Das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis gilt seit 1. April 2024. Besitz und Anbau sind für Volljährige im Zuge der Vorgaben legal. Schon länger ist Cannabis im Rahmen medizinischer Anwendungen auf dem Vormarsch. Ein Vortrag auf dem Kongress in Warnemünde widmete sich beiden Aspekten.
Dr. med. Michael Scheit (Potsdam) referierte im Satellitensymposium Cannabis: Neues Konzept und praktische Umsetzung über den Einsatz von Cannabisblüten in Schmerzmedizin, Tumortherapie und Palliativmedizin. Die wichtigsten Informationen sind nachfolgend zusammengefasst.
Cannabiskonsum in der Bevölkerung
Koffein, Alkohol, Nikotin und Cannabis (Marihuana) zählen zu den am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen. Für die zahlreichen physiologischen Effekte ist vorwiegend das Phytocannabinoid Tetrahydrocannabinol (THC) verantwortlich. Inhaliertes THC wird innerhalb von wenigen Sekunden absorbiert. Der maximale Plasmaspiegel entsteht innerhalb von 5 bis 10 Minuten. THC wirkt prompt euphorisierend, entspannend, sedierend und appetitanregend. Gleichzeitig werden Kurzzeitgedächtnis, Konzentration und Psychomotorik beeinträchtigt. Somatische Wirkungen sind trockener Mund, konjunktivale Gefäßfüllung, horizontaler Nystagmus, Husten und kardiale Arrhythmien.
Eine akute Intoxikation verläuft meist mild und selbstlimitierend. Zu einer notfallmäßigen Vorstellung können Panikattacken, psychotische Symptome und ausgeprägte motorische Koordinationsstörungen führen. Reizarme Umgebung, Beruhigung sowie, je nach Symptomatik, Benzodiazepine und Antipsychotika sind Mittel der Wahl. Ein spezifisches Antidot existiert nicht. Subakut (> 24 Stunden nach Intoxikation) kann es zu 4 konkreten psychiatrischen Syndromen kommen:
1. Cannabis-induzierte Angsterkrankung
2. akute Psychose
3. Schlafstörungen
4. hyperaktives Delir
Der problematische Cannabiskonsum (cannabis use disorder) ist charakterisiert durch einen Kontrollverlust. Das Entzugssyndrom (cannabis withdrawal syndrome) ist durch psychische Symptome (depressive Verstimmung, Angst, Unruhe, Schlafstörungen) charakterisiert.
Das „cannabinoid hyperemesis syndrome“ (DD: zyklisches Erbrechen) kann durch heiße Bäder gebessert werden und bildet sich nach konsequenter Abstinenz komplett zurück. Es kann bei Bedarf mit Benzodiazepinen und Haloperidol behandelt werden. Hingegen sind die gängigen Antiemetika wirkungslos [1].
Das Endocannabinoidsystem und ärztliche Verordnung
Die Wirksamkeit wird über das Endocannabinoidsystem (ECS) vermittelt. Das Endocannabinoidsystem ist Teil des zentralen Nervensystems und an der Regulierung einer Vielzahl von physiologischen Prozessen beteiligt, wie der Regulierung der Homöostase von Zellen, Geweben, Organen, der Freisetzung von Neurotransmittern und der synaptischen Plastizität sowie der Zytokinfreisetzung aus Mikroglia [2]. Darin nachweisbar sind CB1- und CB2-Rezeptoren.
Es gibt mehr als 100 Phytocannabinoide. Die bekanntesten sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Aus der Gruppe der ätherischen Öle sind rund 120 Terpene/Terpenoide und aus der Gruppe der antioxidativ wirksamen Substanzen rund 20 Flavonoide als Inhalte der Cannabispflanze bekannt.
Wirkungen auf das zentrale und das periphere Nervensystem sowie auf Lunge, Gefäße, Muskeln und Magen-Darm-Trakt werden über CB1-Rezeptoren vermittelt. Wirkungen auf Knochen, Haut und Milz werden über CB2-Rezeptoren vermittelt. Wirkungen auf Immunsystem, Leber, Pankreas und Knochenmark entfalten sich über CB1- und CB2-Rezeptoren [3].
THC wirkt analgetisch, antiemetisch, schlaffördernd, appetitanregend und muskelrelaxierend. CBD wirkt medizinisch analgetisch, antipsychotisch, antikonvulsiv, antiphlogistisch und anxiolytisch. Cannabis enthält über 100 verschiedene Cannabinoide. THC ist für den psychoaktiven oder euphorischen Effekt verantwortlich, hat aber auch schmerzlindernde, immunmodulierende und entzündungshemmende Eigenschaften. CBD ist nicht halluzinogen, wirkt aber vermutlich entzündungshemmend, angstlösend und antiepileptisch. Die wichtigsten postulierten Wirkungen sind in Studien und Metaanalysen verifiziert und in der Tabelle zusammengefasst [4-9]:
Menopausale Symptome keine Indikation
Keine Indikation für eine Cannabinoidtherapie sind klimakterische Beschwerden. Eine systematische Literatursuche von 2021 identifizierte 564 Studien zum Einfluss von Cannabis auf das klimakterische Syndrom in der Peri- und Postmenopause. Die Einschlusskriterien erfüllten 3 Studien. Den Einfluss von Cannabis (keine Angaben zum THC-Gehalt) auf Hitzewallungen bei menopausalen Frauen, die irgendwann einmal bzw. regelmäßig Cannabis konsumierten, untersuchten 2 Transversalstudien. Hier war der Cannabisverzehr mit einer höheren Inzidenz von Hitzewallungen assoziiert.
