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Gynäkologie

Digitale Gesundheitslösungen

Bessere Versorgung von Adipositaspatientinnen

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

Die Prävention der Adipositas ist eine besondere Herausforderung, doch auch der zu erreichende Vorteil für die Patientinnen ist besonders. Denn positive Änderungen der Bewegungs- und Ernährungsgewohnheiten sind auch dann als Erfolg zu werten, wenn sie keine unmittelbare Wirkung auf das Körpergewicht haben.

Die Versorgung von Adipositaspatientinnen in Deutschland ist schlecht – es gibt schlicht viel zu wenig stationäre und ambulante Zentren. Und auch die aktuelle Problematik der Kostenübernahme ­einer Adipositastherapie durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) fördert den Aufbau einer adäquaten Infrastruktur nicht. Das haben wir schon verschiedentlich in Beiträgen adressiert, zuletzt in der Ausgabe 2/2021. Im ambulanten Sektor gilt ein Erlaubnisvorbehalt, d. h. es wird nur das bezahlt, was nach vorheriger Prüfung als sinnvoll erachtet und genehmigt wurde. Die Folge: Die Leistungen zur Adipositasberatung und -betreuung werden aktuell von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet, weil sie im GKV-Katalog (definiert im Leistungskatalog des EBM) nicht enthalten sind. Doch langsam kommt Bewegung in die Versorgung. Nachdem der Bundestag die Bundesregierung zur Verbesserung der Versorgungssituation für Menschen mit Adipositas aufgefordert hat, stellte das BMG im Oktober 2020 in Aussicht, den Gemeinsamen Bundesausschuss mit der Entwicklung eines Disease-Management-Programms (DMP) Adipositas zu beauftragen. Das wird die Situation langfristig verbessern, wird nach den Erfahrungen mit den anderen DMP aber noch ein paar Jahre brauchen, bis es wirklich startet.

Studie zeigt die Hürden auf

Wo liegen eigentlich die Hürden in der Adipositasver­­sorgung? Dieser Frage ging Prof. Dr. med. Matthias Blüher, Leiter der Adipositasambulanz am Universitätsklinikum Leipzig, nach. Dazu präsentierte er Ergebnisse aus der ACTION-IO-Studie (Awareness, Care, and Treatment In Obesity MaNagement – An International Observation). ACTION IO untersucht die Hürden bei der Adipositastherapie aus Sicht von Patienten und Ärzten. Für die Studie wurden über 14 500 Menschen mit Adipositas sowie fast 2 800 Ärzte aus elf Ländern, darunter Australien, Chile, Israel, Italien, Japan, Mexiko, Saudi-Arabien, Südkorea, Spanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Vereinigten Königreich befragt. Viele Menschen mit Adipositas sind demnach besorgt, bezüglich der Folgen, die Übergewicht für ihre Gesundheit hat, und unternehmen ernsthafte Abnehmversuche. Aber sie haben beschränkten Erfolg, wenn sie auf sich alleine gestellt sind. 81 % der Adipositaspatientinnen – Prof. Blüher nennt sie nach internationaler Gepflogenheit PwO, people with obesity – sagen, dass sie mindestens einen ernsthaften Abnehmversuch in der Vergangenheit unternommen haben. Im Gegensatz dazu denken HCP (Health Care Professionals, in diesem Fall Ärzte, Ernährungsberater und andere Adipositas-spezialisten), dass nur 35 % ihrer Patienten mit Adipositas ernsthafte Abnehmversuche unternommen haben. Von den Patienten, die einen ernsthaften Abnehmversuch im vergangenen Jahr unternommen haben, waren 30 % erfolgreich – definiert nach den Angaben der HCP.

Der wichtigste Grund für Menschen mit Adipositas, das Thema Gewicht nicht beim Arzt anzu­sprechen, ist die Einstellung, dass es ihre eigene Verantwortung ist, Gewicht zu verlieren. Diese Art der Selbststigmatisierung ist nach Ansicht von Prof. Blüher das Haupthindernis für den Einstieg in eine langfristige Adipositastherapie. Bei einer chronischen Erkrankung wie Adipositas ist ärzt­liche Unterstützung wichtig – auch wenn 81 % der Menschen mit Adipositas in der ACTION-IO-Studie glaubten, dass es allein ihre Verantwortung sei, Gewicht zu verlieren [1]. Ärzte wiederum glauben, dass Menschen mit Adipositas nicht ausreichend interessiert sind. Der wichtigste Grund für Ärzte nicht mit Patienten über Gewichtsabnahme zu sprechen, ist die Annahme, dass es ihnen an der Motivation fehlt, Gewicht zu reduzieren. Mehr als die Hälfte der Ärzte gaben ­allerdings auch die knappe Zeit als Faktor an, der ein ausführliches Gespräch über eine Gewichtsabnahme verhindert.

