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Fokus Naturmedizin

Atopische Haut

Gamma-Linolensäure aus Borretsch und Nachtkerze als Therapieoption

Dr. rer. nat. Christine Reinecke

20.10.2020

Anspruchslose Pflanzen mit wirkungsvollen Inhaltsstoffen: Das Öl der Nachtkerze verbessert bei Jugendlichen den Eczema Area and Severity Index, bei Kleinkindern die Schwere einer atopischen Dermatitis. Bei einer leichteren Neurodermitis ist auch Borretschöl wirksam.

Trauben von sternförmigen, blauen Blüten zeichnen Borretsch aus, das Küchenkraut, das den Geschmack von Gurken hervorhebt. Das Raublattgewächs bildet ölhaltige Samen mit wertvollen, hoch ungesättigten Fettsäuren. An den aufrechten Stängeln der Nachtkerze knospen dagegen tellerförmige, gelbe Blüten, die wie Ähren angeordnet sind. Sie öffnen sich am frühen Abend und verströmen einen süßlichen Duft, der Nachtfalter anlockt. Auch Oenothera bildet ölhaltige Samen. Diese enthalten nennenswerte Mengen an Linolsäure und Linolensäure. In Nachtkerzenöl findet sich bis zu 14 % der dreifach ungesättigten Linolensäure, dazu 60–80 % Linolsäure, die zwei Doppelbindungen aufweist. Diese essenzielle Fettsäure wird im Körper mithilfe des Enzyms Desaturase zu Gamma-Linolensäure (GLA) umgewandelt. Nach Verlängerung der Kohlenstoffkette und Einfügen einer weiteren Doppelbindung entsteht Arachidonsäure, das Ausgangssubstrat für Leukotriene, Tromboxane und Prostaglandine. Anteilig ist Gamma-Linolensäure auch in Borretschöl enthalten, insgesamt bis zu 25 % (s. Tab.).


Wissenschaftliche Daten wiesen nach, dass bei Neurodermitis das Schlüsselenzym Delta-6-Desaturase eine verminderte Aktivität aufweist.[1] Der leichte Enzymdefekt führt dazu, dass die Konzentration von Linolsäure-Metaboliten bei Atopikern deutlich niedriger ist. Das zeigt, dass die Umwandlung von Linolsäure in Gamma-Linolensäure nur unvollständig funktioniert. In der Folge wird weniger Arachidonsäure und damit auch zu wenig antiinflammatorisches Prostaglandin E1 gebildet. Es kommt zu einer Immundysregulation, denn die entzündungsfördernden Prostaglandine E2 und F2 überwiegen. Nimmt man in einer solchen Situation Gamma-Linolensäure aus natürlichen Quellen auf, erhöht sich deren Konzentration im Blut. Das wirkt vermutlich entzündungshemmend.[2]

Systemisch und topisch anwendbar

Aufgrund der antiphlogistischen und juckreizlindernden Inhaltsstoffe werden Nachtkerzen- und Borretschöl beim atopischen Ekzem eingesetzt. Auch beim prämenstruellen Syndrom ist Nachtkerzenöl eine Option; man vermutet, dass die Fettsäuren hier die Prostaglandinsituation im Endometrium beeinflussen. Anerkanntes Anwendungsgebiet für das Öl ist allerdings die Behandlung und symptomatische Erleichterung des atopischen Ekzems (Neurodermitis), besonders des begleitenden Juckreizes. Borretschsamenöl wird hauptsächlich eingesetzt bei Hautschuppung und Rötung. Zur äußeren Pflege bei Neurodermitis, Schuppenflechte und atopischen Ekzemen eignet sich eine Creme, die Borretschöl enthält. Rezeptiert wird Oleum bora-ginis semen 5,0–10,0 Unguentum emulsificans aquosum ad 100,0 oder es wird eine Fertigcreme benutzt. In symptomfreien Phasen empfiehlt sich eine Nachtkerzensamenöl-Creme, die 12–20 % Linol- und Linolensäure enthält. Bei Neurodermitis-Schüben kommt die Akut-Creme mit antibakteriell wirksamem Decandiol zum Einsatz. Beide sind zur Hautpflege mit fettender Wirkung geeignet. Je nach Hauttrockenheit wird mehrmals täglich aufgetragen. Parallel dazu ist die innere Anwendung von Nachtkerzen- und Borretschöl sinnvoll. So lassen sich Phytotherapeutika in allen Stadien des entzündlichen Prozesses einsetzen. Sie helfen auch dabei, Steroide einzusparen, und zwar topisch und systemisch.[4]

