Für die Entwicklung effektiverer Insuline ist ein möglichst genaues Verständnis über das Zusammenspiel von Insulin mit seinem Rezeptor wichtig. Wie sich die Struktur des Rezeptors beim Andocken von Insulin verändert, ließ sich nun nachweisen.
Die Entdeckung des Insulins geht auf das Jahr 1921 und die Wissenschaftler Sir Frederick Banting, Charles Best, John James Rickard Macleod und James Collip zurück und bedeutete einen Durchbruch in der damaligen Diabetesbehandlung. Heutzutage ist Insulin ein gut untersuchtes Molekül und seine Bedeutung als Regulator des Blutzuckerspiegels sowie seine Beteiligung an Pathologien wie Diabetes mellitus, neurodegenerativen Erkrankungen und Krebs bekannt. Der Insulinrezeptor hat sich als Rezeptor-Tyrosinkinase (RTK) herausgestellt, der Signale – etwa die Regulation der Glucoseaufnahme in die Zelle – aktiv weiterleitet. Aber wie genau interagiert das Peptidhormon mit seinem in der Zellmembran verankerten Rezeptor?
Seit 40 Jahren gehen Forscher davon aus, dass Insulin an zwei verschiedenen Stellen des Rezeptors andockt. Über die Bindung an eine dieser Stellen lagen schon einige Informationen vor, während die Interaktion mit der zweiten noch eine Blackbox darstellte. Hier konnte kürzlich eine Studie einer internationalen Forschungskooperation um das Paul-Langerhans-Institut Dresden, ein Satellit des Helmholtz-Zentrums München, und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) zum Verständnis beitragen. Mittels Kryoelektronenmikroskopie ließ sich ein detailliertes 3D-Bild der Ektodomäne des Insulinrezeptors inklusive gebundenem Insulin erzeugen.1
Erstmals konnte so direkt die Bindung von Insulin an die zweite Rezeptorstelle beobachtet werden. Der Insulinrezeptor nimmt durch die Bindung eine T-förmige Struktur ein – in Abwesenheit von Insulin besitzt die Ektodomäne die Gestalt eines umgedrehten „U“.2 In der Abbildung ist zu sehen, dass der Rezeptor aus zwei deckungsgleichen Teilen besteht. Beide verfügen über zwei Insulinbindungsstellen, sodass ein einzelner Rezeptor bis zu vier Insulinmoleküle binden kann. Folge der drastischen Strukturveränderung ist, dass sich der Abstand zwischen den beiden Transmembrandomänen verringert, was die Interaktion der Kinasen erleichtert, zu einer Erhöhung der Tyrosinkinaseaktivität führt und wahrscheinlich die Signalübertragung auslöst.
Für die Auswertung wurden mehr als 8.000 elektronenmikroskopische Bilder aufgenommen und mehr als 300.000 einzelne Rezeptorpartikel analysiert, aus denen sich 2D-Bilder des T-förmigen Komplexes zur Rekonstruktion eines 3D-Bildes herstellen ließen.
Um die Wechselwirkungen auf atomarer Ebene und deren Dynamik zu verstehen, kamen zusätzlich computergestützte Modellierungs- und Simulationsmethoden zum Einsatz. Sie bieten zudem den Vorteil, dass sich später Wirkstoffscreens in silico (am Computer) durchführen lassen.
Die neuen Details tragen dazu bei, die Modellvorstellungen zur Interaktion von Insulin mit seinem Rezeptor zu präzisieren – z. B. ein Modell für den Mechanismus der Transmembransignalweiterleitung des Rezeptors zu postulieren. Das ermöglicht erstens pathologische Vorgänge, die z. B. zu Diabetes mellitus führen, besser zu verstehen. Daraus ließen sich dann (zweitens) neue Ansätze für die Entwicklung optimierter Insuline ableiten. Denn auch wenn sich die Gabe von humanem und künstlichem Insulin bewährt hat und schnell sowie lang wirksame Insuline nach Bedarf eingesetzt werden können, lassen sich doch einige Menschen mit Diabetes mellitus nur ungenügend auf Insulin einstellen.
Es gilt aber noch einiges zu klären: Wo genau dockt Insulin zu allererst am Rezeptor an? Wodurch erfolgt dann die Strukturveränderung des Rezeptors?
Damit auch Patienten von neuen Erkenntnissen künftig profitieren können, stehen die entsprechenden Datenbanken für alle zugänglich im Netz, um Forschern und Pharmafirmen den Weg vom Labor zum Patienten zu ebnen.
Die Autorin
Dr. rer. nat. Theresia Gutmann
Paul Langerhans Institut Dresden des Helmholtz Zentrums München am Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden
Der Autor
Dr. rer. nat. Ünal Coskun
Paul Langerhans Institut Dresden des Helmholtz Zentrums München am Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der TU Dresden
[1] Gutmann T, Schäfer IB, Poojari C et al., J Cell Biol 2019; doi: 10.1083/jcb.201907210
[2] Gutmann T, Kim KH, Grzybek M, Waltz T, Coskun Ü, J Cell aBiol 2018; doi: 10.1083/jcb.201711047
Bildnachweis: Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V.; ©Jyrki Hokkanen (CSC - IT Center for Science Ltd., Finnland); privat