch, es können Schmerz, Juckreiz oder wiederkehrende Blutungen auftreten. Dass periläsionale, hochdosierte Injektionen eines Viscum-album-Extraktes hier eine dauerhafte Antwort hervorriefen, zeigte der Fall aus einer Allgemeinarztpraxis. Ein 78-jähriger Patient mit histologisch gesichertem Plattenepithelkarzinom verweigerte chirurgische Eingriffe, da der Tumor im inneren rechten Augenwinkel lag und eine kardiologische Vorgeschichte bestand. Das Therapieschema mit Mistelextrakt: zuerst 24 Wochen Viscum fraxini (2 mg mit ungefähr 2 mg Mistellektin/ml, wobei der Tumor langsam zunahm; dann 24 Wochen hochdosiert Viscum betulae (20 mg mit ungefähr 20 mg Mistellektin/ml). Nach 20 Wochen war der Tumor bis auf ein kleines Erythem zurückgegangen, nach 10 Monaten war er klinisch verschwunden. Lokale Hautreaktionen in der Umgebung (Schwellung, Erythem und Juckreiz) sind bekannte Nebenwirkungen der Misteltherapie. Bis zur Veröffentlichung des Fallberichtes (4 Jahre) blieb der Patient rezidivfrei.

Abbildung: Ascorbinsäure beim Basalzellkarzinom

Komplementäre Behandlung gründlich abwägen

Die Studienautoren der Universität Witten-Herdecke weisen darauf hin, dass dies der einzige bekannte Fall ist, in dem ein Plattenepithelkarzinom mit ­Mistelinjektionen behandelt wurde. Da die kurative Primärtherapie mit Exzision kaum Nebenwirkungen aufweise, sollte den Patienten nicht zu einer alternativen Behandlung geraten werden. Auch sei die Prognose des Plattenepithelkarzinoms relativ gut; dennoch kann es fortschreiten, infiltrieren oder metastasieren, wenn es nicht adäquat behandelt wird. Die Risiken einer verschobenen oder vorenthaltenen chirurgischen Therapie sollten abgewogen werden. Es gebe jedoch Situationen, in denen dem Patientenwunsch entsprochen werde und eine nicht invasive Behandlung erforderlich sei. Die S3-Leitlinien „Komplementärmedizin“ weisen darauf hin, dass für eine Misteltherapie zur Verlängerung der Lebenszeit keine Evidenz besteht: „Es kann keine Empfehlung für oder gegen eine Verordnung von Mistelgesamtextrakt enthaltenden Präparaten mit dem Ziel der Verlängerung der Überlebenszeit gegeben werden.“ Die Daten würden für eine klare abschließende ­Bewertung nicht ausreichen.

Adjuvante Ascorbinsäure-Infusionen

Geht es darum, Vitaminsupplemente bei Tumorerkrankungen einzusetzen, wird auf die S3-Leitlinie „Klinische Ernährung“ verwiesen. Darin heißt es: „Präklinische Daten zeigen für Vitamin C eine antitumorale Wirkung, jedoch auch eine Blockade der Wirksamkeit unterschiedlicher Zytostatika. In einer Phase-I-Studie bei Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung zeigte die intravenöse Bolusgabe von Ascorbinsäure bis zu einer Dosis von 1,5 g/kg an 3 Tagen pro Woche keine Antitumorwirkung, allerdings auch keine erkennbaren unerwünschten Wirkungen.“ Soweit die Leitlinie. Eine erkennbare Wirkung bei lokal fortgeschrittenen Basalzellkarzinomen beschreibt eine Pilotstudie der Semmelweis Universität (Budapest, Ungarn).