Dosierung

Nach Herstellerangaben wird Nachtkerzenöl oral mit 2–3 g pro Tag dosiert, entsprechend zweimal täglich 4–6 Kapseln mit je 500 mg Nachtkerzensamenöl. Für Kleinkinder gibt es Kapseln zum Aufschneiden, die 1.000 mg Öl enthalten. So kann das Öl direkt geschluckt oder in die Nahrung gegeben werden. Borretschsamenöl dosiert man mit 1,5–3 g pro Tag, was 360–720 mg Gamma-Linolensäure entspricht. Langfristige Dosierungen liegen bei 240–320 mg GLA. Ältere Studien zeigten, dass Gamma-Linolensäure im Bereich von 200–480 mg bei Erwachsenen eine signifikante Wirkung ausübte. Säuglinge und Kleinkinder profitierten von täglich 100 mg Gamma-Linolensäure.1 Beide Extrakte können leichte Nebenwirkungen hervorrufen. So werden für Nachtkerzenöl Übelkeit, Verdauungsstörungen und Kopfschmerzen beschrieben. Gelegentlich auch Überempfindlichkeitsreaktionen wie Exanthem oder Bauchschmerzen.

In der Praxis

Hinsichtlich der physiologischen Grundlagen würde alles für einen klinischen Einsatz von Linol- und Linolensäure sprechen. Die S2-Leitlinie Neurodermitis rät jedoch von einer diätetischen Substitution mit Borretsch- oder Nachtkerzenöl ab. Die orale und topische Anwendung von Gamma-Linolensäure zur Behandlung der Neurodermitis wird nicht empfohlen.1 Grund für diese ablehnende Haltung ist die kontroverse neuere Studienlage. So wurde in einem Review mit 27 Studien untersucht, welchen Effekt Nachtkerzen- und Borretschöl auf das atopische Ekzem ausübt. Für Nachtkerzenöl zeigte sich in einer Metaanalyse (sieben Studien) keine signifikante Verbesserung der allgemeinen Symptomatik im Vergleich zu Placebo. Die Symptome waren anhand einer visuellen Analogskala von Ärzten und Patienten eingeschätzt worden. Auch mit Borretsch konnte keine signifikante Verbesserung der allgemeinen Ekzemsymptomatik erreicht werden. Beide Substanzen verursachten kurzzeitig leichte gastrointestinale Nebenwirkungen. Vor der Langzeiteinnahme von Nachtkerzenöl über den Zeitraum von einem Jahr wird in einem Fallbericht gewarnt, es bestehe ein mögliches Risiko für Entzündung, Thrombose und Immunsuppression. Erwähnt wird auch, dass das Blutungsrisiko bei gleichzeitiger Warfarin-Medikation erhöht sein könnte.[5]

EASI-Score bei Jugendlichen signifikant gesenkt

Anders die Resultate einer aktuellen Studie. Hier wurde im RCT-Design – randomisiert, doppelblind, placebokontrolliert – die Wirksamkeit von Nachtkerzenöl bei 50 Kindern und Jugendlichen (9,2 ± 7,4 Jahre) mit leichter atopischer Dermatitis näher betrachtet. Zu Studienbeginn hatten die jungen Patienten einen „Eczema Area and Severity“ Index (EASI) im Bereich von zehn oder niedriger, durchschnittlich 4,6 ± 1,22. Nach der Einnahme von 450 mg Nachtkerzenöl (entsprechend 40 mg GLA) über vier Monate nahm der EASI im Durchschnitt schrittweise ab und hatte sich bei Studienende signifikant verbessert (p = 0,04; s. Abb.). Nach vier Monaten stellte sich auch ein signifikanter Unterschied im durchschnittlichen EASI zwischen der Verum-Gruppe und Placebo ein (p = 0,01). Neben trockener Haut, Juckreiz und Erythem ist der transdermale Wasserverlust ein typisches Symptom der atopischen Dermatitis. Der Wasserverlust über die Haut und die Hautfeuchtigkeit hatte sich bei den mit Nachtkerzenöl behandelten Jugendlichen leicht verbessert. Bemerkenswert: Bei Jugendlichen unter zwölf Jahren zeigte Oenotherae Oleum einen ausgeprägteren Effekt.[2]

