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Allgemeinmedizin

Migräne, Spannungs-, Clusterkopfschmerz & Co

Bei der Kopfschmerztherapie die Psychologie nicht vergessen

Dr. phil. Thomas Dresler

27.5.2022

In der Behandlung primärer Kopfschmerzen haben mittlerweile auch psychologische Maßnahmen ihren Stellenwert. Da diese jedoch nicht breitflächig bekannt sind, werden sie zu selten eingesetzt. Dabei lassen sich damit – insbesondere im Zuge eines multimodalen Behandlungssettings – gute Therapieerfolge erzielen.

Primäre Kopfschmerzerkrankungen, z. B. Migräne, Kopfschmerz vom Spannungstyp oder Clusterkopfschmerz, sind grundsätzlich neurologische Erkrankungen. Dennoch konnte gezeigt werden, dass psychologische Faktoren sowohl bei Schmerzauslösung und -erleben als auch in der Therapie der primären Kopfschmerzerkrankungen eine wichtige Rolle spielen und nicht vernachlässigt werden sollten.

Kopfschmerzursachen

Der am häufigsten berichtete Auslöser von Kopfschmerzen ist Stress, noch vor Schlafaspekten, Wetter oder hormonellen Einflüssen [1]. Und selbst bei anderen Auslösern dürfte der Einfluss teilweise über das Stresserleben vermittelt werden. Stress­erleben bezeichnet nicht den Stressor selbst, sondern den Umgang mit einem solchen durch die individuelle Stresskompetenz. Stressoren können individuell sehr verschieden sein, wodurch erklärbar wird, dass in Studien die COVID-19-Pandemie nicht nur mit einer Verstärkung, sondern teilweise auch mit einer Verringerung der Kopfschmerzsymptomatik einherging. Auch Erwartungen an die Symptomatik, die Wirkung einer Behandlung oder das Vertrauen in die eigene Kompetenz, etwas gegen die Kopfschmerzen tun zu können, sind relevant.

Berücksichtigung in den Leitlinien

Das Wissen über psychologische Faktoren bei Kopfschmerzerkrankungen lässt sich therapeutisch nutzen und ist in Leitlinien verankert [2]. Die Evidenz der Wirksamkeit der Ansätze (d. h. Edukation, Entspannungsverfahren, Biofeedback, kognitive Verhaltenstherapie) ist gegeben, allerdings ist das Wissen bei den Betroffenen darüber oft gering. So konnte die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) in einer Umfrage zeigen, dass zwei Drittel aller Kopfschmerzpatienten verhaltenstherapeutische Ansätze als Option nicht kennen und nur ein Viertel glaubt, von solchen profitieren zu können.

Edukation

Patienten sollten immer eine Beratung erhalten, denn Informationsvermittlung allein kann klinisch zu messbaren Symptomreduktionen führen. Edukation reicht von Aufklärung über Ursachen der Erkrankung, Erkennen möglicher Auslöser durch strukturiertes Tagebuchführen bis hin zu körperlichen Übungen und Schlafhygiene. In den vergangenen Jahren haben sich vermehrt Online-Angebote etabliert.

Entspannung

Ziel ist eine generelle Anspannungsreduktion, die durch verschiedene Verfahren (z. B. autogenes ­Training, progressive Muskelrelaxation, Meditation) erreicht werden kann. Diese Verfahren müssen ­regelmäßig trainiert werden und können so eine prophylaktische Wirkung ausüben; die regenerative Stresskompetenz wird gestärkt.

Biofeedback

Die Betroffenen lernen, eigene Körpersignale (z. B. Anspannungsparameter wie Muskelaktivität, Temperatur oder Hautleitwert) durch deren Rückmeldung genauer wahrzunehmen und letztlich zu regulieren. Biofeedback kann einerseits als technisch vermitteltes Entspannungsverfahren genutzt werden, andererseits um kopfschmerzspezifische Parameter etwa im Vasokonstriktionstraining zu regulieren. Hier wird als Signal der Schläfenarteriendurchmesser verwendet. Die Betroffenen lernen, diesen zu reduzieren und somit der im akuten Migräneanfall auftretenden Gefäßerweiterung entgegenzuwirken.

Kognitive Verhaltenstherapie

Kognitiv-verhaltenstherapeutische Strategien zielen darauf ab, die Selbstwirksamkeitserwartung der Betroffenen zu verbessern. Diese lernen, Zusammenhänge zwischen Stressoren, Stresserleben und Symptomatik zu verstehen und erwerben die Fähigkeit, Verhalten und Erwartungen zu verändern. Fehlangepasstes Verhalten, z. B. die generelle Auslöservermeidung, soll verlernt werden. Denn nicht jeder Stressor (z. B. Dienstreise, Hausaufgaben, Wetteränderungen) kann vermieden werden. Der permanente Versuch, einen Stressor zu vermeiden, kann selbst zum Stressor werden, in einen Teufelskreis führen und so die Lebensqualität weiter reduzieren. Bei überhöhter Leistungsorientierung sollten realistische Erwartungen aufgebaut werden, dies erhöht die Selbstwirksamkeit und reduziert Anspannung. Durch den besseren Umgang mit Erwartungen wird prophylaktisch eine mentale Stresskompetenz gefördert. Dies wird zumeist mit Entspannungsverfahren und teilweise mit Biofeedback kombiniert, um die regenerative Stresskompetenz zu unterstützen.

Kombination mit Medikamenten

Psychologische Maßnahmen sind in Kombination mit medikamentösen Behandlungen sinnvoll und können synergistisch wirken, multimodale Ansätze sind zu bevorzugen. Dass das Ansprechen auf eine medikamentöse Migräneprophylaxe mit der Erwartung an diese zusammenhängt [3] und die Aufklärung über Noceboeffekte Nebenwirkungen reduzieren kann [4], zeigt den Einfluss psychologischer Faktoren in der medikamentösen Therapie. Der Placeboeffekt ist in der Schmerztherapie erwünscht und sollte durch die Behandelnden über den Aufbau positiver Erwartungen gefördert werden [5].

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise auch online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initi­ative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Der Autor

Dr. phil. Thomas Dresler
Diplom-Psychologe
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Tübingen

thomas.dresler@med.uni-tuebingen.de

  1. Pellegrino ABW et al., Cephalalgia 2018; 8: 1188–1198
  2. Kropp P et al., Nervenheilkunde 2016; 35: 502–515
  3. Schmidt K et al., Pain 2022; 163: e319–e327
  4. Pan Y et al., Front Psychiatry 2019; 10: 504
  5. Schmitz J et al., MMW – Fortschr Med 2021; 163: 62–64

Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier

Bildnachweis: privat

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