Dass spezifische Impfungen auch andere Infektionen verhindern oder deren Verlauf abmildern können, wurde schon früh in der Historie der Impfungen beobachtet und in der Neuzeit durch Studien belegt. Auch bezüglich COVID-19 ließen sich derartige Effekte nachweisen. Könnte man sie in Zukunft auch nutzbringend einsetzen?
Bereits seit Einführung der Pockenimpfung im Jahr 1796 durch Sir Edward Jenner fiel auf, dass geimpfte Personen weniger häufig an ekzematösen Hauterkrankungen, Masern, Scharlach, Keuchhusten und Syphilis erkrankten. Ähnliches konnte in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch für die Bacillus-Calmette-Guérin(BCG)-Impfung, eine abgeschwächte Variante des Erregers der Rindertuberkulose, für die Polio-Lebendimpfung und für die Masernimpfung beobachtet werden. Diese unspezifischen Effekte werden auch als heterologe Effekte von Impfungen oder „off-target-effects“ bezeichnet.
Eine Metaanalyse aus drei randomisierten kontrollierten Studien zur BCG-Impfung ergab eine Reduktion der Neugeborenensterblichkeit um 38 % und der Säuglingssterblichkeit um 16 %. Der Effekt der BCG-Impfung auf die Kindersterblichkeit zeigte sich nicht nur in Entwicklungsländern, wo die Sterblichkeit durch die höhere Prävalenz von Infektionskrankheiten höher ist, sondern auch in Schweden, USA und Großbritannien und war nicht durch den alleinigen Rückgang der Tuberkulosefälle erklärbar.
Zwei Hypothesen
Zur Erklärung dieser heterologen Effekte kommen zwei Hypothesen in Betracht. In Teilen konnte eine gewisse kreuzreagierende Immunität nachgewiesen werden, wobei durch die Impfung generierte T-Zellen gegen strukturell ähnliche Epitope anderer Erreger reagieren. Wahrscheinlicher ist aber, dass die unspezifischen Effekte, die die angeborene Abwehrfunktion verbessern, auf einem Training des Immunsystems beruhen.
Das angeborene Immunsystem, repräsentiert durch Granulozyten, Makrophagen und Antigen-präsentierende Zellen (APC), reagiert schnell, generalistisch und durch Modifikation der Genaktivität im Sinne einer epigenetischen Regulation. Das adaptive Immunsystem zeichnet sich durch eine spezifische zelluläre (Helfer- und zytotoxische T-Zellen und B-Zellen) und eine humorale Antikörper-Antwort aus und weist eine hohe Diversität auf, die durch genetische Kombinationen entsteht und ein Immun-Gedächtnis aufbaut. An der Schnittstelle zwischen angeborenen und erworbenen Immunkomponenten befinden sich sowohl natürliche Killerzellen (NK-Zellen) als auch Makrophagen und APC. Auch wenn die Gedächtnisfunktion des adaptiven Immunsystems im Zuge einer natürlichen Infektion oder einer Impfung hoch spezifisch ist, so zeigte es sich, dass die Aktivierung des angeborenen Immunsystems zu einer effektiveren Immunantwort auf darauffolgende Auslöser oder Pathogene führt (Abb.). Diese Beobachtung führte zu dem Begriff „trainierte Immunität“. Diese basiert auf metabolische Änderungen, die folglich zu epigenetischen Modifikationen auf Genebene und zu einer Aktivierung des Inflammasoms und der zellulären Komponenten führt.
Es konnte gezeigt werden, dass isolierte Monozyten von BCG-geimpften Personen durch die Impfung „trainiert“ werden und dann bei einer weiteren Erregerexposition mehr proinflammatorische Zytokine ausschütten als Monozyten von ungeimpften Personen und somit das adaptive Immunsystem mitanregen. Diese Effekte halten monatelang an und zum Teil über ein Jahr hinaus. Interessanterweise waren diese Effekte bei Mädchen und bei wiederholten, sehr frühen oder mütterlichen Impfungen deutlicher.
Weniger schwere COVID-Verläufe
Kürzlich zeigten Beobachtungsstudien, dass Personen, die bestimmte Impfungen erhalten haben, eine reduzierte Wahrscheinlichkeit für schwere COVID-19-Verläufe aufwiesen. In einer Kohortenstudie mit 149 244 Personen, die einen adjuvantierten Zoster-Impfstoff kurz vor der SARS-CoV-2-Pandemie erhalten hatten, wiesen diese ein um 16 % geringeres Risiko für COVID-19 und ein um 32 % reduziertes Risiko für COVID-19-assoziierte Hospitalisationen im Vergleich zu 298 488 nicht Zoster-geimpften Personen auf. Dies wäre durch ein „trainiertes Immunsystem“ durch die Zoster-Impfung erklärbar, die als heterologen Effekt eine effiziente Immunantwort und Elimination von SARS-CoV-2 hervorrufen könnte. Ähnliche positive Effekte auf COVID-19-Verläufe konnten auch für die Influenza-Impfung demonstriert werden.
Eine präventive heterologe Impfung mit bekannten Impfstoffen bei neuen pandemischen Erregern, gegen die bisher noch keine spezifische Impfung entwickelt werden konnte, könnte eine Chance sein, neuen infektiologischen Herausforderungen durch ein Training des Immunsystems zu begegnen. Es ist in theoretischen Modellen davon auszugehen, dass dieses trainierte Immunsystem nicht nur für die Auseinandersetzung des Immunsystems mit unbekannten Erregern für das einzelne Individuum von Vorteil sein könnte, sondern auch die Transmission des Erregers reduzieren und somit epidemiologisch gerade bei Pandemien relevant sein könnte.
Die Autorin
Prof. Dr. med. Martina Prelog,
Master of Science
Fachärztin für Kinderheilkunde
Zusatzbezeichnung Infektiologie
Fachimmunologin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie
Universitäts-Kinderklinik Würzburg
Literatur bei der Autorin
Bildnachweis: privat