Frauen mit Cannabisverzehr erhofften sich eine Verbesserung des Affekts, des Schlafs, von Hitzewallungen und Gelenkbeschwerden.
Schließlich wurde in einer prospektiven doppelblinden Cross-over-Studie der Einfluss des Rauchens einer Cannabiszigarette mit 1,8 % THC-Gehalt im Vergleich zu einer Placebozigarette auf die Herzfrequenz und die subjektive Einschätzung des Affekts und des „Vergiftetseins“ bei 10 gesunden postmenopausalen Frauen untersucht. Die Frauen sollten dabei innerhalb von 15 Min. tief inhalierend die Zigarette zu Ende rauchen. Beim Rauchen der Cannabiszigarette nahmen die Herzfrequenz und das Gefühl der Verwirrung signifikant zu, wohingegen die innere Unruhe abnahm. Sonstige Affektparameter änderten sich nicht. Das Autorenteam kommt zu dem Schluss, dass die Evidenz bisher unzureichend ist, um die Wirkung von Cannabis auf das klimakterische Syndrom zu beurteilen [10,11].
Zum ärztlichen Einsatz von Cannabinoiden gibt es eine BfArM-Ausnahmeerlaubnis nach § 3 Absatz 2 des BtMG, mit diesen Indikationen [12]:
allergische Diathese, Angststörung, Appetitlosigkeit und Abmagerung (Kachexie), Armplexusparese, Arthrose, Asthma, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Autismus, Barrett-Ösophagus, Blasenkrämpfe nach mehrfachen Operationen im Urogenitalbereich, Blepharospasmus, Borderline-Störung, Borreliose, chronische Polyarthritis, chronisches Müdigkeitssyndrom (CFS), chronisches Schmerzsyndrom nach Polytrauma, chronisches Wirbelsäulensyndrom, Cluster-Kopfschmerzen, Colitis ulcerosa, Depressionen, Epilepsie, Failed-back-surgery-Syndrom, Fibromyalgie, chronische neuropathische Schmerzen, HIV-Infektion, HWS- und LWS-Syndrom, Hyperhidrosis, Kopfschmerzen, Lumbalgie, Lupus erythematodes, Migraine accompagnée, Migräne, Morbus Bechterew, Morbus Crohn, Morbus Scheuermann, Morbus Still, Morbus Sudeck, Multiple Sklerose (Spastik und zentraler Schmerz), Neurodermitis, paroxysmale nonkinesiogene Dyskinese (PNKD), Polyneuropathie, Posner-Schlossmann-Syndrom, posttraumatische Belastungsstörung, Psoriasis (Schuppenflechte), Reizdarm, Rheuma (rheumatoide Arthritis), Sarkoidose, Schlafstörungen, schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie, systemische Sklerodermie, Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese, Thalamusschmerz bei Zustand nach Apoplex, Thrombangiitis obliterans, Tics, Tinnitus, Tourette-Syndrom, Trichotillomanie, Übelkeit und Erbrechen, Urtikaria unklarer Genese, Zervikobrachialgie, Zwangsstörung
Benigne Gynäkologische Erkrankungen via Zoom, 16. November 2024
Nach der Etablierung des Intensivkurses „Komplementärmedizin in der Gynäkologischen Onkologie“ bietet die NATUM jetzt auch zu gutartigen gynäkologischen Erkrankungen einen entsprechenden Intensivkurs an. Dazu wurde in Zusammenarbeit mit der AG Komplementärmedizin des Berufsverbandes der Frauenärzte (BVF) ein entsprechendes Curriculum entwickelt. Ziel ist es, die ärztliche Behandlungskompetenz in diesem Bereich zu erhöhen. Das Curriculum basiert auf einem Konzept der WHO, das 2014 in Genf veröffentlicht wurde. Bei diesem Intensivkurs handelt es sich um eine qualitätsgesicherte Veranstaltung. Praktische Beispiele und konkrete Empfehlungen zur Behandlung sind zentrale Elemente. Für die Teilnahme werden NATUM-Fortbildungspunkte vergeben, diese gelten für das Zertifikat „Ganzheitliche Frauenheilkunde“.
Infoanfragen und Anmeldungen per E-Mail an: kongressorganisation@natum.de
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