Für eine Präzisionstherapie des Typ-2-Diabetes (T2D) ist es essenziell, das Wissen um die verschiedenen Phänotypen und die mit ihnen einhergehenden Risiken zu verfeinern. Ein innovativer Ansatz, der Menschen mit T2D stratifiziert und das Ergebnis grafisch sichtbar macht, kann sich als nützlich für die Praxis erweisen [1].
Die Entwicklung von Typ-2-Diabetes basiert auf vielen Faktoren. Die derzeit vorherrschende „one-size-fits-all classification“ des T2D kann somit der Heterogenität der Erkrankung nicht gerecht werden. Dass Prädiabetes und Diabetes sich anhand der zugrunde liegenden pathophysiologischen Variablen bestimmten Endotypen zuordnen lassen, die sich in ihrem Risiko für Komplikationen unterscheiden, zeigen neuere Studien. Endotypen müssen sich aber nicht notwendigerweise auf Dauer mit der molekularen Krankheitsarchitektur decken. Sie repräsentieren vielmehr eine Momentaufnahme.
Grafische Veranschaulichung
Dieser Thematik nahmen sich die Autorinnen und Autoren einer in Großbritannien publizierten Studie an: Sie reduzierten die routinemäßig erhobenen klinischen Daten von Menschen mit kürzlich diagnostiziertem T2D mittels „reverse graph embedding“ auf eine zweidimensionale Struktur in Form eines Baums [2]. Als grafisches Ergebnis beinhaltete jeder Ast zur Spitze hin Individuen eines spezifischen Phänotyps. Diejenigen mit gemischten Charakteristika waren hingegen zur Baummitte hin lokalisiert. Diese Methode ermöglicht Einsichten über die Veränderung von Phänotypen nach der Diagnose T2D im Verlauf der Erkrankung.
Dieses Tool wollten wir im Zuge einer Kohorten-Analyse von Daten aus der Deutschen Diabetes-Studie (GDS) und der Ludwigshafener Studie zu Risiken und kardiovaskulärer Gesundheit (LURIC) anwenden und u. a. herausfinden, wie spezifisch metabolische Phänotypen anhand dieser baumartigen Struktur Vorhersagen zu Mortalität und diabetesbedingten Komplikationen erlauben.
Aus der GDS wurden 927 Individuen mit T2D-Diagnose innerhalb der vergangenen 12 Monate rekrutiert. Follow-up-Visiten fanden alle 5 Jahre statt, zusätzlich jährliche Telefoninterviews bzgl. Medikation und Krankheitsverlauf etc.; insgesamt dauerte das Follow-up bis zu 16 Jahren.
Die Zuordnung jedes Individuums auf dem „Referenzbaum“ erfolgte über eine Mapping-Funktion basierend auf den 9 Variablen HbA1C, BMI, Gesamtcholesterin, HDL-Cholesterin, Triglyceride, Alanin-Aminotransferase, Serumkreatinin sowie systolischer und diastolischer Blutdruck unter Berücksichtigung von Alter und Geschlecht (Abb.). Als relevanter Positionswechsel im Verlauf von 5 Jahren galt ein Änderungsgradient der Variablen > 1. Von den Routinedaten nahmen die Triglyceride den größten Einfluss auf die „Baum-Koordinaten“, gefolgt von HDL-Cholesterin, systolischem Blutdruck, diastolischem Blutdruck und BMI. Bestimmt wurden außerdem Insulinsensitivität, Insulinsekretion, die Leberfettmenge, Serum-IL-6 und -IL-18 sowie periphere und autonome Neuropathien.
Von der LURIC-Studienpopulation (Personen mit V. a. stille oder symptomatische KHK oder akutes Koronarsyndrom) wurden 794 Individuen mit T2D-Diagnose innerhalb der vergangenen 5 Jahre eingeschlossen, die noch keine Insulinbehandlung bekommen hatten. Hier wurden Daten zu Herzinsuffizienz und Gesamtmortalität erhoben.
Ein effektives Tool
Es zeigten sich z. B. bei der GDS-Kohorte signifikante Gradienten bzgl. Insulinsensitivität und -sekretion in beiden Dimensionen (x- und y-Achse) entlang des „Baums“. Personen mit der geringsten Insulinsensitivität wiesen die höchsten Mengen an Leberfett und proinflammatorischem Biomarker IL-6 sowie ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko auf. Wohingegen Menschen, die im Ast des Baumes mit der geringsten Insulinsekretion positioniert waren, eher eine Insulintherapie benötigten sowie das höchste Risiko für eine diabetische Polyneuropathie und eine kardiale autonome Neuropathie aufwiesen.
In der LURIC-Kohorte war die Gesamtmortalität am höchsten in dem „Baumzweig“, der die Insulinresistenz abbildete.
Insgesamt erweist sich die durch den Mapping-Algorithmus erzeugte zweidimensionale Baumstruktur als praktisches Tool für die frühe Identifizierung von Phänotyp-Veränderungen bei T2D und vereinfacht die Einschätzungen zu Krankheitsverlauf, Komplikationen und Mortalität.
Die Ergebnisse der Studie können dazu führen, das Verständnis von Typ-2-Diabetes zu verändern und die Entwicklung neuer Ansätze zu Vorsorge und Therapie deutlich zu beschleunigen. Die Veranschaulichung der T2D-Risiken ist auch für Patientinnen und Patienten verständlich – ein Mehrwert in der täglichen Praxis.
Der Autor
Univ.-Prof. Dr. med. Robert Wagner
Stellvertretender Direktor Klinik für Endokrinologie und Diabetologie Universitätsklinikum Düsseldorf
robert.wagner@med.uni-duesseldorf.de
Leitung Klinisches Studienzentrum
Deutsches Diabetes Zentrum Düsseldorf
1 Schön M et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2023; doi.org/10.1016/S2213-8587(23)00329-7
2 Nair ATN et al., Nat Med 2022; 28: 982–88
Bildnachweis: privat