Mittlerweile werden komplementäre oder alternative Verfahren als Ergänzung der konventionellen Atopie-Behandlung immer wichtiger.[6] Deshalb wurde im Rahmen eines Reviews gezielt nach randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studien zu diesem Thema gesucht. Die Behandlung mit Nachtkerzenöl erhielt darin abschließend eine Level-I-Evidenz.[6]

Topische Wirksamkeit

Eine Möglichkeit, Gamma-Linolensäure topisch aufzubringen und lange einwirken zu lassen, ist Unterhemden zu tränken. Dies wurde bei 32 Kindern im Alter von einem bis zehn Jahren mit leichter atopischer Dermatitis angewandt. Die Hälfte der Kinder trug täglich zwei Wochen lang mit Borretschöl benetzte Unterhemden, die anderen hatten normale Unterwäsche an. Bei den mit Borretschöl behandelten Kindern verbesserten sich Erythem und Juckreiz signifikant. Auch der Wasserverlust über die Haut am Rücken nahm ab.[7] Dass Gamma-Linolensäure bei Säuglingen und Kindern unter drei Jahren die Schwere einer atopischen Dermatitis reduzieren konnte, wurde in einer systematischen Übersichtsarbeit deutlich. Eine Kombination von Präbiotika, Omega-3-Fettsäuren und Gamma-Linolensäure verringerte effektiv die Entwicklung einer atopischen Dermatits. Die ungesättigten Fettsäuren waren aus dem Samenöl der schwarzen Johannisbeere gewonnen worden.[8] Höchst unterschiedlich waren die Ergebnisse einer Übersichtsarbeit mit zwölf Studien zu Borretschöl, das topisch oder oral eingesetzt wurde. Dennoch zeigte die Mehrheit der Studien eine leichte Wirksamkeit von Borago oleum bei der atopischen Dermatitis. Bei Neugeborenen mit einem Risiko für Neurodermitis konnte Borretschöl die Entwicklung einer Atopie jedoch nicht verhindern.[9]

Borretsch- oder Nachtkerzenöl?

Borretschöl mit seinem hohen Gehalt an Gamma-Linolensäure könnte im individuellen Fall bei einer weniger schweren Atopie nützlich sein, vor allem wenn eine alternative Vorgehensweise gesucht wird. Das Öl ist in der Kurzzeitanwendung gut verträglich, Daten über den Langzeiteinsatz fehlen jedoch.[9] Generell tritt die Neurodermitis in unterschiedlichen Schweregraden auf, wobei die Mehrheit der Patienten unter einer leichteren Form leidet.1 Bei der leichten atopischen Dermatitis erwies sich Nachtkerzenöl als wirksam. So verbesserte sich bei Kindern und Jugendlichen der EASI-Score signifikant, mit ausgeprägteren Effekten bei Kindern unter zwölf Jahren.

Die Autorin

Dr. rer. nat. Christine Reinecke
70378 Stuttgart

dres.reinecke@t-online.de
www.hello-biology.com

Dr. Christine Reinecke ist promovierte Diplom-Biologin und ­seit über 25 Jahren freiberufliche Autorin zahlreicher Publikationen der Naturheilkunde, Medizin und Pharmazie

[1] www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/013-027l_S2k_Neurodermitis_2016-06-verlaengert.pdf, Stand: 08.07.2019
[2] Chung BY et al., Ann Dermatol 2018; 30(4)
[3] Augustin M et al., JDDG 2018; https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/ddg.13580, Stand: 09.07.2019
[4] Bäumler S, Heilpflanzen, Praxis heute. Band 2 Rezepturen und Anwendungen, 2. Auflage 2013; Urban & Fischer Elsevier GmbH München
[5] Bamford JT et al., Cochrane Database Syst Rev 2013; 30(4), doi: 10.1002/14651858.CD004416.pub2
[6] Vieira BL et al., Am J Clin dermatol 2016; 17(6): 557–581
[7] Kanehara S et al., J Dermatol 2007; 34(12)
[8] Foolad N et al., JAMA Dermatol 2013; 149(3): 350–355
[9] Foster RH, Nutrition 2010; 26(7–8): 708–718

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