Das Basalzellkarzinom ist die häufigste kutane Tumorerkrankung bei kaukasischen Patienten. Abhängig von Größe, Subtyp und Lokalisation wird mit Exzision (Mohs-Chirurgie), Kürettage und Elektrodesikkation, Kryotherapie sowie photodynamisch und radio­logisch behandelt. Auch Immunmodulatoren und Antimetaboliten werden eingesetzt, wobei die besten Heilungsraten mit Mohs-Chirurgie erzielt werden. Die Inhibitoren der Smoothened(SMO)-Rezeptoren, Vismodegib und Sonidegib, standen in dieser Studie nicht zur Verfügung. Auch waren die vier Patienten mit lokal fortgeschrittenem Basalzellkarzinom nicht für Bestrahlung, Chirurgie oder eine lokale Therapie zugänglich. So wurde die Wirksamkeit und Sicherheit einer hoch dosierten intravenösen Vitamin-C-Gabe untersucht. Nach einer Dosiseskalation über einen Monat erhielten die Patienten 1- bis 3-mal pro Woche ambulant Ascorbinsäure intravenös (1–1,8 g/kg; mit Dosierungen von 75 bis 175 g pro Infusion) über durchschnittlich 42 ± 23,6 Wochen. Die Therapie wurde gut vertragen, wobei die maximal tolerable Dosis bei 75 g / 1 000 ml (7,5 %) lag. Bei den Studienteilnehmern wurden insgesamt 18 Ziel­läsionen einmal pro Monat überwacht. Wenn nötig, erfolgte eine Tumoranalyse mit MRT oder CT. Die Therapieantwort wurde anhand der durchschnittlichen Größe der Zielläsion gemäß RECIST-Kriterien eingeschätzt. Etwa 83 % der Läsionen reagierten auf die Therapie, wobei die Größe um 4–16 % zurückging. Jedoch reagierten nicht alle Läsionen gleich auf die Therapie; einige schritten sogar fort (Abb.), insgesamt nahmen 17 % der Läsionen zu. Entsprechend erreichten drei der vier Patienten eine stabile Erkrankung, ein Patient erlebte einen Progress. Wie die Studienautoren beschrieben, wird die intravenöse Ascorbinsäuretherapie beim lokal fortgeschrittenen Basalzellkarzinom gut vertragen. Sie geben dennoch zu bedenken, dass das Verfahren bei therapieresistenten Fällen nur adjuvant eingesetzt werden sollte, da ja prinzipiell Smoothened-Rezeptorinhibitoren zur Verfügung stehen.

Besseres Outcome mit Yoga und Tai-Chi

Viele Guidelines empfehlen Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren, sich regelmäßig zu bewegen. Das ist mit einem verbesserten Outcome und reduzierter Mortalität bei bestimmten Tumorpatienten assoziiert, doch die Wirksamkeit ist kaum untersucht. So wertete das Southwest Medical Center in Dallas (USA) 20 Studien mit 749 hauptsächlich männlichen Teilnehmern im Durchschnittsalter von 48 bis 63 Jahren systematisch aus. Die Interventionen (körperliche Aktivität) waren mit mindestens einer signifikanten Verbesserung eines objektiven oder patientenberichteten Ergebnisses in 75 % der Studien assoziiert. Am häufigsten hatten sich die aerobe Kapazität und die Fatigue verbessert; nicht untersucht wurde der Zusammenhang zu Überleben oder Rückfall. Obwohl aerobe und kraftbetonte Aktivitäten gängiger sind, zeigten sich bei Yoga und Tai-Chi bessere objektive und patientenberichtete Outcomes.

Auch die Leitlinie „Komplementärmedizin“ empfiehlt onkologischen Patienten die körperliche Aktivität zur Steigerung der Lebensqualität und bei Fatigue, und zwar mit dem Empfehlungsgrad A („soll“). Bei Fatigue sollte auch Yoga praktiziert werden (Empfehlungsgrad B), ebenso Tai-Chi oder Qui Gong, letztere auch bei Einschlaf- und Durchschlafstörungen.

Für wen die Leitlinie gemacht ist

Die S3-Leitlinie „Komplementärmedizin“ ist eine Querschnittsleitlinie, die für alle Patienten mit onkologischen Erkrankungen gelten soll. Verabschiedet wurde sie aufgrund des hohen Interesses der Tumorpatienten an komplementärer und alternativer ­Medizin. Im Durchschnitt nutzt etwa die Hälfte aller Patienten während der Erkrankung und Therapie oder im Anschluss mindestens eine Methode. Der­ ­typische Nutzer ist eher weiblich, hat einen hohen Bildungsstand und ist eher jünger. Es wird der Wunsch angegeben, durch komplementäre Verfahren Nebenwirkungen zu lindern, die Kräfte während der Therapie zu erhalten oder sich schneller zu ­regenerieren; ebenso, die Wirksamkeit der kon­ventionellen Therapie zu verstärken und selbst aktiv zu werden und ­damit zum Therapieerfolg beizutragen.