Wie wichtig es ist, das Thema frühzeitig anzugehen, hatten weitere Ergebnisse der ACTION-IO-Studie gezeigt. Gewichtsprobleme im jungen Alter sind mit einem zunehmenden Schweregrad und stärkeren Gefühlen von Hoffnungslosigkeit verbunden [2]. Die deutsche Adipositas-Leitlinie empfiehlt ein Stufenkonzept. Medikamente kommen dann zum Einsatz, wenn mit der Änderung des Lebensstils ­alleine keine Gewichtsreduktion erreicht werden kann. Die medikamentöse Therapie soll dabei in Kombina­tion mit einem Basisprogramm bestehend aus Ernährungs­therapie, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie durchgeführt werden. Erste wirksame und sichere Therapeutika wie ­Liraglutid sind verfügbar und viele weitere in der Pipeline.

Digitale Anwendungen als Unterstützung

Kurzfristige Auswege aus dem Dilemma bieten digitale Anwendungen, die Patientinnen im Alltag unterstützen. Das Pharmaunternehmen Novo Nordisk und der Telemedizinanbieter Zur Rose ­(DocMorris) stellten dazu ein neues Angebot vor, das Betroffene beim Selbstmanagement unter­stützen soll [2]. Auch Dr. Norman Hackl (Mainz) betonte ­bei der Vorstellung, dass Adipositas vielfach als nicht so schwerwiegend wie andere chronische Krankheiten empfunden wird. Diese Wahrnehmung – ­sowohl von Ärzten als auch von Menschen mit ­Adipositas – könnte u. a. verhindern, dass die Unterstützung der Betroffenen zu einer Priorität wird. Auf Grundlage der breiten Kundenbasis von DocMorris versucht man, das digitale Hilfsangebot direkt in die Zielgruppe zu tragen, ergänzte Anouk Robert von der Zur Rose-Gruppe [3].

Einen anderen Weg gehen die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA). Das sind Medizinprodukte der Klasse I oder IIa, die laut Definition die Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen unterstützen. Die Hauptfunktion beruht wesentlich auf digitalen Technologien und Nutzung durch Patient oder durch Patient und Leistungserbringer gemeinsam. Als „App auf Rezept“ sind sie auf einen normalen Rezept verordnungsfähig. Sie werden vom BfArM zugelassen, wenn sie den Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit, Datenschutz und weiteren Qualitäts­aspekten entsprechen, und wenn sie einen positiven Versorgungseffekt haben – also entweder einen medizinischen Nutzen oder Struktur- und Verfahrensverbesserungen.

Die DiGA zanadio unterstützt Menschen mit Adipositas beim gesunden, nachhaltigen Abnehmen und setzt dabei auf langfristige Verhaltensänderungen statt Verbote oder kurzfristigen Verzicht. Als App ist das Programm jederzeit verfügbar, ortsunabhängig einsetzbar und kann auf Basis der eingegebenen Daten personalisierte Empfehlungen geben. Voraussetzungen für die Verschreibung ist die Diagnose Adipositas, ein BMI zwischen 30 und 40 sowie ein Mindestalter von ­18 Jahren. Die Verordnung kann über die neu geschaffene Gebührenordnungsposition 01470 („Zusatzpauschale für das Ausstellen einer Erstverordnung einer digitalen Gesundheitsanwendung“) extrabudgetär abgerechnet werden.

1 Caterson ID et al., Diabetes Obes Metab 2019; 21: 1914–1924
2 Coutinho W et al., ECO-ICO Online, 1–4 September 2020; Abstract 0255
3 www.docmorriscare.com/adipositas/

Pressekonferenz „Adipositas neu denken: Digitale Gesundheitslösungen für eine bessere Versorgung“
(Veranstalter: Novo Nordisk Pharma GmbH), April 2021

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