Auch Ärzte sollten sich mit der Leitlinie vertraut ­machen. Sie werden aufgefordert, sich sorgfältig über die Präparate und Dosierungen, die Methoden und ihre Durchführung zu informieren, bevor sie eine therapeutische Empfehlung abgeben.

Die konsensbasierten Leitlinien-Empfehlungen („soll“):

• Alle Patienten sollen so früh wie möglich und wiederholt während der Therapie auf komplementärmedizinische Maßnahmen angesprochen werden; dabei soll auf verlässliche Informationsquellen verwiesen werden.
• Die Anbieter und Berater von komplementär­medizinischen Maßnahmen sollen über onko­logische Erkrankungen Bescheid wissen, sich zu den Maßnahmen fortgebildet haben und die Wirkungsweise, Indikationen und Kontraindikationen sowie die Grenzen bei onkologischen Patienten kennen.
• Die Patienten sollen systematisch und bedürfnisorientiert beraten werden; dabei soll die aktuelle Evidenz berücksichtigt werden.
• Wenn Ärzte komplementärmedizinische Maßnahmen empfehlen, sollen sie auf Qualitätskriterien für Anbieter hinweisen und unseriöse Methoden klar benennen. Seriöse Anbieter werden mit den 8 Kriterien des Netzwerkprojektes KOKON identifiziert (von der Deutschen Krebshilfe gefördert).

Das Expertenstatement
Abbilung Prof. Dr. med. Gustav Dobos

Prof. Dr. med. Gustav Dobos
Zentrum für Naturheilkunde und Integrative Medizin
(Universitätsklinik Essen)

„Die gründliche wissenschaftliche Aufbereitung sehr vieler Themen macht die Leitlinie so wertvoll: Der Interessierte (Fachkundige wie Laie) wird schnell und präzise über den Wissensstand infor­miert und kann auf dieser Grundlage viel kompe­tenter zu einer Einschätzung kommen und/oder handeln. Es war das Anliegen der AWMF, dass die Leitlinie für alle in der Onkologie Tätigen ein präzises Nachschlagewerk darstellen soll, das es ermöglicht, Fragen von Krebsbetroffenen evidenz­basiert zu beantworten und gegebenenfalls aktiv Empfehlungen auszusprechen beziehungsweise auch von konkreten Maßnahmen und Verfahren abzuraten.“

Fazit

Steht bei einer Tumorerkrankung der Patienten­wunsch einer konventionellen Therapie diametral gegenüber, kann im Einzelfall ein komplemen­tärer Ansatz in Erwägung gezogen werden. So bewirkten hoch dosierte Mistelinjektionen bei einem Patienten mit Plattenepithelkarzinom das Verschwinden der Läsion. Bei drei Patienten stabilisierte sich ein lokal fortgeschrittenes Basalzellkarzinom nach intravenöser Ascorbin­säureinfusion; bei einem Patienten kam es zum Progress. Den Autoren der beiden Berichte zufolge sollten die Verfahren nur in Sonderfällen und möglichst adjuvant eingesetzt werden. Um die Lebensqualität und die Fatigue während der Therapie zu verbessern, sollten körperliche Aktivität und Yoga praktiziert werden, so die S3-Leitlinie.

Die Autorin

Dr. rer. nat. Christine Reinecke
70378 Stuttgart

dres.reinecke@t-online.de
www.hello-biology.com

Dr. Christine Reinecke ist promovierte Diplom-Biologin und ­seit über 25 Jahren freiberufliche Autorin zahlreicher Publikationen der Naturheilkunde, Medizin und Pharmazie

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: Ludmila Lysak (gettyimages); privat

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